Mit einem lachenden und einem weinenden Auge werden die Aktionäre von Kapsch TrafficCom auf den Börsenmonat Juni zurückblicken. Dank eines starken vierten Quartals hat das Unternehmen aus Wien im Geschäftsjahr 2018/19 (31. März) die Erwartungen erfüllt. Während der Konzernumsatz um 6,4 Prozent auf 737,8 Millionen Euro kletterte, legte der operative Gewinn um 13,9 Prozent auf 57 Millionen Euro zu. Gleichzeitig lieferten die Auftragslage und das auf 193,3 Millionen Euro deutlich gestiegene Nettoumlaufvermögen klare Hinweise darauf, dass der vom Management für 2019/20 erwartete Zuwachs von fünf Prozent bei Umsatz und operativem Ergebnis (Ebit) in jedem Fall zu schaffen ist.

Wäre da nicht der Stimmungskiller in Gestalt des Europäischen Gerichtshofs. Dessen Urteil am 18. Juni kippte das deutsche Mautsystem. Kapsch TrafficCom hatte zusammen mit dem SDAX-Unternehmen CTS Eventim den Zuschlag erhalten, das System aufzubauen und zu betreiben. Die Bundesregierung in Berlin kündigte offiziell zum 30. Juni den Vertrag. Auf Grundlage der für mindestens zwölf Jahre festgelegten Vertragslaufzeit hätte sich das gesamte Projektvolumen auf 1,6 Milliarden Euro belaufen. Allerdings müssen die bis dahin erbrachten Leistungen in Form von Meilensteinzahlungen abgerechnet werden.

Beim Kapsch-Aktienkurs hat die Enttäuschung ihre Bremsspuren hinterlassen. Der kurzfristige Aufwärtstrend ist fürs Erste beendet. Wie sich das Unternehmen rechtlich gegen Zahlungsausfälle abgesichert hat, kommentiert das Management noch nicht. Georg Kapsch ist jedoch zuversichtlich, dass die Einnahmeausfälle mehr als kompensiert werden können: "Weil wir unser Kerngeschäft und unser Portfolio an Produkt- und Servicelösungen erweitert haben, ist die Abhängigkeit von einzelnen Kunden und Projekten deutlich gesunken", so der Vorstandschef.

Für langfristig orientierte Anleger bietet sich eine gute antizyklische Einstiegs­chance. Als einer der wenigen Entwickler und Betreiber von Mautsystemen ist die Tochter des 1892 gegründeten Familienunternehmens Kapsch im Markt Mobilität global unterwegs. Kapsch sieht sich dabei als Bindeglied zwischen Betreibern - also Staaten, Kommunen und privaten Konzessionären - und Konsumenten.

Felix Lutz, Analyst bei Oddo Seydler FMR Research, erkennt gegenüber dem Wettbewerb einige Alleinstellungsmerkmale: "Kapsch ist mit seinen Lösungen in allen Märkten aufgestellt, die auf den Ausbau der Infrastruktur und deren Finanzierung über Mautsysteme ausgerichtet sind. Das Unternehmen hat weltweit reichlich Erfahrung im Projektmanagement wie auch in der Installation, Integration und dem Betreiben von Mautsystemen und Anlagen für das Verkehrsmanagement", so der Experte. Electronic Toll Collection (ETC), also elektronische Mauterfassung, ist die eine Firmensparte. Der zweite Bereich heißt Intelligent Mobility Solutions (IMS).

Hier setzt Firmenlenker Georg Kapsch auf die technische Vorreiterrolle: "Wir wollen das Portfolio bei den IMS vor allem in den Städten vorantreiben." Mit einem Umsatzanteil von zuletzt 24 Prozent ist IMS der kleinere der beiden Geschäftsbereiche. Hier entwickelt Kapsch Hardware und Software für die digitale Erfassung und Auswertung von Fahrzeug- und Verkehrsdaten, etwa um für Verkehrsleitsysteme das Fahrzeug- und Fußgänger­aufkommen zu berechnen. So sollen Auto­fahrer schneller freie Parkplätze finden und damit Zeit und Sprit sparen. Hier arbeitet Kapsch vor allem in Nordamerika an Projekten mit lokalen Behörden und baut die Position durch Übernahmen wie etwa der US-Firma eTrans Systems aus.

Wachstum jenseits des großen Teichs


Überhaupt sieht Kapsch für die nächsten Jahre Nordamerika als "wesentlichsten Wachstumsmarkt" für sein Unternehmen. Mehr als 75 neue Projekte mit einem Gesamtvolumen von 230 Millionen Euro unterhält das Unternehmen hier. Der dort forcierte Ausbau der Infrastruktur, so das Kalkül, kann nur über Mauterhebungen finanziert werden. Womit wir beim Kerngeschäft mit dem Aufbau und dem Betreiben von Mautsystemen wären. Dieses stellte zuletzt 76 Prozent am Gesamtumsatz und erzielt mit zehn Prozent auch die höhere operative Marge. Kapsch bietet von der Ausrüstung und der Installation bis zum Betreiben der Mautobjekte alle Leistungen aus einer Hand.

Dabei bietet die Firma bei zahlreichen offenen Tenderverfahren mit, meldet aber nur Großaufträge als Pressemitteilungen. Derartige Erfolgserlebnisse lassen sich in Umsatz- und Gewinnschätzungen schwer kalkulieren. Wer sich dessen bewusst ist, findet auf dem derzeitigen Kursniveau eine attraktive Bewertung. Das aktuelle 2020er-KGV lässt Spielraum für positive Überraschungen durch neue Großaufträge. Dazu verwöhnt das Unternehmen seine Aktionäre mit einer üppigen Dividende. Wegen der niedrigen Liquidität empfiehlt es sich, größere Kauf­aufträge über die Wiener Börse abzu­wickeln.