Ungewöhnlicher Schwächeanfall des deutschen DAX-Champions: SAP verliert in drei Tagen mehr als 10 Prozent seines Wertes. Was ist da los?

Seit Jahren gilt SAP als unerschütterlicher Fels im deutschen Börsenmeer – ein Software-Riese aus Walldorf, der in den Weltindizes zu den Schwergewichten zählt und sich selbst in turbulenten Marktphasen selten von seiner Wachstumsspur abbringen ließ. 

Umso bemerkenswerter ist das, was sich in den vergangenen Tagen abspielte: Innerhalb von nur drei Handelstagen verlor die Aktie über zehn Prozent an Wert, am Dienstag allein bis zu 6,9 Prozent, rutschte auf 232,15 Euro und unterschritt damit die psychologisch wie technisch bedeutsame 200-Tage-Linie – erstmals seit April. Ein Kursrückschlag dieser Größenordnung ist für SAP nicht nur statistisch eine Seltenheit, sondern auch ein Weckruf für Investoren, die den Titel bislang als sicheren Anker im Portfolio sahen.

Vom DAX-Dominator zum Underperformer

Noch zu Jahresbeginn thronte SAP mit einer Marktkapitalisierung jenseits der 350-Milliarden-Euro-Marke an der Spitze des europäischen Aktienmarktes und löste dabei den dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk ab. Im Februar 2025 ging die Diskussion so weit, ob die 15-Prozent-Gewichtungsgrenze im DAX für den Softwaregiganten gelockert werden müsse. Um ein Ungleichgewicht im Leitindex zu vermeiden, wurden schließlich neue Varianten des DAX eingeführt. 

Nun, ein halbes Jahr später, liegt der Indexanteil wieder bei rund 14 Prozent – jedoch nicht infolge einer Neuberechnung, sondern als direkte Folge der jüngsten Kursverluste. Während SAP 2024 noch zu den drei besten DAX-Werten zählte, hinkt der Titel 2025 deutlich hinterher. Der im Juli einsetzende Abwärtstrend hat sich zuletzt beschleunigt. Der gestern in Xetra-Handel aufgestellte Kurseinbruch von 7 Prozent markiert den größten Tagesverlust seit Oktober 2020.

„KI frisst Software“ – Sektor in der Defensive

Getrieben wird der Absturz von einer Mischung aus Branchensorgen und geopolitischen Unsicherheiten. Ein entscheidender Impuls kam aus den USA: Unter der Schlagzeile „KI frisst Software“ warnte das Finanzportal MarketWatch vor einer fundamentalen Bedrohung für etablierte Anbieter Adobe, Salesforce, Intuit and Workday. Tags darauf wurde die These auch an den deutschen Aktienmärkten gespielt.  

Die Argumentation dabei: Künstliche Intelligenz könnte traditionelle Softwarelösungen teilweise obsolet machen und den Preisdruck erhöhen – gerade im hochmargigen Lizenzgeschäft. Die Folge war eine branchenweite Abverkaufswelle, die neben SAP auch den Münchner Bausoftware-Spezialisten Nemetschek (–7 Prozent) und den französischen 3D-Design-Anbieter Dassault Systèmes (–4 Prozent) erfasste.

Hinzu kommt die Belastung durch Donald Trumps aggressive Handelspolitik. Die USA stehen für über 30 Prozent des SAP-Umsatzes – entsprechend sensibel reagieren Kunden auf politische Unsicherheit. Der schwache US-Dollar verschärft die Margenproblematik, da Wechselkurseffekte Erträge in Euro schmälern. Viele Industriekunden mit globalen Lieferketten verschieben derzeit größere IT-Investitionen, was den Auftragseingang verzögert.

Fundament solide – doch fehlender Katalysator

Operativ steht SAP weiterhin auf stabilen Beinen. Im zweiten Quartal 2025 stieg der Umsatz im Cloud- und Softwaregeschäft auf 7,97 Milliarden Euro, nur knapp unter Analystenerwartungen. Besonders der Cloud-Sektor legte um 24 Prozent zu, während der freie Cashflow sogar um 83 Prozent auf 2,36 Milliarden Euro kletterte – deutlich über Konsens. Dennoch blieb der erhoffte Kurstreiber aus: Die Jahresprognose wurde nicht angehoben, was Anlegern, die auf frische Impulse gesetzt hatten, sauer aufstieß.

Zudem erfordert die strategische Neuausrichtung auf Cloud-Modelle und KI-Lösungen kurzfristig hohe Investitionen. Zwei Milliarden Euro fließen in die Entwicklung neuer Produkte sowie in die Umschulung oder Abfindung von Mitarbeitern. Langfristig soll das SAP widerstandsfähiger machen, kurzfristig aber belasten Margendruck und Umstellungsprozesse die Stimmung an der Börse.

Charttechnik: Alarmstufe Gelb

Aus technischer Sicht befindet sich die Aktie an einem neuralgischen Punkt. Die Zone um 247 Euro, in der auch der 200-Tage-Durchschnitt verläuft, gilt als wichtige Unterstützung. Ein Bruch könnte den Abwärtstrend bis in den Bereich zwischen 200 und 220 Euro beschleunigen. 

Der Relative Strength Index ist mit 41 Punkten bereits nah an einer überverkauften Zone, was kurzfristig eine Gegenbewegung begünstigen könnte – gleichwohl warnen Charttechniker vor einem möglichen „Death Cross“, einem klassischen Verkaufssignal, wenn der 50-Tage-Schnitt unter den 200-Tage-Schnitt fällt.

Ausblick: Krisensymptom oder Einstiegschance?

Fundamental bleibt SAP ein Gigant mit tiefer Marktverankerung: Rund ein Drittel aller Unternehmen weltweit setzt auf die ERP-Systeme aus Walldorf, der Burggraben ist entsprechend breit. Laut Bloomberg-Umfrage empfehlen 26 von 34 Analysten die Aktie weiterhin zum Kauf, das durchschnittliche Kursziel liegt bei 291 Euro – einem Aufwärtspotenzial von etwa 25 Prozent.

Doch die Gemengelage aus technischer Schwäche, makroökonomischem Gegenwind und Branchenumbruch durch KI sorgt für erhöhte Volatilität. Für Investoren heißt das: Wer bereits investiert ist, sollte die charttechnische Schlüsselmarke im Blick behalten; wer neu einsteigen möchte, könnte auf eine Bodenbildung oder Rücksetzer in die Zone um 200 Euro warten. Denn ob die jüngsten Verluste als Startschuss für eine tiefergehende Korrektur oder als überzogene Panikreaktion in die Börsengeschichte eingehen werden – das wird sich erst in den kommenden Wochen und gegebenfalls Monaten zeigen.

Lesen Sie dazu auch: SAP trotz Gegenwinden mit Rekordquartal – Kaufchance nach Abverkauf?

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SAP (WKN: 716460)

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