Was die Optikerkette Fielmann in Europa für Brillen, ist der italienische Einzelhändler Amplifon auf internationaler Ebene für Hörgeräte. Anders als die Sehhilfen sind Hörgeräte kein stylishes Produkt. Wer schlecht hört, möchte das seinem sozialen Umfeld am liebsten verheimlichen. Da passt es sehr gut, dass Hörgeräte immer kleiner werden und deshalb im Gehörgang platziert werden können. Ins Ohr eingedrungen ist zudem die Digitalisierung. Wer ein Hörgerät trägt, kann jetzt auch per Internet oder Smartphone in Kontakt mit den Spezialisten treten, um sich Rat zu holen oder das Gerät anzupassen. Mit jährlichen Wachstumsraten von fünf bis sechs Prozent sind die Hörgeräte unter allen Medtech-Sektoren der größte Nutznießer einer zunehmend alternden Erdbevölkerung. Amplifon wächst hier schneller als der Markt. Mit diesem Qualitätsmerkmal ist die Aktie zum Überflieger in unruhigen Börsenzeiten avanciert. Seit Mai hat der Börsenwert um ein Drittel zugelegt.

Wachstumstreiber Demografie


Die Zeit spielt Firmen wie Amplifon in die Hände, denn weltweit steigt die Zahl der Personen, die an arbeits- oder lärmbedingten Hörschäden leiden. Aktuelle Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen von 466 Millionen Menschen aus, deren Hörvermögen beeinträchtigt ist. Bis 2050 soll sich diese Zahl auf 900 Millionen fast verdoppeln.

Der globale Markt für Hörgeräte soll von 2017 bis 2025 von 7,0 auf 12,1 Milliarden US-Dollar wachsen. Treibende Kräfte neben dem demografischen Faktor sind der technologische Fortschritt, eine wachsende soziale Akzeptanz von Hörgeräten und die geringe Marktdurchdringung in Schwellenländern. Reichlich Aufhol­potenzial bieten aber auch die Industrie­staaten. Schätzungen zufolge liegt die Penetrationsrate dort erst bei 30 Prozent.

Bei den privaten und börsennotierten Firmen, die in diesem Markt aktiv sind, bietet sich ein unterschiedliches Bild. "Der Hörgerätemarkt ist aufseiten der Hersteller konsolidiert, im Einzelhandel aber nach wie vor fragmentiert", erläutert Hendrik Lofruthe, Portfoliomanager bei Apo Asset Management. Mit elf Prozent ist Amplifon hier der größte Akteur, der sein organisches Wachstum über Zukäufe ergänzt.

Jüngster Coup war die 528 Millionen Euro schwere Akquisition von GAES im Sommer 2018. Mit 600 Läden und einem Jahresumsatz von zuletzt 210 Millionen Euro ist die spanische Firma der weltweit größte Anbieter spezieller Hörhilfen und neben Spanien vor allem in Lateinamerika stark aufgestellt. Die jüngsten Halbjahreszahlen untermauern den GAES-Effekt: Wechselkursbereinigt stand ein Umsatzplus von 25 Prozent auf 832 Millionen Euro zu Buche. Ohne den Zukauf wäre Amplifon um 5,6 Prozent gewachsen. Der operative Gewinn auf Ebitda-Basis legte noch stärker zu: um 28,4 Prozent auf 141,2 Millionen Euro.

"Als reiner Einzelhändler hat Amplifon alle großen Marken im Angebot und dank seiner Umsatzgröße und flächendeckenden Präsenz beim Einkauf eine große Preissetzungsmacht gegenüber den Herstellern", betont Lofruthe die Vorteile des Geschäftsmodells. Damit, so der Experte weiter, könne das Unternehmen den Marketingfaktor als weiteren Pluspunkt ausspielen: Größere Kampagnen für neue Produkte schlagen sich in der Regel in den darauffolgenden Quartalen in höheren Umsätzen nieder.

Hohe Bewertung, hohes Wachstum


Womit wir bei der Aktienbewertung wären. Wegen ihres defensiven Charakters aufgrund stabiler Einnahmen und Mittelzuflüsse gestehen Investoren den Hörgeräteherstellern höhere Bewertungs-Multiples zu. Gleichwohl ist Amplifon mit einem 2020er-KGV jenseits der 30 mittlerweile sportlich bewertet. Reine Hörgerätehersteller wie Sonova oder GN Store kommen mit um die 25 optisch günstiger daher. Als Grund hat Hendrik Lofruthe eine Trendumkehr ausgemacht: "Aufgrund begrenzter Innovationskraft war Amplifon in der Vergangenheit niedriger bewertet als die Hersteller. Inzwischen haben die Investoren die Vorzüge von Amplifons Vertriebsmodell entdeckt."

Langfristig sprechen jedoch zwei Faktoren für die Aktie der Italiener. Mit einem erwarteten Gewinnwachstum von im Schnitt 25 Prozent auf Sicht der nächsten drei Jahre ist die Gesellschaft im Branchenvergleich top. Und wenn sich in den kommenden Jahren die Synergieeffekte aus der GAES-Akquisition entfalten, sollten auch bei der operativen Marge auf Ebitda-Basis mehr als die 17 Prozent drin sein, die Amplifon zuletzt berichtete. Von den reinen Geräteherstellern kam hier lediglich Sonova mit 21,5 Prozent auf eine deutlich höhere Profitabilität.

Kursrücksetzer sollten für einen Einstieg bei Amplifon genutzt werden. Langfristig ist die Gesellschaft in ihrem Segment größter Profiteur der fortschreitenden Konsolidierung. Und dank des defensiven Branchencharakters und der internationalen Ausrichtung ist das operative Geschäft nur am Rande von der wirtschaftlichen Stagnation des Heimatmarkts Italien betroffen.