Zumal auch der politische Druck hoch ist, kein Geld an Anteilseigner auszuschütten, wenn zugleich staatliches Geld zur Unterstützung fließt. Viele Analysten erwarten, dass die höhere Zahl an verfügbaren Aktien bei einzelnen Unternehmen auf die Kurse drückt. Schließlich stehen die Firmen selbst nicht mehr als Käufer bereit. Doch die Geldflut der Notenbanken sorgt weiter für Aufwind an den Aktienmärkten.

In den vergangenen Jahren wurde über Rückkäufe das Aktienangebot massiv verknappt. Die Experten der Beratungsfirma Yardeni Research haben die Zahl der Aktien im US-Index S&P gezählt: Ende 2019 waren es 25 Milliarden weniger als Mitte 2011. Doch nun geht es in die andere Richtung: Schon 2019 seien unter dem Strich wieder mehr Aktien auf dem Markt gewesen als im Vorjahr, sagt JPMorgan-Stratege Nikolaos Panigirtzoglou. In diesem Jahr gehe es weiter. "Das Virus führt dazu, dass mehr Aktienemissionen anstehen", sagt er. "Es besteht die Notwendigkeit, Eigenkapital aufzunehmen, und die Rally am Aktienmarkt lässt darauf schließen, dass der Appetit der Investoren vorhanden ist." Allein im vergangenen Monat wurde auf diese Weise mit 60 Milliarden Dollar so viel Geld am US-Markt eingesammelt wie nie zuvor.

Auch in Deutschland halten die Unternehmen ihr Geld zusammen: Der Immobilienkonzern Patrizia etwa hat sein Rückkaufprogramm beendet. Allerdings hätten Aktienrückkäufe in Deutschland nicht eine so große Bedeutung wie in den USA, sagt Christian Kahler, Chefstratege bei der DZBank. In den USA hat sich in diesem Jahr das Volumen der Aktienrückkäufe auf 370 Milliarden Dollar halbiert, wie die Experten von Goldman Sachs schätzen. Damit bleiben mehr Papiere handelbar. Zudem fehlt ein wichtiger Käufer am Markt: Seit 2010 haben US-Firmen eigene Aktien im Volumen von mehr als vier Billionen Dollar zurückgekauft, deutlich mehr als jeder andere Investor.

BILLIGES NOTENBANKGELD STÜTZT AKTIENKURSE


Bislang reagiert der Markt aber gelassen auf die ausbleibenden Rückkäufe: Die billionenschweren Hilfspakete der Regierungen und Notenbanken sowie die Hoffnung auf eine rasche Konjunkturerholung trieben in den vergangenen Wochen die Kurse. Dazu kommen die niedrigen Renditen am Anleihemarkt, die viele Investoren zu Aktienkäufen bewegten. JPM-Experte Panigirtzoglou verweist auf einen "strukturellen Wandel im Liquiditäts- und Zinsumfeld", der Aktien begünstige.


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Dass nach der Coronakrise wieder mehr Geld über Aktienrückkäufe an die Investoren ausgeschüttet wird, ist zudem keine ausgemachte Sache. Vor allem dürfte es schwierig werden, zu begründen, warum Kredite zur Finanzierung von Rückkäufen aufgenommen werden sollen. In der jüngsten Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern sprachen sich nur sieben Prozent für Aktienrückkäufe aus - 73 Prozent gaben dagegen an, ihnen wäre ein Schuldenabbau lieber. Matthew Jennings, Investmentdirektor bei der Fondsgesellschaft Fidelity International, sagte, seine Fondsmanager gingen schon länger den Firmen aus dem Weg, die übermäßig viel Geld ausschütteten: Solche Unternehmen müssten auch schneller wieder die Dividende streichen oder frisches Geld am Markt aufnehmen, wenn die Geschäfte nicht mehr so gut liefen.

Und außerdem rückt in den Blick, was die Lust am Rückkauf für die Geschäftsaussichten bedeutet. Der Gewinn je Aktie - eine insbesondere in den USA wichtige Kenngröße - steigt, wenn weniger Papiere im Umlauf sind. Richard Saldanha, Portfoliomanager bei Aviva Investors schätzt, dass dieser Effekt den Gewinn je Aktie bei den S&P-500-Unternehmen um jährlich etwa zwei Prozent nach oben getrieben hat. Doch das Geld fehlt an anderen Stellen, etwa bei den Investitionen, die etwa 2018 nur um magere zwei Prozent stiegen, wie die Experten der Ratingagentur S&P berechneten. Daher sei es positiv, wenn die Unternehmen jetzt umdächten, sagt Saldanha: "Wenn Rückkäufe weniger werden, können die Firmen das Geld für den Ausbau der Lieferketten, Automatisierung, Entwicklung ausgeben. Das wird eine der langfristigen Folgen der Krise sein."

rtr