Jürg Marquard, 1945 als Sohn eines Zahnarzts in Zürich geboren, entdeckte bereits als Gymnasiast den Journalismus: Er berichtete für eine Lokalzeitung über Kirchenfeste und Gemeindeversammlungen und war mit 17 bei der Frauenzeitschrift "Annabelle" für die Teenagerseite verantwortlich. Schon früh hatte er ein Faible für Lifestylethemen. So schrieb er für die eher betuliche "Annabelle" eine Reportage, wie es einem 18-Jährigen ergeht, der auf der Zürcher Flaniermeile Bahnhofstraße junge Frauen aufreißt. Nebenbei organisierte er Konzerte und managte die Schülercombo Red Lions, die in der lottrigen Villa eines toleranten Familienvaters proben durfte, dessen Söhne in der Band spielten.

Aber Texte zu schreiben genügte ihm auf Dauer nicht: "Ich bin ein Mensch, der nicht Zaungast sein möchte, ich stehe gerne inmitten des Geschehens und will Dinge selbst gestalten." Für den musikbegeisterten 20-jährigen Marquard, der gern selbst Popstar geworden wäre, besaß die Musik der Beatles und der Rolling Stones, die damals von England in die Schweiz herüberschwappte, "eine revolutionäre Sprengkraft". Und er, der auch später für sich in Anspruch nahm, stets ein Sensorium für den Zeitgeist zu haben, lieh sich nach dem Abitur von Freunden 2000 Franken und gründete eine Musikzeitschrift, die er "Pop" nannte.

Als Redaktionsraum diente eine Mansarde in der Villa, in der die Red Lions probten. Die Texte hackte er in eine klapp- rige Schreibmaschine. Die Startauflage be- trug 2000 Exemplare. "Hier ist POP! Die Zeitschrift, in welcher wir Junge wirklich unter uns sind", begrüßte der stolze, damals noch pausbäckige "Chefredaktor" Jürg Marquard seine Leser. Die bürgerliche Presse reagierte kritisch auf die musikalische "Befreiungsbewegung" der Sechzigerjahre. "Diese langhaarigen Affen mit ihren Gitarren verderben unsere Jugend", jammerte die "Neue Zürcher Zeitung". Aber "Pop" füllte eine Marktlücke in der Schweiz, und dank seiner landesweit ausgestrahlten Hitparade wurde Marquard zum Posterboy der neuen Jugendbewegung. "Er war Mister Pop in der Schweiz", erinnert sich sein Verlegerkollege Michael Ringier. "Und er hat von Anfang an klar gesehen: Er muss rein in den deutschen Markt, dort ist der große Hebel."

Bereits 1967 expandierte Pop nach Süddeutschland. Die Auflage stieg auf 25 000 und erreichte drei Jahre später bereits eine Viertelmillion. Der Hamburger Bauer Verlag, der den Marktführer "Bravo" he- rausgab, wurde nervös, und der Münchner Burda Verlag lancierte mit "Rocky" ein Konkurrenzblatt. "Acht Millionen Franken soll ihm Bauer damals für "Pop" geboten haben, verbunden mit der freundlichen Warnung, er könne entweder sehr jung sehr reich werden - oder sich von Bauer plattmachen lassen", schrieb die Schweizer Wirtschaftszeitung "Bilanz".

Der Jungverleger lehnte ab. Er fusionierte sein Blatt mit Burdas "Rocky". Das neue Blatt hieß "Pop/Rocky" und kam 1980 auf eine Auflage von rund einer halben Mil- lion. Die ersten fünf Jahre habe er sich über den Erfolg von "Pop" gefreut, gestand er später. "Dann habe ich gemerkt, dass es mir nicht genügt, eine Zeitschrift zu haben - ich wollte ein ganzes Zeitschriftenimperium." Ende 20 war Marquard bereits Millionär.

Der nächste Coup des Newcomers, der ihn endgültig in einer Medienlandschaft etablierte, die von Großkonzernen wie Springer, Bauer oder Burda dominiert wurde: Er übernahm 1981 die Lizenz des amerikanischen Frauenmagazins "Cosmopolitan", das eigentlich als gescheitert galt. Doch er vertraute seinem "Sensorium für den Zeitgeist": "Ich sah die Frau vor mir, die ich mit der Cosmopolitan ansprechen wollte" - er setzte auf ein neues Selbstverständnis der Frauen, weg von den Themen Kinder, Küche, Kirche. "Die Frauen wollen unabhängiger sein, sie wollen die Sexualität genießen, beruflich Erfolg haben, obwohl sie in einer Partnerschaft leben." Die Auflage erreichte in der Spitze rund 440 000 verkaufte Exemplare, "Cosmopolitan" wurde zu einer Anzeigenmaschine - zeitweise sei "praktisch jede zweite Seite ein bezahltes Inserat" gewesen. Marquard übernahm nun nacheinander die Zeitschriften "Mädchen", "Metal Hammer" und "Musik Express".

Expansion nach Osteuropa

Als ihm der deutschsprachige Raum zu klein wurde, wollte er, wie so viele Verlage in Deutschland, Osteuropa erobern. 1986 saß er in Budapest in einem Taxi und unterhielt sich mit dem Fahrer, der ihn motivieren wollte, in Ungarn eine Jugendzeitschrift ins Leben zu rufen. Es stellte sich heraus, dass der Fahrer auch Pressefotograf war, und eine Wohnung könne er Marquard sogleich besorgen, schließlich sei er zudem Immobilienmakler. Diese Jobs übe er eigentlich nur aus, weil sein Einkommen als Universitätsprofessor für Mathematik nicht zum Leben reiche.

Marquard war beeindruckt vom Kampfeswillen dieser Menschen und startete als erster westlicher Verleger eine Medienoffensive in Ungarn und in Polen. Am Ende besaß er in den beiden Ländern sieben Tageszeitungen und zwei Druckereien und flog regelmäßig standesgemäß in seinem Privatjet ein. Kurz vor der Jahrtausendwende verkaufte Marquard seine 13 Jugend- und Musikzeitschriften an den Axel Springer Verlag, der dafür deutlich über 80 Millionen Franken bezahlt haben soll. Später trennte er sich von seinen Tageszeitungen in Osteuropa. Er lancierte als Co-Produzent und Protagonist das erfolgreiche TV-Format "Traumjob" als Schweizer Version der Donald-Trump-Show "The Apprentice".

Marquard wohnt in der Prominentenenklave Herrliberg hoch über dem Zürichsee. An der Wohnzimmerwand hängt lebensgroß ein Schwarzweißfoto, das ihn 1968 mit dem Rockgitarristen und Sänger Jimi Hendrix zeigt. Autos im Wert von mehreren Millionen Franken sind in einem eigens errichteten gläsernen Anbau geparkt.

Der ehemalige Mister Pop ist in dritter Ehe mit dem Ex-Model Raquel Lehmann verheiratet und hat fünf Kinder und zwei Stiefkinder. Heute gehört er mit einem geschätzten Vermögen von 400 bis 450 Millionen Franken zu den 300 reichsten Schweizern. Seine Wohn- und Arbeitsorte hat er den Jahreszeiten angepasst. Seit über 25 Jahren pendelt er zwischen St. Moritz und der Karibikinsel Nevis und schippert auf seiner Jacht "Azzurra II" durchs Mittelmeer. Natürlich arbeitet er weiter, wo immer er sich gerade aufhält: "Mein Büro befindet sich in meinem Kopf, mein Arbeitsinstrument ist das iPad." Und: "Einen Rentner Marquard wird es nie geben."