Wer Berichte über den Zustand des Finanzsektors liest, dem werden die zahlreichen Plattitüden sicherlich auffallen. Thesen wie jene, dass sich die Branche in einem "massiven Umbruch" befindet, sind schließlich alles andere als neu.

Binsenweisheiten thematisch aufzugreifen, muss aber dennoch kein Fehler sein. Jedenfalls dann nicht, wenn die Allgemeinplätze zutreffen. Bei der aufgestellten These zum Finanzsektor scheint genau das der Fall zu sein. Es ist sogar anzunehmen, dass das Umbruchstempo schon bald an Fahrt gewinnt. Denn viele der für den Wandel als treibende Kräfte einzustufende Technologien wie Digitalisierung, fortschrittliche Analytik, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder Blockchain sind gerade erst dabei, ihre ganze Wirkung zu entfalten.

Zumindest lassen genau darauf viele aktuelle Aussagen unterschiedlichster Branchenexperten schließen. So warnte jüngst erst das Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Joachim Wuermeling, beim 13. Regulatorischen Symposium der Börse Stuttgart, dass "die digitale Transformation der deutschen Finanzbranche kein fernes Zukunftsszenario ist, sondern schon jetzt passiert".

Der Kunde mag’s digital


Die UBS spricht sogar von einer industriellen Revolution im Bankensektor. Zur Untermauerung dieser Einschätzung ver­weist die Schweizer Großbank auf Regulierungsbehörden, die vielerorts an einer Verringerung der Zugangsbarrieren arbeiten. Dazu zählen unter anderem die Erteilung digitaler Banklizenzen oder die Öffnung des Zugangs für Dritte zu Kundendaten durch Open Banking. Das senkt die Kosten für Finanzdienstleister-­Start-ups und die großen Techunternehmen haben ohnehin längst großes Interesse daran, Finanzdienstleistungen anzubieten.

Hinzu kommt, dass die Kunden digitalem Selfservice immer offener gegenüberstehen. So nutzen in Deutschland laut dem von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY ermittelten Global FinTech Adoption Index 2019 inzwischen 64 Prozent (2017: 35 Prozent) der Verbraucher digitale Finanzangebote. Das entspricht dem weltweiten Durchschnittsniveau. Wobei in China und Indien der Anteil sogar schon jeweils 87 Prozent beträgt.

Nicht nur in unserem Alltagsleben, sondern auch im Finanzbereich hält die Digitalisierung immer mehr Einzug. Am deutlichsten erkennbar ist das laut Landesbank Baden-Württemberg durch das Aufkommen der Fintech-Unternehmen, die technologisch weiterentwickelte Finanzinnovationen anbieten. Deren Aufstieg ist nach dem Urteil des deutschen Kreditinstituts kein Hype, der wieder vorübergeht. Vielmehr dürften sie die Art und Weise mit vorantreiben, wie Banken (intern) arbeiten und Finanzprodukte an die Kunden vertreiben.

Einen wichtigen Baustein bei der Transformation und der Digitalisierung stellt die künstliche Intelligenz (KI) dar. Der Begriff bezeichnet die Fähigkeit von Computern, Wissen ohne zusätzliche Eingriffe von Programmierern zu erwerben und anzuwenden, wie Orçun Kaya in einer Studie schreibt. Darin erklärt der Analyst der Deutschen Bank, dass die Nutzung von Informationstechnologie bereits in der Vergangenheit zu beträchtlichen Effizienzverbesserungen und Umsatzsteigerungen im Finanzsektor geführt hat. Künstliche Intelligenz verspreche nun einen ähnlichen Effekt. Aktuell sei deren Nutzung im Bankensektor zwar noch moderat und Datenschutzvorgaben sowie die strikte Branchenregulierung könnten deren Einsatz weiterhin hemmen. Wegen der wachsenden Konkurrenz sei es gleichzeitig auch so, dass möglicherweise von einem raschen Einsatz von künstlicher Intelligenz abhänge, ob traditionelle Banken konkurrenzfähig bleiben.

Laut UBS entfallen im Bankwesen rund 65 Prozent der Betriebskosten auf das Personal. Das heißt, wem es gelingt, Arbeitsabläufe zu automatisieren und zu digitalisieren, der kann viel Geld sparen. Doch nicht nur das: Vielmehr ist, gemäß einer Umfrage der UBS, das Hauptziel einer Implementierung von künstlicher Intelligenz bei Banken die Verbesserung des Kundenerlebnisses und der Kundenbindung, gefolgt von Kosteneinsparungen.

Banking-Neulinge im Vorteil


Die großen Techkonzerne haben natürlich den Vorteil, technologisch einfach besser gerüstet zu sein. Etablierte Finanz­unternehmen sind aber deshalb nicht chancenlos - die Kunden billigen ihnen in Finanzfragen nach wie vor eine höhere Kompetenz zu. Zudem genießen sie auch in Sachen Datensicherheit einen Vertrauensvorschuss gegenüber Alphabet und Co.

Etwas skeptisch wiederum stimmt dagegen, dass die Banken zwar viel Geld in den technologischen Wandel stecken, aber die große Schlagkraft - wie etwa die Techriesen - scheinen sie dabei nicht zu entfalten. Bei den 49 untersuchten Banken waren die getätigten Ausgaben im Vorjahr mit 18 Milliarden US-Dollar lediglich so hoch, wie Google und Amazon allein im Jahr 2018 für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben.

Erkenntnisse wie diese bringen die Analysten bei der US-Bank Morgan Stanley zu folgendem Schluss: "Wir glauben, dass die Uhr für die Banken tickt, denn Neueinsteiger können Bankdienstleistungen auch dank neuerer Technologie um bis zu 50 Prozent billiger anbieten. Fürs Erste sitzen die Banken aufgrund ihrer Netzwerke, einer günstigeren Finanzierung und einem höheren Kundenvertrauen zwar noch auf dem Fahrersitz. Aber sie müssen schnell handeln, um keine disruptive Störung zu erleiden." Auch in anderen Bereichen ist bekanntlich die von der künstlichen Intelligenz ausgehende zerstörerische Kraft zu beobachten. Weil die Technologie wenige Gewinner und viele Verlierer hervorbringt, hat sich die Lebenserwartung von Unternehmen verkürzt. Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund laut dem von der UBS erstellten Global Family Office Report 87 Prozent der Befragten in der künstlichen Intelligenz den nächsten großen Disruptionsfaktor für die globale Wirtschaft sehen.

Ergänzend dazu passt das Ergebnis einer Umfrage von BNY Mellon Investment Management unter institutionellen Anlegern. Demnach sehen 33 Prozent der Befragten in künstlicher Intelligenz ein Anlagerisiko, das zu gesellschaftlichen Verwerfungen und geopolitischen Spannungen führen könnte. Der Großteil, über 50 Prozent, stuft künstliche Intelligenz zwar als Risiko ein, sieht aber gleichzeitig auch Anlagechancen.

Kaufchancen gibt es aus unserer Sicht dabei im Finanzsektor insbesondere bei Instituten, die in puncto Digitalisierung eine Vorreiterrolle einnehmen. In diesem Glauben bestärkt uns auch die aktuelle European Banking Study des Finanzsektor-Beraters ZEB. Darin stellen die Studienautoren mit Blick auf Banken fest, dass sich jene, die sich bereits früh und sehr aktiv mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt haben, in der Regel eine deutlich höhere finanzielle Performance in allen relevanten Bankkennzahlen vorweisen. Zudem lag ihre Kapitalmarktperformance deutlich über dem Durchschnitt der europäischen Banken.

Um sich als eine der nachfolgenden sechs Kaufempfehlungen zu qualifizieren, reichte ein Status als Digital-Pionier aber nicht aus. Vielmehr achteten wir bei den Auswahlkriterien auch auf eine relativ vernünftige Bewertung sowie ein ansprechendes Chartbild.





Unsere sechs Favoriten

Mit Leichtigkeit in die Favoritengruppe schaffte es die DBS Group. Der in Singapur ansässige Finanzdienstleister bekam in diesem Jahr vom Finanzmagazin "Euromoney" den Titel "Beste Bank der Welt" verliehen. Die DBS ist damit das erste Unternehmen außerhalb der USA oder Westeuropa, das in der 27-jährigen Geschichte des Awards den Spitzenplatz erklimmen konnte. Zu verdanken ist das auch der starken technologischen Aufstellung. Nach eigenen Angaben machen "digitale Kunden" 48 Prozent der Privat- und Kleinunternehmer-Kunden aus. Das ist eine gute Nachricht, weil diese Gruppe weniger Kosten verursacht als traditionelle Klienten. Hinzu kommen für 2019 ein KGV von nur etwa zehn sowie eine Dividendenrendite von fast fünf Prozent.

Der zweite Favorit stammt mit der Bank Central Asia ebenso aus Asien. Und wie die DBS konnte auch dieses Institut beim "Euromoney"-Award punkten. Das Finanzmagazin hat die Bank als "Beste heimische Bank in Indonesien" ausgezeichnet und auch als "Beste Digitalbank des Landes". Die Gesellschaft hat ihre digitalen Aktivitäten über das Internet und mobile Kanäle sowie Geldautomaten ausgebaut, die mittlerweile 98 Prozent des Transaktionsvolumens ausmachen. Zudem hat man sich zum Ausbau der Digitalgeschäfte mit Finanztechnologie- und E-Commerce-­Unternehmen zusammengeschlossen und investiert in Start-up-Fintech-Unternehmen. Punkten kann die Aktie außerdem mit einer starken Performance (Kursanstieg von 2011 bis 2019 von 0,02 Euro auf in der Spitze 2,04 Euro). Ein intakter Aufwärtstrend macht diesen Titel zu einem charttechnischen Dauerläufer, was im Bankensektor eine Ausnahmestellung darstellt.

In den USA stufen wir JP Morgan Chase & Co. als gut gerüstet ein, um den technologisch bedingten Ausleseprozess zu überstehen. Die nach Bilanzsumme größte Bank der USA investiert eifrig in Technologie und verfügt über ein jährliches IT-Budget von rund elf Milliarden Dollar. Auch wurde frühzeitig Geld in künstliche Intelligenz und Robotik gesteckt - daraus resultieren Anwendungen in den Bereichen Betrugserkennung, Cybersicherheit und Automatisierung. Laut "Euromoney" dominiert JP Morgan das Firmenkundengeschäft sowie das Investment-Banking, was der Award als "Beste globale Investmentbank" widerspiegelt. Diese Stellung hat die Gesellschaft eben erst mit überzeugenden Quartalszahlen untermauert. Die Börse belohnte das mit einem Vorstoß zu neuen Kursrekorden.

Ebenfalls auf Rekordjagd ist das kalifornische Unternehmen Apple, unsere zweite Empfehlung aus den USA. Jene Aktie, der wir erst kürzlich in Ausgabe 40/2019 dank der Aktivitäten im Megatrend Augmented Reality Chancen zugebilligt hatten. Zudem misst der Konzern auch der künstlichen Intelligenz große Bedeutung bei und setzt dies im neuen Smartphone iPhone 11 Pro verstärkt ein. Als Finanzdienstleiter kommt die Tech-Ikone durch Apple Pay ins Spiel, das Zahlungssystem für hauseigene, mobile Geräte. Hinzu kommt die neue Apple Card, eine Kreditkarte, die laut Vorstandschef des Partners Goldman Sachs gerade den erfolgreichsten Kreditkarten-Start aller Zeiten hingelegt hat. Wir trauen Apple zu, als Finanzdienstleister zusehends Fuß zu fassen.

Aus Europa schicken wir als einen von zwei Werten Ingenico Group an den Start. Dahinter steckt eine französische Unternehmensgruppe, die weltweit im Bereich gesicherte, bargeldlose Transaktions- und Zahlungssysteme tätig ist. Die Gesellschaft bietet ein Angebot an Dienstleistungen und Bezahllösungen, welche die Komplexität beim Bezahlen auf ein Minimum reduzieren sollen. Zudem dienen diese unabhängig vom Vertriebskanal und Zahlverfahren dazu, das Einkaufserlebnis für die Kunden reibungslos und sicher zu machen. Der Konzern ist gerade dabei, sich von einem reinen Terminalhersteller zu einem Finanzdienstleister zu wandeln. Diesen Umbau dokumentiert unter anderem ein neues Angebot. Dabei handelt es sich um die Einführung einer Vielzahl maßgeschneiderter Zahlungsmethoden in China, die den Vorlieben der lokalen Verbraucher Rechnung tragen - was für internationale E-Commerce-Unternehmen den Zugang zu einem der wichtigsten Onlinemärkte der Welt verbessert.

Eine Chance, sich als Vertreter aus Europa zu beweisen, geben wir auch den Anteilscheinen der Banca Mediolanum. Der in den Bereichen Banking, Versicherungswesen und Vermögensverwaltung tätige italienische Finanzdienstleister steht modernen Instrumenten aufgeschlossen gegenüber, sofern das seinen rund 1,2 Millionen Kunden dient. Schon 2012 engagierte das Unternehmen externe Berater, die beim Thema Digitalisierung berieten - was zur Umsetzung von zahlreichen Projekten führte. Banca Mediolanum war die erste Bank in Italien, die ihre Dienstleistungen online anbot.

Als erstes Institut machte der Konzern auch die vier kontaktlosen Bezahldienste Apple Pay, Google Pay, Samsung Pay und Garmin Pay verfügbar. Bei der Kundenansprache kommt im Übrigen BigQuery zum Einsatz, ein Webdienst, der die interaktive Analyse umfangreicher Datensätze in Verbindung mit Google Storage ermöglicht. Weiterer Pluspunkt: Für 2019 winkt hier eine Dividendenrendite von 5,5 Prozent.



Mehr zur Geldanlage durch Robo-Advisor auf Seite 2:

Robo-Advisor: Aufstieg mit Hindernissen


Geldanlage an der Börse war schon immer auch ein Kräftemessen. Beim Performance-Wettstreit kämpften Anleger lange primär mit dem Gesamtmarkt als Gegner. Diesen Kampf zu gewinnen war bekanntlich schon schwer. Aber inzwischen ist alles noch diffiziler geworden, kommt es mit dem Aufstieg von Technologie heutzutage beim Investieren doch immer öfter auch zum Kampf zwischen Mensch und Maschine.

Zu den neuen Herausforderern zählen unter anderem die in Deutschland seit 2013 aktiven Robo-Advisor. Laut dem digitalen Vermögensverwalter Scalable Capital bezieht sich der Begriff auf Firmen, die Privatanlegern mit automatisierten Prozessen beim Geldanlegen helfen. Das Angebotsspektrum reicht von reinen Auswahltools für Fondsprodukte bis hin zu vollwertigen Vermögensverwaltern mit umfassenden Services wie Portfolioumschichtungen.

Nachdem passiv gemanagte Indexprodukte (ETFs) den aktiv verwalteten Anlagen im Aktienbereich inzwischen den Rang abgelaufen haben, verfügen Robo-Berater allerdings über einen noch sehr geringen Marktanteil am insgesamt verwalteten Vermögen (knapp 0,5 Prozent in den USA). Zudem ist die durchschnittliche Summe des verwalteten Vermögens pro Nutzer mit knapp 19 000 Euro ebenfalls noch relativ niedrig. Andererseits befindet sich das Segment auf einem strammen Wachstumskurs. Nach Angaben des Datenportals Statista ist das von Robo-Beratern verwaltete Vermögen 2019 auf 868,3 Milliarden Euro zu taxieren. Bis 2023 dürften daraus 2,26 Billionen Euro werden (ein Wachstum von 27 Prozent). Und Morgan Stanley hält bis 2025 die Eroberung eines Marktanteils von fünf Prozent für möglich.

Kosten entscheiden

Auf dem weiteren Weg nach oben sollten jedoch auch Rückschläge einkalkuliert werden. So ist die Schweizer Glarner Kantonalbank wegen zu geringer Nachfrage dabei, ihr Robo-Advisor-Angebot zu beenden, obwohl das Institut als führende Digitalbank gilt. Um auch bei den Eidgenossen das Interesse zu steigern, würden sicherlich überdurchschnittlich gute Performance-Ergebnisse helfen. Die Resultate fallen bislang aber nicht eindeutig aus. Entscheidend ist ohnehin die Langfrist-Performance, wozu es wegen der jungen Historie des Segments jedoch noch zu wenige aussagekräftige Daten gibt.

Doch diesen Nachteil könnte die Zeit beheben - zumindest sofern es den Robo-Beratern gelingt, gute Ergebnisse zu liefern. Die Chancen dafür sind durchaus gegeben: Denn erstens gelingt es selbst vielen Profis nicht, den Gesamtmarkt zu schlagen, und zweitens verfügen Robo-Advisor über den Vorteil geringerer Gebühren als die traditionellen Vermögensverwalter.

Zudem dürfte die eingesetzte Hard- und Software im Lauf der Zeit ihre Leistungsfähigkeit weiter verbessern. Deshalb wäre es wenig überraschend, wenn Robo-Berater den etablierten Vermögensverwaltern Marktanteile abknüpfen.

Wobei das vermutlich mit einer verstärkten Verknüpfung von Mensch und Maschine beim Anlageprozess einhergehen dürfte. Ob man aber mit "Mr. Market" und somit ETFs konkurrieren kann, scheint bislang noch offen. Der Deutsche Bank-Analyst Orçun Kaya sieht Robo-­Advisor auf einem steinigen Weg. Doch gleichzeitig billigt er ihnen erhebliches Wachstumspotenzial zu, falls sie technologieaffine Kunden überzeugen können.

Chancen wittern offenbar auch etablierte Vermögensverwalter. Zumindest spricht dafür eine Umfrage unter Anbietern mit einem verwalteten Vermögen von insgesamt mehr als 15 Billionen Dollar. Demnach haben davon 70 Prozent entweder bereits eine Robo-Plattform oder planen deren Einführung binnen zwölf Monaten. Es tut sich also einiges in dem Segment.