Es stinkt in deutschen Städten. Und deutschen Städtern stinkt es. Während die Klimaschutzkommission der Bundesregierung diese Woche nur wenige Ideen hatte, wie die durch den Verkehr entstehenden CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent gesenkt werden können, satteln die Verbraucher schon um. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mehr Räder verkauft als in den drei Jahren zuvor. Knapp 4,2 Millionen Stück verließen die Hallen der Händler, das entspricht einer Steigerung von 8,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Angeheizt wird der Trend stärker denn je von stromgetriebenen Rädern. Auf knapp eine Million neuer E-Bikes radeln die Deutschen seit vergangenem Jahr auf den Straßen herum, die Verkaufszahlen stiegen hier sogar um 36 Prozent - so viel, dass der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) seine Prognose erhöhte: "Langfristig ist ein Verkaufs­anteil von 35 Prozent durchaus realistisch", sagt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des ZIV. "E-Bikes sind der Wachstums- und Innovationstreiber der deutschen Fahrradbranche." Aktuell liegt der Anteil bei 23,5 Prozent.

Dazu trägt bei, dass die Bundesregierung seit 2019 auf eine Besteuerung von betrieblich genutzten Fahrrädern verzichtet und sie Dienstwagen gleichstellt. Für E-Bikes langen die Kunden zudem tiefer in die Tasche. Über alle Kategorien hinweg - also inklusive muskelbetriebener Straßen- oder Sporträder - stieg der Durchschnittspreis zwischen 2012 und 2018 um 47 Prozent.

Heißes Verfolgungsrennen

Das sind Entwicklungen, die Anlegerherzen höher schlagen lassen. Aber so einfach ist es nicht, über den Kapitalmarkt am Trend teilzunehmen. Der größte Radbauer des Landes beispielsweise, Derby Cycle, Hersteller von Marken wie Kalkhoff oder Raleigh, ist 2011 vom niederländischen Mischkonzern Pon Holding geschluckt worden. Die Kultmarke Gazelle ist 2011 ebenfalls an den familiengeführten und nicht börsennotierten Konzern übergegangen.

Die 2004 an die Börse gebrachten Mitteldeutschen Fahrradwerke, kurz Mifa, sind nach einer Insolvenz 2014 von der Unternehmerfamilie von Nathusius aufgekauft und 2015 von der Börse genommen worden. Heute firmiert Mifa unter dem Namen Sachsenring Bike Manufaktur. Daneben gibt es weitere deutsche Fahrradhersteller wie Cube, Diamant, Gudereit oder Stevens, aber der Markt ist mittelständig, kleinteilig und in privater Hand. Mit den insgesamt rund 40 Unternehmen ist Deutschland der zweitgrößte Radproduzent der EU hinter Italien.

Andere deutsche Marken konnten sich ebenfalls nicht vor den Übernahmefeldzügen der niederländischen Pon Holding sowie der Accell Group retten. Besonders Accell hat sich einige Produzenten einverleibt: Winora aus dem fränkischen Schweinfurt mit seiner Marke Haibike oder den an der fränkisch-tschechischen Grenze beheimatete Hersteller Ghost. Auch die hierzulande nach Diamant zweitbeliebteste Trekkingmarke, Hercules, war kurzzeitig unter dem Dach von Accell, ging aber 2014 wieder in deutsche Hände über und wird nun vom genossenschaftlichen Fachhändlerverband ZEG geführt. Dieser zählt mit weiteren Eigenmarken wie Kettler zu den bedeutenden Produzenten Europas.

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Niederländer sind Nummer 1

Die niederländische Accell ist börsennotiert und zugleich der größte Radhersteller Europas. Allerdings haben Managementfehler den Konzern in den beiden vergangenen Jahren zur Restrukturierung gezwungen. Accell hat in den Aufbau regionaler Teams und den Onlinehandel investiert. "Die Komplexität in unserem Sortiment wurde in den meisten Regionen um circa 30 Prozent reduziert", erklärt Vorstandschef Ton Anbeek die Fortschritte im Jahr 2018.

In diesem Jahr soll das Geschäft im schwächelnden nordamerikanischen Markt separat weitergeführt - also wohl verkauft - werden. 2018 schrumpfte der Absatz dort um 55 Prozent. Obwohl die USA und Kanada nur sechs Prozent des gesamten Volumens tragen, schlug der Misserfolg durch - ungeachtet der Tatsache, dass das Geschäft im Kernmarkt Europa um rund sechs Prozent wuchs: Inklusive Nordamerika stieg der Umsatz lediglich um gute zwei Prozent auf etwas mehr als eine Milliarde Euro.

Ton Anbeek erwartet keine Verbesserung in der näheren Zukunft. Die Ziele von 1,5 Milliarden Euro Umsatz und einer Eigenkapitalquote von 15 Prozent bis 2022 hält er aber weiter für realistisch. Allerdings kurbelt ein ganz anderes Szenario die Fantasie der Aktie an: Seit Ende vergangenen Jahres hält die Pon Holding knapp über 20 Prozent an Accell. Im April 2017 hatte der Konkurrent schon einmal ein Angebot von 32 Euro pro Aktie gemacht. Derzeit notiert der Kurs deutlich niedriger. Gut möglich, dass Pon bald ein neues An­gebot vorlegen wird.

Lieber kleine Teile

Den taiwanischen Herstellern Giant und Merida sowie chinesischen Firmen hat die EU-Kommission im Januar Zölle zwischen knapp 19 und über 79 Prozent auf E-Bikes aufgebrummt. Fahrräder sind schon seit den 90er-Jahren mit Anti-­Dumping-Zöllen belegt. Als Alternative für Anleger kommen deshalb eher Komponentenanbieter infrage.

Da wären etwa die Batterielieferanten. Voltabox, seit über einem Jahr auf dem Parkett, hat im vergangenen September die Akquisition des auf E-Bike- Batterien spezialisierten Unternehmens Accurate abgeschlossen. "Wie bereits beim Börsengang angekündigt, möchten wir ausgewählte Massenmärkte erschließen", sagt Chef Jürgen Pampel. Aktuell rüsten die Delbrücker vor allem Gabelstapler und fahrerlose Transportfahrzeuge aus. "Im laufenden Geschäftsjahr werden wir auch erstmals mit Batteriepacks für Pedelecs und E-Bikes signifikante Umsätze generieren", so Pampel. Die Wachstumsraten sind enorm: 2018 sprang der Umsatz um 145 Prozent auf 67 Millionen Euro hoch, 2019 will das Unternehmen bis zu 115 Millionen Euro einnehmen.

Japans Ausrüster Shimano stattet jedes zweite Rad weltweit mit Schaltungen, Ketten oder Bremsen aus und ist neuerdings mit einem eigenen E-Antrieb am Markt. Im vergangenen Jahr kletterte der Umsatz jedoch nur um knapp vier Prozent. Beim US-ameri­kanischen Federelemente-Spezialisten Fox Factory sieht das ganz anders aus. Die jüngsten Zahlen der Kalifornier konnten Anleger beruhigen, die sich Sorgen wegen des Zollstreits mit China gemacht hatten. Fox Factory steigerte den Umsatz 2018 um knapp 30 Prozent.

Beide Hersteller profitieren dabei von der wachsenden Zahlungsbereitschaft der Kunden. Für die umweltbewusste und sportive Klientel ist das Rad nicht mehr bloß ein billiges Fortbewegungsmittel. Auf den von der Berliner Klimakommission beschlossenen Radwegen will man auch was hermachen.

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Investor-Info

Accell Group
Vor dem Umsatteln

Die niederländische Accell Group hat zuletzt wegen des schwierigen Geschäfts in Nordamerika Federn gelassen. 2019 soll noch im Zeichen der Sanierung ­stehen. Accell ist im Segment E-Bikes bereits stark aufgestellt, der Anteil der teuren Räder liegt bei 71 Prozent. Analysten trauen dem Unternehmen für 2019 und 2020 hohe Gewinnsteigerungsraten zu. Ein Übernahmeangebot des Mischkonzerns Pon Holding, der seine Anteile zuletzt erhöht hat, ist möglich.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 28,00 Euro
Stoppkurs: 18,00 Euro

Fox Factory
In Gipfelnähe

Im vergangenen Jahr hat der Hersteller von Zubehör für Sporträder sowie für Motorräder wie Federelemente Rekordzahlen eingefahren: Der Umsatz stieg um 30 Prozent auf 620 Millionen US-Dollar, das operative Ergebnis wuchs noch stärker auf 125 Millionen Dollar. Unter einem neuen Vorstandschef will Fox 2019 weiter expandieren, der Umsatz soll dabei auf bis zu 715 Millionen Dollar steigen. Die Wachstumsstory ist intakt, allerdings ist die Aktie nicht mehr ganz billig zu haben.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 75,00 Euro
Stoppkurs: 47,00 Euro

Voltabox
Steiler Anstieg

Den Ausgabepreis von 24 Euro vor rund anderthalb Jahren hat Voltabox nach der Talfahrt des vergangenen Jahres noch nicht wieder erreicht. Doch der Wind hat gedreht, das starke Wachstum 2018 hat Anleger überzeugt. Auch, weil sich die Nordrhein-West­falen mit einer operativen Marge von knapp neun Prozent selbst übertroffen haben. In diesem Jahr sollen im E-Bike-Segment signifikante Umsätze erzielt werden, die Präsenz in den USA soll ebenfalls ausgebaut werden. Riskant, aber chancenreich.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 22,00 Euro
Stoppkurs: 9,80 Euro