von Robert Halver

China, Rohstoffe - Bekommt unsere Finanzwelt ein Deflationsproblem?



Im Frühjahr sprach man an den Finanzmärkten noch von der Wiedergeburt der Inflation, auch weil sich die Konjunkturvisionen selbst im früheren Krisengebiet der Eurozone aufhellten. Amerika und Asien galten ohnehin als wirtschaftliche Selbstläufer. Die Deflation schien endgültig besiegt zu sein. Schon wurden neben den USA selbst in der Eurozone Stimmen laut, der Anfang vom Ende der geldpolitischen Happy Hour könnte kurz bevorstehen.

Doch beim aktuellen Blick auf die Rohstoffe insgesamt spricht nichts, aber auch gar nichts für markante Preissteigerungen, im Gegenteil. Seit Juli 2014 fallen die Rohstoffpreise im Vorjahresvergleich jeden Monat. Heutzutage mag die Bindung von Rohstoffpreisen und der Inflation zwar nicht mehr so innig sein wie bei einer Liebesbeziehung, doch eine Vernunftehe ist es immer noch: Der Einfluss von Rohstoffen auf die Inflationserwartungen sowohl in den USA als auch in Europa ist erkennbar und zurzeit klar negativ.

Es gibt keine Ölkrisen mehr



Der Ölpreis wird politisch und technisch unter Druck gesetzt. Allmählich wird der Iran mit seinen großen Ölreserven wieder mitspielen dürfen. Dabei kommt aber der gewaltigste Preisdruck aus Saudi-Arabien. Denn damit das Land seine Marktanteile in Europa und Asien gegenüber dem Iran halten kann, werfen die Saudis so viel Öl auf den Energiemarkt wie noch nie. Es ist ähnlich wie beim Sommerschlussverkauf auf den überschwemmten Wühltischen. Die Weltwirtschaft badet geradezu in Öl. Und wenn alle Stricke reißen würden, gibt es da noch einen großen "Öl-Put", eine Versicherung gegen steigende Ölpreise: Bei spätestens 70 US-Dollar für konventionelles Öl wird die alternative Förderung von Fracking-Öl attraktiv. Insgesamt sind wir von einer dramatischen Ölpreiswende nach oben oder sogar - nach 1973 und 1979 - einer dritten Ölkrise so weit entfernt wie Pluto von der Erde.

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Schwache Industriemetallpreise verursachen Schnappatmung in den Rohstoffländern



Neben Öl sind ebenso Industriemetalle keine Preistreiber. Deutlich wird das beim konjunkturellsten aller Konjunkturmetalle: Kupfer befindet sich auf einem Sechsmonatstief. Im Frühjahr versuchte das Metall zwar einen Ausbruch, scheiterte aber kläglich. Und da Kupfer der Leitwolf unter den Industriemetallen ist, folgen auch die anderen wichtigen Industriemetalle auf dem Weg nach unten.

Beim Tanken freut sich zwar mein Portemonnaie, jedoch wirken sich sinkende Rohstoffe für die typischen Rohstoffländer wie Brasilien, Russland oder im Nahen Osten fatal aus. Sie hemmen ihre Kaufkraft ähnlich wie massive Steuer- und Zinserhöhungen. Damit bremsen sie auch die Weltkonjunktur ab.

Auftauchen von Rohstoffinflation so unwahrscheinlich wie das Ungeheuer von Loch Ness



Die Konjunktur spricht nicht für Preissteigerungen bei Industriemetallen. Man hört zwar die Hosianna-Rufe über die US-Konjunktur. Doch bei näherer Betrachtung läuft sie nicht wirklich rund, trotz einer de facto-Nullzinspolitik der Fed im mittlerweile siebten Jahr. Selbst der Fed-eigene Index des Zustands des US-Arbeitsmarkts lässt keine Euphorie aufkommen. Quantität von Jobs heißt noch lange nicht Qualität der Jobs. Beschäftigungen als "Schiffschaukelbremser" gibt es noch und nöcher, die einkommensstärkeren Jobs sind dagegen ausbaufähig.

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Gegenüber einem Wirtschaftskollaps Chinas wäre Griechenlands Schuldenproblem ein Kindergeburtstag



Ein besonderes Handicap für Konjunktur, Rohstoffe und Inflation ist China. Das Land der Mitte hat klar an wirtschaftlicher Zugkraft eingebüßt. Nach langen Jahren des Rekordwachstums fehlt es jetzt an Kohlen. Heiß gelaufene Immobilienmärkte sowie Kredit- und Finanzmarktblasen machen dem Land schwer zu schaffen. Die Pekinger Kommandowirtschaft reagiert hektisch mit staatlichen Maßnahmen, um das Platzen der Blasen zu verhindern und damit volkswirtschaftliche Kollateralschäden zu begrenzen. Diesen schlafenden Hund will China nicht wecken. Denn wenn nach der bereits luftdruckschwachen Immobilienblase auch noch die Aktienblase so richtig platzte wie bei uns der Neue Markt, fielen in China Aschermittwoch und Karfreitag auf einen Tag. Die zur Altersvorsorge gezwungenen Chinesen - mit der Ein-Kind-Politik ist die innerfamiliäre Absicherung nicht mehr gesichert - würden ihr Portemonnaie zunageln und statt zu konsumieren nur noch angstsparen. Selbst die allmächtige KP kann dann einen Abschwung nicht mehr verhindern.

Ich glaube nicht, dass China einen konjunkturellen Husten bekommt und die Weltwirtschaft eine deflationäre Grippe davon trägt. Peking wird die marktwirtschaftliche Kurve mit viel manipulativem, planwirtschaftlichem Doping noch einmal kriegen. Politiker anderer Länder werden dabei brav zuschauen und gepflegt den Mund halten. China wird von allen gepampert wie ein verwöhntes Einzelkind. Es darf alles, weil es allen nutzt: An Chinas wirtschaftlichem Wesen soll die Weltkonjunktur genesen.

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Der Kampf gegen Deflation gibt der Liquiditätshausse neuen Schub



Ein Rückfall in die Deflation wird vor diesem Hintergrund zwar verhindert. Ebenso sind jedoch wirkliche Preissteigerungen so unwahrscheinlich wie ein dicker Lottogewinn.

Um aber ganz sicher zu gehen, dass aus einer Abschwächung der Preissteigerung - Deutschland z.B. hatte im Juli gerade noch ein "Inflatiönchen" von 0,1 Prozent - keine waschechte Deflation wird, bleiben alle Notenbanken auf der Überholspur. Aus der US-Leitzinswende wird ein Sturm im Wasserglas: Fed-Chefin Yellen gilt nicht als selbstmordgefährdet, nein, sie steht für geldpolitische Lebensbejahung. Und vor einer restriktiven Geldpolitik der japanischen Zentralbank oder der EZB müssen Anleger so wenig Angst haben wie vor einem Papiertiger. Und die chinesische Zentralbank wird der neue Superstar unter den Notenbanken. Auch sie wird ihr Füllhorn der Liquidität ausschütten. Wenn es denn sein muss, wird Chinas Notenbank bei jeder großen Aktiengesellschaft Rotchinas Großaktionär. Die Aktienblase darf nicht platzen, denn ansonsten zeigte China der Weltwirtschaft sein hässliches Deflationsgesicht.

Und was heißt das für die Finanzmärkte? Im Kampf gegen die Deflation haben wir mittlerweile eine weltumspannende Bruderschaft des lockeren Geldes. Es ist nicht Schluss mit geldpolitisch lustig. Die Notenbanken bleiben die guten Geister. Sie beruhigen die Finanzmärkte ähnlich wie meine Oma früher mich, als sie mir eine Gute Nacht-Geschichte mit Happy End erzählte.

Wenn einem so viel Gutes wird beschert, das ist schon eine Fortsetzung der Liquiditätshausse wert. Der Goldpreis muss kein Waterloo befürchten. Und für Aktien greift weiter die Vollkaskoversicherung der Geldpolitik.

Hoffentlich durch die Allianz der Notenbanken versichert!

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.