Keine andere Aktie steht so sehr für den AI-Hype wie Nvidia. Doch die Kräfte, die den Datacenterhersteller zum wertvollsten Konzern der Welt gemacht haben, könnten am Ende den ganzen Aktienmarkt ein die Tiefe reißen.
Kaum ein Unternehmen hat die Dynamik der globalen Aktienmärkte in den vergangenen Jahren so stark geprägt wie Nvidia. Die Chips aus Santa Clara sind zum Herzstück des KI-Booms geworden, ihre Grafikprozessoren das Fundament einer Investitionswelle, die Billionen an Börsenwert geschaffen hat.
Doch je höher die Abhängigkeit der Weltbörsen von einem einzigen Titel wächst, desto größer wird auch die Gefahr. Ausgerechnet Nvidia könnte sich als Achillesferse des Marktes erweisen.
Rekordkonzentration im S&P 500
Die strukturelle Verwundbarkeit beginnt bei der Zusammensetzung der großen Indizes. Im S&P 500 vereinen die zehn größten Titel mittlerweile rund 40 Prozent der gesamten Indexgewichtung – ein Rekordwert in der Geschichte. Mehr als die Hälfte des Index entfällt inzwischen auf gerade einmal 22 Aktien. Nvidia allein kommt auf ein Gewicht von rund sieben bis acht Prozent. Das macht das Unternehmen nicht nur zum Schwergewicht, sondern zum zentralen Hebel für die Bewegungen des gesamten Marktes.
Diese Dominanz wird aktuell von fundamentaler Stärke gestützt. Nvidia verdiente im vergangenen Jahr rund 87 Milliarden Dollar. Aktuell Aktie handelt bei einem happigen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 50 auf Basis der letzten zwölf Monate, auf Basis der erwarteten Gewinne im kommenden Jahr schmilzt es allerdings auf ein KGV von 31. Anleger zahlen damit immer noch eine erhebliche Prämie für die Story.
Der Boom, der alles trägt
Die makroökonomische Bedeutung ist ebenso gewaltig. Der KI-CapEx-Zyklus wirkt wie ein Konjunkturturbo, der in einer ansonsten schwächelnden US-Wirtschaft für Stabilität sorgt. Milliardeninvestitionen in Rechenzentren und KI-Infrastruktur erklären, warum das Wachstum nicht eingebrochen ist, obwohl der Arbeitsmarkt erste Bremsspuren zeigt.
Nvidia steht dabei im Zentrum dieser Entwicklung – ohne seine Chips und Rechenzentren gäbe es die neue Server-Ökonomie in dieser Form nicht. Doch gerade diese Rolle macht die Lage fragil. Das Kapital muss „parabolisch“ weiterfließen, damit das Wachstum hält. Sobald die großen Techkonzerne wie Microsoft, Alphabet oder Meta ihr Investitionstempo drosseln, kippt die Logik.
Eine einfache Rechnung mit großer Sprengkraft
Wie stark das Klumpenrisiko inzwischen ist, zeigt eine einfache Modellrechnung: Bei einem Gewicht von sieben Prozent im S&P 500 würde ein Kursrückgang von 30 Prozent bei Nvidia den Index rechnerisch um 2,1 Prozent belasten – selbst wenn alle anderen 499 Aktien unverändert blieben. Bei acht Prozent Gewicht wären es bereits 2,4 Prozent. Ein Einbruch um 50 Prozent würde in dieser statischen Rechnung gut 3,5 Prozent Minus für den gesamten Index ausmachen.
Das ist wohlgemerkt nur der direkte Effekt. In der Realität verstärken sich Verluste durch Korrelationen, Abflüsse aus ETFs und sentimentgetriebene Verkäufe. Bor allem jedoch dürften andere Big-Tech-Aktien im Sog vin Nvidia mitleiden. Leidet der Branchenprimus, wird sich die Tech- und KI-Kohorte kaum einem Abschwung entziehen können. Ein Nvidia-Schock könnte so schnell zu einer Abwärtsbewegung führen, die weit über den mathematisch isolierten Effekt hinausgeht.
Cisco 2000: Die historische Parallele
Wer glaubt, dass ein einzelner Titel ein ganzes Marktumfeld prägen und zugleich zum Risiko werden kann, sollte sich an das Crash-Jahr 2000 erinnern. Damals war Cisco Systems der unangefochtene Liebling der Börse. Das Unternehmen galt als Rückgrat des Internets, seine Router und Switches als unverzichtbar für die neue digitale Welt. Kurzzeitig war Cisco sogar das wertvollste Unternehmen der Welt – genau wie Nvidia heute im S&P 500 der dominante Taktgeber ist.
Doch als die Investitionswelle in Netzwerktechnik nachließ, brach der Kurs dramatisch ein. Binnen weniger Monate verlor Cisco über 70 Prozent an Börsenwert, und die gesamte Nasdaq stürzte mit ab. Die Parallele ist unübersehbar: Auch Nvidia ist in einer Phase, in der ein klarer technologischer Umbruch eine Investitionslawine auslöst. Doch sollte die Nachfrage ins Stocken geraten oder die Produktivitätsversprechen der KI nicht sofort eintreten, droht ein ähnlicher Schock – diesmal mit noch größeren Indexeffekten, weil Nvidia schwerer gewichtet ist als Cisco damals.
Rückblick auf frühere Krisen
Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht, warum die aktuelle Situation so heikel ist. Während der Dotcom-Blase stürzte der S&P 500 um mehr als 50 Prozent ab. Damals war die Indexkonzentration geringer, die Übertreibungen saßen breiter im Markt.
In der Finanzkrise 2007–2009 verlor der S&P 500 ebenfalls über 50 Prozent, allerdings getrieben durch systemische Risiken im Bankensektor. Heute dagegen liegt das Risiko weniger im System, sondern in der Struktur des Index selbst: Ein einziges Unternehmen hat theoretisch die Kraft, massive Marktbewegungen auszulösen.
Externe Risiken verstärken die Unsicherheit
Hinzu kommen geopolitische Faktoren. US-Exportbeschränkungen, mögliche neue Zölle und Chinas Bemühungen, eine eigene Chipindustrie aufzubauen, sorgen für Unsicherheit entlang der Wertschöpfungskette.
Hersteller wie ASML und Tokyo Electron warnen bereits vor Nachfrageschwächen außerhalb des KI-Kerngeschäfts. Sollte diese Schwäche auf den Bereich der High-End-Chips übergreifen, wäre Nvidia der erste Leidtragende – und mit ihm der gesamte Markt.
Riese auf tönernen Füßen?
Nvidia ist zum Motor des Bullenmarkts geworden – und genau das macht den Titel so riskant. Fundamentale Gewinne und eine dominante Marktstellung rechtfertigen die Bewertung zumindest teilweise, doch die enorme Indexkonzentration macht den Markt anfälliger als in früheren Zyklen. Während die Dotcom-Blase von einer Bewertungsmanie und die Finanzkrise von Bankrisiken geprägt waren, liegt die Gefahr diesmal in der Marktstruktur.
Der Fall Cisco im Jahr 2000 mahnt: Selbst die unangefochtenen Champions ihrer Zeit sind nicht immun gegen Übertreibungen. Sollte Nvidia ins Straucheln geraten, könnte dies weitreichendere Folgen haben – nicht nur für Big Tech, sondern für die Stabilität der globalen Börsen.
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Nvidia