Spirituosen: Für Cocktails gerade im Sommer unentbehrlich, an der Börse wenig gefragt. Was ist los mit Aktien wie Campari, Diageo oder Rémy Cointreau? Für Buffett und Co sind es Turnaround-Kandidaten.

Es ist eine hübsche mittelalterliche Kleinstadt: Cognac, ungefähr 120 Kilometer nördlich von Bordeaux, gelegen an einer Schleife des Flusses Charente. Und klar, Nomen est omen, der Ort ist Heimat aller großen Cognac-Produzenten: Hennessy etwa, der größte, der zum Luxuskonglomerat LVMH gehört, und natürlich Rémy Cointreau, 1990 erst entstanden durch die Fusion der traditionsreichen Häuser Rémy Martin (gegründet 1724) sowie Cointreau (gegründet 1849), wie LVMH ebenfalls notiert an der Börse Paris.

Und es gibt viel zu entdecken im Städtchen. Der Schatz von Rémy etwa, der Kellerkomplex „Chai Merpins“, der etwas außerhalb der Stadt liegt: Der ist Lagerort jener Fässer mit den wertvollsten und ältesten Weinbränden des Hauses. Das Spannende dabei: Der Gesamtwert dieser Vorräte, die überwiegend viele Jahrzehnte alt sind — die ältesten gar 100 Jahre —, ist wohl mindestens doppelt so hoch wie in der Bilanz verbucht. Das spiegelt sich aber nicht im Aktienkurs wider. „Der Nettoinventarwert liegt 50 Prozent höher als der aktuelle Aktienkurs“, rechnen die Analysten von Berenberg vor.

Großes Problem für Spirituosen-Aktien

Die Aktie notiert also weit unter Buchwert. Und das allein zeigt schon das Problem von Rémy. Oder das anderer Spirituosenhersteller wie Davide Campari in Italien oder Diageo in Großbritannien, ebenso Pernod Ricard, in den Docks von Marseille beheimatet. Die sind derzeit alle völlig abgemeldet bei den großen Investoren. Kaum jemand will aktuell Aktien dieser Unternehmen halten. Entsprechend sind die Kurse in den zurückliegenden Jahren abgerauscht, um es bildhaft zu formulieren. Dass man früher mit diesen Werten nichts verkehrt machen konnte — geschenkt. Vorbei scheint es mit der einstigen Losung: „Getrunken wird immer“, frei nach dem ähnlich gelagerten Spruch „Gestorben wird immer“.

Dass die Kurse dieser Aktien in den zurückliegenden drei Jahren so stark gefallen sind — bei Rémy Cointreau waren es beispielsweise bis zu 75 (!) Prozent Minus vom Allzeithoch —, hat ganz unterschiedliche Gründe. So kämpft die Spirituosenbranche insgesamt mit zyklischem Gegenwind: etwa durch ein verändertes Konsumverhalten. Es gibt einige Anzeichen, dass jüngere Generationen weniger Alkohol trinken, auch wenn dies von den Daten bislang nicht klar bestätigt wird.

Dazu kommt, dass wegen der weltweit immer noch hohen Inflation das Geld der Konsumenten nicht mehr so locker in den Taschen sitzt. Wenn schon trinken, dann steigt man eben auf günstigere Alternativen um, was vor allem Premiumanbieter wie Rémy Cointreau belastet mit Marken wie Louis XIII oder Bruichladdich-Whisky sowie Diageo mit beispielsweise Johnnie Walker Blue Label.

Und dann sind da noch die politischen Aspekte: zum einen die Unsicherheiten wegen der angedrohten amerikanischen Zölle auf Spirituosen sowie verschärfte Regulierungen wie etwa Warnhinweise auf Flaschen. Handelsstreit können aber auch andere: Als Reaktion auf die EU-Zölle auf chinesische Elektroautos erhebt die Volksrepublik China seit 5. Juli Aufschläge zwischen 27,7 und 34,9 Prozent auf Weinbrand. Wegen angeblichen Preisdumpings. Allerdings betrifft das nach neuesten Entwicklungen nicht mehr große Hersteller wie Pernod Ricard, Rémy Cointreau und Hennessy, weil die sich ganz aktuell auf Mindestpreise für ihre Exporte geeinigt haben — und das könnte noch ein ganz wichtiger Faktor für einen Turnaround gerade der Rémy-Aktie sein, wo Weinbrand insgesamt 65 Prozent der Umsätze ausmacht.

Aktien so günstig wie vor zehn Jahren

Denn bisher hat die insgesamt schwierige Gemengelage negativ auf die Bilanzen gedrückt: Diageo etwa, das gut 200 Produkte in 180 Ländern vertreibt, verzeichnete im Geschäftsjahr 2024/25 einen Umsatzrückgang um 0,6 Prozent und einen Gewinnrückgang je Aktie um zwölf Prozent. Besonders schwach entwickelten sich die Märkte in Lateinamerika und der Karibik, wo der Nettoumsatz um mehr als 20 Prozent einbrach. Bei Rémy ging der Umsatz sogar um 18 Prozent, der Gewinn pro Aktie um heftige 35 Prozent zurück.
Damit einhergehend: Vertrauensverlust bei den Investoren. Die meisten institutionellen Anleger haben ihre Positionen deutlich reduziert, was Verkaufsdruck erzeugt hat. Dadurch ist das KGV der Unternehmen mittlerweile so niedrig wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr.

Letztlich führt das zu Veränderungen in den Unternehmen — und lässt natürlich Value-Investoren aufhorchen. Beispiel Davide Campari: Hier wurde mit Simon Hunt ein neuer Chef installiert, nachdem der Vorgänger nur fünf Monate durchgehalten hatte. Der neue CEO wird in der Branche als erfahrener „Spirituosen-Manager“ mit starker Erfolgsbilanz wahrgenommen. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung, unter anderem als Vorstandschef von William Grant & Sons, einem unabhängigen, familiengeführten Spirituosenunternehmen mit Hauptsitz in Schottland — Spezialität Whisky. Hunt gilt zudem als Experte für internationale Märkte, insbesondere den für Campari strategisch wichtigen US- Markt, der 44 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht.

Johnnie Walker kommt ...

Die Berufung Hunts wurde von Analysten und Investoren positiv aufgenommen. Die Aussicht auf eine konsequente Umstrukturierung und Kostensenkungen — darunter der geplante Abbau von etwa 500 Stellen weltweit — hat das Vertrauen in eine mögliche Trendwende gestärkt.

Auf eine Wende hofft man derweil auch bei Diageo, wo gerade in britischen Finanzmedien intensiv diskutiert wird, ob die Aktie nach einem Kursverlust von über 50 Prozent seit 2022 und einer Dividendenhistorie von 25 Jahren nun für Value-Investoren interessant ist. Die Argumente: Das Unternehmen verfügt über starke Marken wie Johnnie Walker, Tanqueray, Guinness oder Baileys, was langfristig Potenzial bietet, auch wenn kurzfristig Herausforderungen wie Konsumzurückhaltung und verändertes Verbraucherverhalten bestehen bleiben.

Das Unternehmen selbst ist derweil auch nicht untätig. Um die Zollbelastungen von geschätzt 150 Millionen Dollar abzufedern, will sich Diageo zur Bilanzverbesserung auf das Kerngeschäft konzentrieren und sich von „Randaktivitäten“ trennen. Ein konkretes Beispiel ist der vollständige Rückzug aus dem Beteiligungsprogramm Distill Ventures, das Investments in kleinere, gründergeführte Spirituosenmarken wie die dänische Stauning Distillery umfasste. Zudem wurde der geplante Verkauf eines italienischen Standorts gemeldet. Ein Anfang. Ein Verkauf des Umsatzbringers Guinness-Bier sei aber ausgeschlossen, heißt es bei den Briten.

Auch Buffett hat richtig Durst

Und apropos Value: In den USA ist in Sachen Getränkehersteller auch Warren Buffett, der scheidende Chef des Investment-Konglomerats Berkshire Hathaway, auf den Plan getreten. Zwar ist nicht bekannt, ob er sich aktuell auch in Europa umschaut, aber Ende 2024 hat er bereits 5,6 Millionen Aktien von Constellation Brands erworben und im ersten Quartal des neuen Jahres weitere 6,4 Millionen. Damit ist die Buffett-Holding mit 6,6 Prozent Anteil viertgrößter Aktionär des Unternehmens. Denn auch die Amis können Alkohol: Neben Bier und Wein ist man zudem stark im Spirituosengeschäft unterwegs mit hierzulande eher unbekannten Marken wie High West Whiskey, Nelson’s Green Brier Whiskey oder Casa Noble Tequila. Das Unternehmen setzt dabei bewusst auf Premiumlabels, um sich vom Massenmarkt abzuheben und von Konsumenten zu profitieren, die bereit sind, für Qualität mehr zu zahlen.

Vermutlich ist es aber weniger die Spirituosen als eher die Biersparte von Constellation, auf die sich Buffetts positive Einschätzung stützt. Laut Filippo Falorni, Experte für Getränkeaktien bei der Citibank, sind es die langfristig positiven Aussichten für die mexikanischen Biermarken des Konzerns — Modelo und Corona —, die insbesondere in der lateinamerikanischen Community in den USA geschätzt werden. O-Ton Falorni: „Buffetts Investition ist ein perfektes Beispiel für gutes Value Investing.“ Und darum geht es letztlich: Günstig kaufen, halten, später verkaufen. Bei manchen Aktien ist das wie mit altem Cognac in französischen Weinkellern.

Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (29/25), die Sie hier finden.

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