Die Zeiten ändern sich für deutsche börsennotierte Unternehmen - und damit auch für ihre Eigentümer. Aktionäre, die ihr Stimmrecht auf Hauptversammlungen im Auftrag Dritter ausüben, tragen eine besondere Verantwortung für die zukunftsorientierte Weiterentwicklung der Unternehmen, in die sie stellvertretend für ihre Anleger investieren. Das wird vor allem dann zur Herausforderung, wenn sie ausgerechnet in entscheidende Veränderungspläne des ­Geschäftsmodells nicht eingebunden werden.

Um finanziell flexibel zu bleiben, ­lassen sich Unternehmenslenker auf Hauptversammlungen regelmäßig Kapitalerhöhungen genehmigen, die sie im Zeitraum von fünf Jahren frei einsetzen können. Die Möglichkeiten werden vielfältig genutzt: Das Kapital wird zur Unterstützung von Kreditratings oder der Stärkung der Eigenkapitalbasis eingesetzt. Die Unternehmensführung kann das Unternehmen regional stärker aufstellen oder andere Geschäftsbereiche zukaufen. Solche sogenannten "Bolt-on Transactions" (kleinere und mittlere Akquisitionen) gehören zu den zentralen Aufgaben einer innovativen und zukunftsorientierten Unternehmensführung und sind damit auch im Interesse der Eigentümer.

Gerade auf unsichereren Geländen, die sich durch das konjunkturelle Umfeld abzeichnen, haben sich Investoren wie wir bisher als sehr großzügig erwiesen, um notwendige Managementmaßnahmen aktiv und unkompliziert zu unterstützen. Guten Gewissens und im Vertrauen auf die Kompetenz des Managements haben wir nicht selten Kapital von gut 30 Prozent mit Bezugsrecht für Altaktionäre beziehungsweise bis zu zehn Prozent des ausstehenden Kapitals ohne Bezugsrecht genehmigt.

Veränderung nicht ohne Eigentümervotum


Das ist so lange eine sinnvolle Lösung, bis das Vertrauen in die Unternehmensführung mit der Verantwortung gegenüber den Anlegern kollidiert. Das ist der Fall, wenn Manager beispielsweise ohne Rücksprache mit den Eigentümern entscheiden, einen komplett neuen Unternehmenskurs einzuschlagen. Solche überraschenden "transformatorischen Deals" verändern nicht nur die Ausrichtung, sondern auch das Risiko-Ertrags-­Profil des Unternehmens, das damit ­unmittelbar zur "Black Box" wird. Ein Fondsmanager, der in guter Absicht die notwendigen Kapitalerhöhungen auf der Hauptversammlung des Unternehmens genehmigt hat, hat damit unwissentlich einen "Blankoscheck" dafür unterzeichnet.

Damit sich das gemeinsame Ziel nicht in einen Interessenskonflikt verkehrt, müssen sich Eigentümer darauf verlassen können, vorab zu wissen, wie und in welche Richtung sich das Geschäftsmodell bei geplanten Großtransaktionen ändern soll. Es muss zu den Grundregeln gehören, die Zustimmung der Aktionäre auf einer Hauptversammlung einzuholen, damit sie sich rechtzeitig entscheiden können, ob sie den Weg mitgehen wollen.

Bisher liegt es ausschließlich im Ermessen der Unternehmensführung, ob sie Anteilseigner vorab über weitreichende Pläne einer Unternehmenstransformation informiert und um deren ­Zustimmung wirbt. Dabei erwartet sie weniger massiven Gegenwind der Mehrheit, sondern sie befürchtet vor allem unkalkulierbare Konsequenzen nach möglichen Anfechtungsklagen nach transparenten Abstimmungen auf Hauptversammlungen. Damit können auch einzelne Aktionäre gegen die geplante Akquisition juristisch ins Feld ziehen - auch wenn die Mehrheit der Transaktion zugestimmt hat. In diesem Fall droht sich der Deal zu verzögern, im schlimmsten Fall sogar zu platzen.

Selbst wenn die Sorgen nachvollziehbar sind, wäre es im Interesse der Eigentümermehrheit, den vollumfänglichen Schutz des Minderheitsklägers kritisch zu hinterfragen, da sie sonst so manchen Alleingang des Managements teuer bezahlen müssten. Solange es keinen gesetzlichen Rahmen zum Schutz der Anteilseigner bei großen Transaktionen gibt, haben vor allem aktive Invest­mentmanager mit treuhänderischer Verantwortung nur die Möglichkeit, sich durch restriktivere finanzielle Rahmenbedingungen abzusichern und auf Hauptversammlungen grundsätzlich weniger Kapitalerhöhungen zu genehmigen.

In diesem Fall müssen Unternehmen bei höherem Bedarf von sich aus auf die Aktionäre zukommen und im Fall einer geplanten Unternehmenstransformation ihr Vertrauen für diese Pläne auf der Grundlage umfassender Informationen gewinnen.

Aber die Forderung nach mehr treuhänderischer Solidarität gilt auch im umgekehrten Fall: Wenn ein langjähriges Portfoliounternehmen selbst zum Übernahmeziel wird, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Vorstand und Aufsichtsrat eines Unternehmens sind zwar gesetzlich verpflichtet, im Fall eines Übernahmeangebots eine Stellungnahme abzugeben. Aber es bleibt umso mehr die Verantwortung der Aktionäre, Entscheidungen im eigenen Interesse nur auf der Grundlage eigener und unabhängiger Analysen zu treffen.

Für die Umsetzung seiner eigenen Ziele hat der übernehmende Eigentümer entsprechend den Mehrheitsverhältnissen verschiedene Optionen. Er kann verbleibende Minderheitsaktionäre beispielsweise hinausdrängen (Squeeze-out), einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag abschließen oder das Unternehmen ganz von der Börse nehmen. In jedem Fall drohen Altaktionäre zu den Verlierern des Eigentümerwechsels zu werden, wenn die gesetzlich vorgesehene Kompensation unter dem intrinsischen Wert des Unternehmens liegt.

Übernahmeprämien müssen Wertsteigerung berücksichtigen


Dann stehen die Aktionäre oftmals vor einem Dilemma: Lassen sich die langfristigen Wertsteigerungspoten­ziale auch in der neuen Struktur realisieren? Oder ist es besser zu verkaufen? Das fällt gerade langfristigen Investoren schwer, die vom Potenzial des Unternehmens überzeugt sind. Die Attraktivität des Angebots hängt deswegen umso mehr von fairen Übernahmeprämien ab, die das künftige Wertsteigerungspotenzial eines Unternehmens berücksichtigen.

Deshalb gilt auch hier: Wäre es nicht grundsätzlich im Interesse aller Stakeholder, bei einer Änderung der Governance-Struktur eine Abstimmung in den Hauptversammlungen der beteiligten Unternehmen durchzuführen?

Als aktiver Investmentmanager, der als Treuhänder viele Anlegerstimmen vertritt, müssen wir an dieser Stelle dafür sorgen, dass die Stimmen möglichst laut zu hören sind: Die Wahl zwischen Pest und Cholera ist keine zufrieden­stellende Option für Anteilseigner, die mit ihrem Geld auch viel Vertrauen investieren!

Damit Vorstände und der Aufsichtsrat sich nicht so einfach aus ihrer treuhänderischen Verantwortung gegenüber ihren (Alt-)Aktionären entlassen können, sprechen wir uns für eine verpflichtende Einbindung der Anteils­eigner in entscheidenden Transformationsprozessen des Unternehmens aus.

Kurzvita

Jörg de Vries-Hippen
CIO Equity Europe bei Allianz Global Investors
Der Autor ist Chief Investment Officer Equity Europe und Mitglied des European Executive Committee von Allianz Global Investors. Er verantwortet das europäische Equity Portfolio Management in Frankfurt, Paris und London. Seit 1995 managt de Vries-Hippen Schweizer Aktienprodukte, insbesondere den Allianz Fonds Schweiz, und ist seit 2009 zudem ­Portfoliomanager des ­Allianz European Equity ­Dividend Fund.