Die Führungsriege des traditionsreichen Darmstädter Softwarekonzerns ist noch nicht lange an Bord. CEO Sanyay Brahmawar kam im Sommer 2018 zur Software AG. Finanzchef Matthias Heiden stieß vor rund einem Jahr dazu.

Das Unternehmen unterzieht sich seit drei Jahren einem Transformationsprozess, der die Margen belastet, bald aber schon Früchte tragen soll. Im Gespräch erläutert Heiden, warum dieser Weg notwendig war und wie die Software AG in Zukunft arbeiten wird.

€uro am Sonntag: Welche Veränderungen hat die Corona-Krise für die Software AG gebracht?

Matthias Heiden: Aus meiner Sicht erleben wir heute, auch in dieser Gesprächssituation über das Internet, dass es zur Digitalisierung keine Alternative gibt. Unternehmen müssen Geschäftsprozesse digitalisieren, ob es nun darum geht, Videokonferenzen zu ermöglichen, oder um die Digitalisierung von Geschäftsprozessen im engeren Sinn. Corona lässt sich als Weckruf verstehen, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Ich bin fest davon überzeugt und war es schon vor der Pandemie, die es noch einmal verdeutlicht hat: Langfristig werden nur Unternehmen erfolgreich sein, die die Digitalisierung als Herausforderung annehmen.

Welche Rolle kann die Software AG dabei übernehmen?

Wir sind mittlerweile mehr als 50 Jahre am Markt und haben ursprünglich im Bereich Datenbanken angefangen. Aber zu diesem Nukleus, den wir weiter erfolgreich und mit Stolz bearbeiten, hat sich das wichtige Thema Vernetzung und Schnittstellen gesellt.

Das bedeutet?

Wir versuchen das in unserem übergeordneten Unternehmenszweck auszudrücken: We connect people and technology for smarter tomorrow, um es in der Unternehmenssprache zu sagen. Wichtig ist, dies immer wieder in konkrete Situationen zu übersetzen und mit Leben zu füllen, damit es nicht ein abstraktes Ziel oder nur klangvolles Statement bleibt. Es geht um die Verbindungen von Menschen und Technologie. Damit werden wir uns auch über Corona hinaus beschäftigen müssen. Die Software AG entwickelt sogenannte Middleware. Als mittelständischer, unabhängiger Anbieter vernetzen wir Maschinen, Prozesse, Menschen und Daten miteinander. Oder um ein anderes Bild zu bemühen: Viele sprechen davon, Daten seien das Gold der Zukunft. In diesem Bild gesprochen liefern wir die Software, mit der man dieses Gold schürft und Daten überhaupt erst verfügbar macht.

Sehen Ihre Kunden die Notwendigkeit zur Digitalisierung und Vernetzung auch?

Die Antwort ist Ja. Wir sind als mittelständisches Unternehmen sehr nah an unseren Kunden und immer mehr als Gesprächspartner gefragt. Es ist spannend zu beobachten, dass sich die Verkaufszyklen, also die Zeit, die man braucht, um ein Produkt zu verkaufen, aktuell beschleunigen, weil sich die Kunden öffnen und sich mit dem Thema beschäftigen. Wir hatten Beispiele im vergangenen Jahr, wo wir Neukunden in den USA innerhalb von zwei bis drei Monaten gewinnen konnten. Üblicherweise hätte das sechs bis zwölf Monate dauern können. Wir können das aber auch an unserer Unternehmensentwicklung und dem wachsenden Auftragseingang festmachen oder die Häufigkeit der Gespräche mit Kunden zu Digitalisierungsthemen heranziehen.

Mit welchen Produkten kann die Software AG davon profitieren?

Damit fragen Sie nach dem zweiten oder neueren Standbein unseres Unternehmens. Wir nennen diesen Geschäftsbereich Digital Business. Es geht um Vernetzung von Systemen, Kommunikation von Systemen, egal aus welchen Quellen die Informationen stammen. Nehmen Sie beispielsweise das, worüber heute jeder redet: der Weg in die Cloud. Das führt Sie in sogenannte hybride Situationen, was bedeutet, dass Sie einen Teil Ihrer Daten und Software-Anwendungen in einem lokalen Rechenzentrum halten und andere Teile in der Cloud. Wie stellt man in einer solchen Situation sicher, dass die Daten sauber hin- und herfliegen können, der Datenaustausch stattfindet und das Ganze nutzbar wird? Das ist genau das, was wir im Digital Business erreichen und anbieten, und das als neutraler, unabhängiger Anbieter.

Warum ist das wichtig?

Weil Sie auf diese Weise eine bestimmte Abhängigkeit vermeiden. Denken Sie etwa an einen globalen Logistiker wie die DHL, die weltweit operiert und Daten austauschen muss, ob das in der Zustellung oder bei der Planung von DHL-Flugzeugen ist. Es müssen dabei, wenn Sie so wollen, Systeme überwunden werden. Damit meine ich die Grenzen unterschiedlicher Datenregime und Datenräume von Europa etwa zum asiatisch-chinesischen Bereich. Das ist gar nicht so leicht, weil Sie mit bestimmten Partnern diese Barriere, in der Branche umgangssprachlich digitaler Eiserner Vorhang genannt, nicht in allen Fällen ohne Weiteres überwinden können. An dieser Stelle ist unsere Unabhängigkeit sehr von Vorteil. Wir stellen nicht nur sicher, dass Daten verfügbar werden. Wir bieten im Digital Business über die Verfügbarkeit hinaus die Möglichkeit, Daten auszuwerten. In diesem Bereich sehen wir erhebliche Nachfrage.

Wie groß ist das Marktpotenzial für die Leistungen der Software AG?

Der adressierbare Markt hat durch den erwähnten Trend zur Digitali- sierung Rückenwind. Nach unserer Auffassung, die in letzter Konsequenz auf den Ergebnissen der gängigen Marktforschung basieren, wird der für uns adressierbare Markt bis 2024 auf 28 Milliarden US-Dollar wachsen.

Was tun Sie, um nicht nur auf diesem Markt präsent zu sein, sondern auch erfolgreich?

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Produkte nachgefragt werden. Deshalb haben wir für das Jahr 2021 ein Gesamtinvestitionsvolumen von 30 bis 40 Millionen Euro vorgesehen, von denen 40 Prozent in die Produktentwicklung fließen, damit wir uns in diesem Markt über das Liefern von Innovationen behaupten. Ich glaube, dass wir das ganz gut machen. Es wird uns regelmäßig durch externe Produktagenturen oder Industrie-Ratings bestätigt.

Wie steht es mit Wachstum durch Akquisitionen?

Wir sehen das Digital Business als Wachstumsmotor der Software AG. In den Bereichen Integration und Schnittstellenmanagement, Internet-of-Things-(IoT-)Analysen sowie im Cloud-Geschäft findet vermehrt Wachstum statt. Wir sind überzeugt, den von uns adressierbaren Markt durch Unternehmensübernahmen von den genannten 28 Milliarden Dollar auf 64 Milliarden Dollar ausdehnen zu können.

M & A ist also Teil Ihrer Strategie?

Richtig, Übernahmen gehören zur Unternehmensstrategie. Aber, um das klar zu sagen: Die Zielvorgaben für 2023, also etwa ein Umsatz von einer Milliarde Euro und auch was die Margenentwicklung angeht, beruhen auf rein organischem Wachstum. Wenn wir über M & A reden, käme das hinzu.

Nach welchen Übernahmezielen halten Sie Ausschau?

Wir haben sehr hart daran gearbeitet, um den Markt noch methodischer, noch intensiver in den Blick zu nehmen. Denn wir können uns vorstellen, in den nächsten drei bis fünf Jahren bis zu zwei Unternehmen pro Jahr zu akquirieren, um das Wachstum weiter voranzutreiben. Der Fokus dabei läge auf kleinen bis mittelgroßen, stark wachsenden Unternehmen, die in unser neues Geschäftsmodell passen, das heißt Unternehmen mit subskriptionsbasierten Geschäftsmodellen, die zu wiederkehrenden Erlösen führen. Ziel wäre es, unser Angebot an den Kunden noch ein bisschen breiter aufzufächern.

Was heißt kleine bis mittelgroße Unternehmen?

Grob kann man sagen, dass wir uns bei den Akquisitionspreisen im Bereich von 100 bis rund 500 Millionen Euro bewegen. Damit hat man eine ungefähre Größenordnung. Das Ganze hängt dann immer auch davon ab, in welcher Marktphase wir uns bewegen, also welche Multiples gerade zu bezahlen sind. Sie müssen sich ungefähr Umsatzregionen von etwa fünf bis 50 Millionen, vorstellen. Berücksichtigen muss man auch das Auftragsportfolio, das man mitakquiriert.

Sie haben die Verlagerung zu Subskriptions- oder Abonnementmodellen angesprochen. Warum diese Verlagerung?

Den Schwenk zu Abo-Modellen hat die Software AG nicht allein für sich erfunden, das ist ein allgemeiner Trend in der Branche, was daran liegt, dass die Zukunft der Datenverarbeitung eindeutig in Richtung Cloud geht. In der Cloud wird Software in der Regel als Dienstleistung (software as a service) konsumiert, und dazu passen subskriptionsbasierte oder Abo-Modelle. Das ist nicht aufzuhalten und wird nicht wieder weggehen, weil diese Form der Nutzung von Software und auch die Anpassungsmöglichkeiten innerhalb einer Subskription von den Kunden favorisiert wird.

Worin besteht der Kundennutzen?

Im Gegensatz zu früher, als der Einstieg in Softwareprojekte meist ein Kapitalinvestment mit hohen Anfangsinvestitionen war und oft erst viel später der Einsatz erfolgte und erst danach der Nutzen erbracht wurde, ist das bei heutigen Abo-Modellen anders. Subskription bedeutet für den Kunden kurz gesagt: leichterer Einstieg, erhöhter Zugang beziehungsweise schnellerer Zugang zu Innovation innerhalb der Abo-Phase und dadurch die schnellere Entfaltung der Digitalisierungspotenziale.

Und wo liegt der Vorteil für die Software AG?

Vielleicht zunächst noch mal etwas, was für beide Seiten vorteilhaft ist: Dieses Modell funktioniert nur, wenn Hersteller und Kunde gut zusammenarbeiten. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, von Anfang an ganz eng bei den Kunden zu sein, die Implementierung zu begleiten und schneller Nutzen herbeizuführen als im alten Modell, weil sonst der Zeitpunkt der Erneuerung der Subskription kommt, und der Kunde sagt, da hab ich nicht so viel von gehabt, ich kündige mein Abo. Mit anderen Worten: Die Kundenbeziehung wird zum beiderseitigen Nutzen intensiver. Dadurch entstehen natürlich mehr Kontakte zum Kunden und mehr Wissen über ihn und die Probleme, die es zu lösen gilt. Das bedeutet für uns zusätzliches Geschäftspotenzial, also was Vertriebler als cross- oder up-selling bezeichnen.

Die verstärkte Kommunikation mit dem Kunden verursacht doch auch Kosten. Lohnt es sich dennoch?

Es lohnt sich in jedem Fall. Denn eines ist nicht neu und war schon immer mein Mantra, egal in welchem Modell, ob Sie Dauerlizenzen verkaufen oder Subskriptionsmodelle: Es ist die Pflicht des Herstellers, das Kundenproblem zu verstehen und lösen zu wollen. Das heißt, Sie müssen Industrieexpertise mitbringen. Andernfalls entsteht keine langjährige Kundenbeziehung.

Schauen wir aber auf die Profitabilität, sieht das anders aus. Gemessen an der Ebitda-Marge geht sie zurück. 2017 lag sie bei 31,8 Prozent, im letzten Jahr bei 21,2 Prozent, und die Prognose für das laufende Jahr lautet zwischen 16 und 18 Prozent.

Die Margenbewegung ist überhaupt nicht wegzudiskutieren und als CFO ist es eine meiner Hauptaufgaben, diese zu erklären. Fangen wir beim Zielkorridor an, der für Ende 2023 organisch bei einer bereinigten (non-IFRS) Ebitda-Marge von 25 bis 30 Prozent liegt. Sie haben richtig gesagt, dieses Jahr lautet die Prognose 16 bis 18 Prozent. Das ist dann aber auch die unterste Stelle der Margendelle.

Was macht Sie dessen so sicher?

Es gibt zwei Gründe, warum die Marge heruntergegangen ist. Zum einen der technische Effekt aus der Umstellung des Geschäftsmodells auf Subskriptionen. Sprich: Sie gehen von der Kapitalinvestition, also hoher sofortiger Umsatzrealisierung, weg zu einer Umsatzrealisierung über die Zeit. Ab dem vierten Jahr aber schneiden sich die Linien unserer Erlösmodelle, und es geht wieder aufwärts. Der zweite Grund ist das Investitionsverhalten der Software AG als Teil unserer sogenannten Helix-Transformation. Beides führt dazu, dass die Margenentwicklung ihren Tiefpunkt im Geschäftsjahr 2021 hat. Danach gibt es in unserem Geschäftsmodell drei Wachstumstreiber, die die Marge auf den Zielkorridor bewegen: der Umstieg auf das Subskriptions-Modell, der zur mehr Software-Nutzung führt, mithin auch zu höheren Umsätzen im Zeitablauf, zweitens der Fokus auf die Gewinnung von Neukunden, die jetzt erfolgen muss, und das Dritte ist der anstehende Erneuerungszyklus, von dem wir uns versprechen, dass unsere Kunden nicht nur ihre Abos verlängern, sondern erweitern.

Warum heißt Ihr Transformationsprogramm Helix?

Für mein Verständnis ist der Name sinnvoll, weil die Veränderungen, die wir am Geschäftsmodell der Software AG vornehmen, die DNA des Unternehmens erfassen. Wir begeben uns damit auf eine spannende Reise. Das macht die Software AG nicht nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch für Vorstände attraktiv. Sonst wäre ich nicht zum Unternehmen gekommen.
 


Unternehmen:

Günstiger Einstieg

Die Software AG begann 2018 mit der Umstellung vom Verkauf von Dauerlizenzen auf Subskriptionsmodelle. Das brachte die Margen und die Aktie unter Druck. Seit dem Tiefpunkt 2019 ging es mit dem Kurs ermutigend nach oben. Die Wende schien geschafft. Doch Corona schickte den Kurs abermals in den Keller. Mittlerweile notieren die Papiere über dem Vorkrisenniveau, bewegen sich aber schon eine Weile seitwärts. Ein Einstieg erscheint noch günstig, denn die Transformation im Verbund mit hohen Investitionen sollte sich positiv auf den Kurs auswirken.
 


Vita:

Der Transformator

Veränderungen scheinen Matthias Heiden nicht zu schrecken. Der 48-Jährige wäre nach eigener Aussage nicht zur Software AG gekommen, befände sie sich nicht auf der spannenden Reise der Transformation des Geschäftsmodells. Bevor Heiden nach einer Station bei SAF-Holland zu den Darmstädtern wechselte, war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler zwölf Jahre in verschiedenen Funktionen beim größten deutschen Softwarehaus SAP tätig und auch dort an der Umstellung auf ein Abonnement- und Cloud-basiertes Geschäftsmodell beteiligt.