Leer gefegte Straßen, Busse ohne Fahrgäste, kaum ein Mensch, dem man beim Spaziergang begegnet. Es wirkt, als hätte jemand die Pausetaste gedrückt. Das Leben in meiner Heimat Südtirol fühlt sich in diesen Tagen geradezu surreal an. Auf der Fahrt zur Apotheke im Nachbardorf werde ich von einer Polizeistreife angehalten. Glücklicherweise habe ich das Formular parat, auf dem meine persönlichen Daten samt Reiseweg erfasst sind. Dennoch löchern mich die Beamten mit Fragen zum Grund meiner Fahrt. Wo ich herkomme, wo ich hinwolle, fragt mich der Polizeibeamte freundlich, aber bestimmt.

Sobald ich weiterfahren darf, führt mich mein Weg an geschlossenen Läden und Hotels und stillgelegten Baustellen vorbei. Nur das Geschäft in der örtlichen Apotheke brummt, wo Menschen in einer kleinen Schlange, fein säuberlich im Dreimeterabstand voneinander getrennt, darauf warten, bedient zu werden. Die Einheimischen nehmen die auferlegte Quarantäne mit dem typischen Südtiroler Pragmatismus hin, ohne Murren oder Wehklagen.

Shutdown per Eildekret

Hektische Hamsterkäufe in den Lebensmittelgeschäften finden nicht statt. Passanten mit Atemschutzmasken kann man im ländlichen Südtirol an einer Hand abzählen. In der Lombardei oder Venetien ist die Lage weitaus angespannter. Gerade die Region Lombardei mit der Hauptstadt Mailand ist aufgrund der Textilindustrie wirtschaftlich eng mit China verflochten. Wohl deshalb gibt es dort italienweit die meisten Krankheitsfälle. Infektionen nehmen in der industriell geprägten Region rasant zu. Die Krankenhäuser stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, wurde per Eildekret der Shutdown für das gesamte Staatsgebiet verordnet. Der Slogan "Io resto a casa" - zu Deutsch: "Ich bleibe zu Hause" - soll die Menschen dazu animieren, nur für die nötigsten Erledigungen vor die Tür zu gehen.

Ohne triftigen Grund wie die Fahrt zur Arbeit, zu Lebensmittel- oder Medikamenteneinkäufen sind Fahrten mit dem Auto untersagt. In der Bevölkerung bleibt die Hoffnung, dass der Spuk irgendwann vorbei ist. Die ursprünglich bis 3. April erlassenen Maßnahmen wurden jedenfalls erstmal verlängert.

Diese Vollbremsung ist für die ohnehin kränkelnde italienische Wirtschaft eine Katastrophe. Auch ohne Corona kommt der Stiefelstaat konjunkturell seit Jahren nicht in die Gänge. Vom BIP-Niveau von vor der Finanzkrise 2008 ist Italien immer noch mehr als 20 Prozent entfernt. 2019 stagnierte die Wirtschaftsleistung lediglich. Der Shutdown wird das Land in eine Rezession führen.

Mittels eiligst zusammengeschusterter Maßnahmen, zum Beispiel vorübergehende Steueraufschübe, will Ministerpräsident Giuseppe Conte Bürger und Unternehmen entlasten. Reichen wird das vermutlich nicht. Der italienische Aktienmarkt preist eine allumfassende Krise bereits deutlich ein.

Großes Minus an der Börse

Die stagnierende wirtschaftliche Situation lässt sich auch am italienischen Leitindex, dem FTSE MIB, ablesen. Um über 60 Prozent ist der Index, in dem die 40 wichtigsten börsengehandelten Unternehmen Italiens gelistet sind, vom Hoch im Sommer 2007 entfernt. Der Stromanbieter Enel, der Öl- und Gasproduzent Eni sowie die Bankengruppe Intesa Sanpaolo sind die Schwergewichte im Index und zeichnen für gut ein Drittel der Indexgewichtung verantwortlich. Der Finanzsektor ist mit 30 Prozent am höchsten gewichtet, gefolgt von Versorgeraktien mit 26 Prozent.

Wer mutig ist und breit gestreut investieren möchte, kann über ETFs auf den FTSE MIB auf eine Gegenbewegung der italienischen Wirtschaft setzen. Im Bereich zwischen 13 000 und 12 300 Punkten im FTSE MIB haben die Bullen den Index bisher stets verteidigen können. Die Chancen stehen gut, dass es auch dieses Mal klappen könnte. Ein Kauflimit in dieser Region ist unter Chance-Risiko-Gesichtspunkten sinnvoll und lässt sich mit einem Stopp bei 11 900 Punkten sehr gut absichern.

Auch für Investoren, die lieber auf Einzelwerte setzen, enthält Italiens Börsenbarometer einige attraktive Titel. Etwa Enel: Der Versorger verkauft Strom und Gas an 73 Millionen Kunden weltweit. Eine weitere lukrative Einnahmequelle ist die Vermietung des Stromnetzes an Drittanbieter. Enel produziert bereits die Hälfte des Stroms mit Wasserkraftwerken, Photovoltaikanlagen und Windparks. Mit der Übernahme der spanischen Endesa hat sich das Unternehmen in Lateinamerika ein Standbein geschaffen, das im Gegensatz zum gesättigten europäischen Markt noch Wachstumsfantasie mit sich bringt.

Mit einem Anteil von 23 Prozent ist der italienische Staat ein starker Ankeraktionär, der sich mit den restlichen Aktionären über üppige jährliche Dividendenauszahlungen freuen kann. 2020 will Enel 32 Cent pro Aktie ausschütten, was einer Rendite von 5,7 Prozent entspricht - Stand jetzt. Nach dem jüngsten Kursabsturz von über 30 Prozent scheint der Titel insgesamt reif für den Einstieg.

Nicht nur die Corona-Epidemie sorgte bei Eni für rasant einbrechende Kurse, auch der jüngste Ölpreisschock lastet schwer auf der Aktie. Der voll integrierte Energietitel fördert, raffiniert und verkauft Öl und Gas, und das verteilt über den ganzen Globus. Den Fokus legt das Unternehmen zusehends auf das Gasgeschäft. Weitere, wenn auch noch kleine Standbeine sind die Stromproduktion sowie der Carsharingdienst Enjoy. Eni ist bewertungstechnisch äußerst günstig zu haben, wenngleich die gefallenen Ölpreise für massiv einbrechende Gewinne sorgen werden. Bis dato hält Eni am Dividendenvorschlag von 0,86 Cent pro Aktie fest, was einer Rendite von über zwölf Prozent entspräche. Ob diese nach dem heftigen Absturz beim Ölpreis noch realistisch ist, darf bezweifelt werden.

In über 10 000 Vertriebspunkten verkauft Amplifon seine Hörgeräte. Neben der Produktion und dem Vertrieb baut das Unternehmen seine Dienstleistungen massiv aus und weist in diesem margenstarken Segment starke Zuwachsraten auf. Ein Pluspunkt ist, dass die Gründerfamilie mit über 60 Prozent der Stimmrechte das Sagen im Unternehmen hat. Firmen mit vergleichbaren Eigentümerstrukturen wirtschaften in den meisten Fällen nachhaltiger als andere Unternehmen. Der massive Aufwärtstrend der Aktie scheint dieser Vermutung recht zu geben. Auch hier hat der jüngste Abverkauf für eine etwas attraktivere Bewertung gesorgt.

Das Geschäft mit Hörgeräten gilt als kaum konjunkturanfällig. Diese Tatsache, solide zweistellige Wachstumsraten und das durchschnittliche KGV von 39 für die letzten fünf Jahre sprechen langfristig für eine Investition. Die Aktie gehört - Corona- Crash hin oder her - schon länger zu den Favoriten der Redaktion.

China-Geschäft mit Fragezeichen

Der in Padua ansässige prestigeträchtige Modekonzern Moncler punktet beim langfristigen Wachstum. Das Unternehmen ist hochprofitabel, schuldenfrei und wuchs in den letzten fünf Jahren umsatzseitig und beim operativen Einkommen um gut 20 Prozent, und das jährlich. 43 Prozent der Umsätze werden in Asien erzielt. Die Corona-Epidemie in China wird aber massive negative Auswirkungen auf die Zahlen zum ersten Quartal haben. Dennoch ist der Konzern eine Investition wert.

Moncler ist eine waschechte Cashcow und münzt über 20 Prozent der Umsätze in Reingewinn um. Die Aktie gehört zu den besten Titeln aus dem FTSE MIB. Allerdings ist es sinnvoll, die kommenden Quartalszahlen abzuwarten.

Die Ferrari-Aktie notiert seit 2015 an der Börse. Wer damals eingestiegen ist und sich nicht von einem kurzfristigen 40-prozentigen Abverkauf hat beirren lassen, sitzt heute trotz kürzlicher Kursschwäche auf einem netten Gewinn. Das legendäre Sportwagenunternehmen verkauft seine Flitzer in alle Welt. Probleme herkömmlicher Automobilhersteller wie schwache Margen oder hohe Investitionen in die Elektromobilität hat der in Maranello ansässige Luxussportwagenproduzent nicht. Die Ausgaben für ein eigenes Formel-1-Team sind zwar exorbitant hoch, sorgen jedoch für den unschätzbaren Markenwert, der sich in Form einer beneidenswerten operativen Marge von 24 Prozent manifestiert. Die jüngste Kursschwäche eröffnet Einstiegschancen beim wachstumsstarken Autokonzern.

Hoffen auf die Notenbank

Wem italienische Aktien zu heiß sind, der könnte an den momentan attraktiv verzinsten Staatsanleihen Gefallen finden. So rentierten zehnjährige Anleihen vor gut einem Monat noch unter einem Prozent, inzwischen beträgt die Rendite vor Steuern bereits 1,6 Prozent per annum. Der aktuelle Kurs einer bis April 2030 laufenden festverzinslichen Anleihe beläuft sich momentan auf 96,38. Noch vor wenigen Wochen musste für die Anleihe ein Kurs von 104 auf den Tisch gelegt werden.

Investoren beginnen die Kreditwürdigkeit des Stiefelstaates also anzuzweifeln. Führt die EZB unter Christine Lagarde allerdings das Credo "Whatever it takes" ihres italienischen Vorgängers Mario Draghi fort, sind weitere indirekte Stützungskäufe durch die Europäische Zentralbank wahrscheinlich. Eine Pressemeldung von EZB-Seite, und schon sind Kursgewinne innerhalb kurzer Zeit möglich.

Noch ist das Land am Mittelmeer nicht über den Berg. Das Virus grassiert weiter und stellt das Gesundheitswesen vor eine Zerreißprobe. Im konjunkturell ohnehin nicht auf Rosen gebetteten Italien sorgt die Corona-Krise für massive Einschläge in der Wirtschaft. In jeder Krise liegt aber auch die Chance auf einen Neubeginn. So könnte das Zusammenrücken für neuen Schwung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sorgen und letztlich auch dem gebeutelten Aktienmarkt zu einer Auferstehung verhelfen.