Woran sind die Gespräche beim Hellas-Gipfel am Donnerstag in Brüssel gestern konkret gescheitert?



Griechenland und seine Gläubiger streiten weiter unerbitterlich über die Bedingungen für eine Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms. Bislang gibt es offenbar nur eine Annäherung in der Frage der Haushaltsziele bis 2016. Danach soll der griechische Staatshaushalt im laufenden Jahr einen so genannten Primärüberschuss - also vor Zinszahlungen - von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweisen. Medienberichten zufolge soll der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die Vorstellungen der Eurozone gestern kurzerhand auf 0,93 Prozent reduziert haben.

Darüberhinaus gibt es aber erhebliche Differenzen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Die Gläubiger drängen offenbar auf weitere Kürzungen auf der Ausgabenseite. Dies gilt insbesondere für den Militärhaushalt. Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat Grichenland das größte Verteidigungsbudget in der EU. Zwar hat Griechenland hier zuletzt Einsparungen von rund 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt, doch geht dies vielen Vertretern nicht weit genug. Außerdem zielen die Gläubiger auf weitere Einsparungen bei den Renten sowie auf eine geringere Anhebung der Unternehmenssteuern. Dies könnte den Anreiz für Investitionen dämpfen und damit das dringend benötigte Wachstum vollends abwürgen, heißt es in Verhandlungskreisen.

Einen weiteren grundlegenden Streit gibt es in der Frage der Schuldenlast. Berichten zufolge drängt Athen darauf, dass die EZB griechische Staatsanleihen im Volumen von rund 25 Milliarden Euro an den europäischen Rettungsschirm ESM verkauft. In einem zweiten Schritt soll der ESM die Anleihen dann durch einen Kredit ersetzen, schreibt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer in einem aktuellen Beitrag. Der Kredit wäre deutlich niedriger verzinst und hätte eine erheblich längere Laufzeit als die Anleihen. Damit "blieben in erster Linie nur noch die Zinsen und die Tilgungen" an den IWF, schreibt Krämer.

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Wie geht es in der Hellas-Krise nun weiter?



Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras trifft heute in Brüssel kurzfristig mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande zusammen. An diesem Samstag treffen sich zudem ab 17 Uhr die Euro-Finanzminister in Brüssel zur nächsten Krisensitzung.

Es dürfte eine Nacht der langen Messer werden. Der slowakische Finanzminister Peter Kazimir sagte am Freitag vorsorglich, dies sei "wirklich das letzte Treffen zu diesem Thema". Entweder werde es dann eine Lösung geben, oder man müsse sich mit den technischen Details für eine Pleite eines Euro-Zonen-Mitglieds auseinandersetzen, warnte er.

Beobachter sehen dagegen auch im Falle eines Scheiterns noch kein endgültiges Aus. Es sei "fraglich", ob die Verhandlungen dann tatsächlich beendet werden, glaubt etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Dreht die EZB Athen den Geldhahn ab?



Die Griechen heben weiterhin massenhaft Bargeld von ihren Konten ab. Das geht nur, weil die EZB griechische Banken mit der permanenten Ausweitung der ELA-Kredite über Wasser hält. Inzwischen hat die EZB Notkredite im Volumen von 88 Milliarden Euro nach Griechenland gepumpt.

Das Vorgehen der Notenbanker sorgt für wachsende Kritik. Die Entwicklung sei "beunruhigend", sagte etwa Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise gegenüber BÖRSE ONLINE und sprach sich im Falle eines Scheiterns der Gespräche zur Lösung der Hellas-Krise zudem für die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen aus. Auch innerhalb der EZB wächst die Unruhe. Bundesbank-Chef Jens Weidmann hat sich offenbar inzwischen klar gegen eine weitere Erhöhung des ELA-Kreditvolumens ausgesprochen.

Beobachter rechnen indessen nicht damit, dass die EZB Athen den Geldhahn kurzfristig abdrehen könnte und Griechenland damit endgültig in die Pleite schicken würde, schreibt etwa Unicredit-Volkswirtin Martina von Terzi. Eine solche "zutiefst politische Entscheidung" würde die EZB wohl kaum treffen wollen, glaubt auch Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Zudem haben die Ratingagenturen bereits angekündigt, dass sie die Bonitätsnoten selbst dann nicht auf "D", also Zahlungsausfall setzen würden, wenn Griechenland die am 30. Juni fällige IWF-Rate nicht zahlen würde, so Krämer.

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Wie lange dauert die Hängepartie noch?



So lange es noch einen Restfunken Hoffnung auf eine Einigung gibt, wird die EZB nicht den Stecker ziehen, schreibt Unicredit-Volkswirtin von Terzi. Als voraussichtlich allerletzte Deadline gilt unter Beobachtern der 20. Juli. Dann muss Griechenland 3,6 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Sollte Athen dazu nicht in der Lage sein, müsste die EZB ihre ELA-Liquiditätshilfen doch stoppen. Damit wäre Griechenland auch offiziell pleite.

Wie könnte es im Falle einer möglichen Einigung weitergehen?



Die internationalen Geldgeber erwägen offenbar im Falle einer Einigung mit Griechenland eine Verlängerung des Hilfsprogramms bis November. Damit würden dem pleite-bedrohten Land bis dahin insgesamt 15,3 Milliarden Euro zufließen. Zudem würden sich die Parteien damit erneut Zeit erkaufen.

An der Ausgangslage ändert sich aber zunächst nichts. Denn Griechenland wird nach Einschätzung von Volkswirten auch in den nächsten Jahren ein Haushaltsdefizit ausweisen. Außerdem gibt es noch ein weiteres grundlegendes Problem: Bislang hatten die Gläubiger im Gegenzug für finanzielle Hilfen stets auf strukturelle Reformen gedrängt. Dieser Grundsatz ist bei den laufenden Gesprächen mit Athen nun offenbar in den Hintergrund geraten.

Dabei halten führende Volkswirte grundlegende Reformen in Griechenland für unabdingbar. "Eine funktionierende staatliche Infrastruktur ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Handeln", sagte etwa der Chef der Wirtschaftsweisen, Prof. Christoph M. Schmidt, gegenüber BÖRSE ONLINE. Entsprechende Schritte seien "dringend geboten". Dies gelte insbesondere für die Schaffung "einer leistungsfähigen Steuerverwaltung".

Sollten die Geberländer nun allerdings doch vom Prinzip: "Reform für Geld" abkommen, würde dies "dem Regelwerk der Währungsunion einen weiteren schweren Schlag" versetzen, warnt Jörg Krämer von der Commerzbank. Ein fauler Kompromiss würde zudem den Reformdruck in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien vermindern. "Die Lissabon-Strategie, mit der der Euroaum eigentlich zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden sollte, wäre damit endgültig ad absurdum geführt", mahnt Krämer.

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Wie könnte es im Falle eines Scheiterns der Gespräche weitergehen?



Sollten die Gespräche zwischen der Eurozone, dem IMF und der EZB und Athen tatsächlich scheitern, wäre Athen über Nacht pleite. Dann gäbe es nach übereinstimmenden Einschätzungen von Volkswirten zu einem Ausscheiden aus der Eurozone, also einem Grexit, keine Alternative. "Die Aktienkurse würden einbrechen, die Bundrenditen spürbar nachgeben", glaubt Krämer. Anleger müssten sich also zunächst auf turbulente Zeiten einstellen.

Allerdings wäre eine solche Entwicklung womöglich auch ein heilsamer Schock. Denn das Signal für andere Euroländer wäre klar: Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen. Für die Reformbereitschaft in anderen hochverschuldeten Ländern wie Frankreich oder Italien wäre das nicht das schlechteste Signal.

Zum Autor:

Thomas Schmidtutz ist Chefredakteur von www.boerse-online.de. Der Wirtschaftsjournalist schreibt seit der Jahrtausendwende über die neuesten Trends in der IT-Szene. Außerdem kümmert sich der gebürtige Hesse schwerpunktmäßig um die deutschen Autobauer, Konjunkturthemen - und derzeit besonders intensiv um die Hellas-Krise.