Leiwand" - auf Hochdeutsch "toll" - nennen die Wiener so etwas wie die Kursperformance, die das wichtigste österreichische Börsenbarometer seit Jahresanfang hingelegt hat. Über 25 Prozent an Wert gewonnen hat der ATX 20 seitdem - und damit nicht nur den DAX, sondern auch den S & P 500 abgehängt.

Die meisten österreichischen Standardwerte sind in zyklischen Branchen zu Hause, bei denen die konjunkturelle Erholung erst in diesem Jahr eingesetzt hat. Banken, Versicherer, Immobilienkonzerne, Öl und Stahl spielen im ATX 20 eine gewichtige Rolle. "Die Wiener Börse ist in Abschwungphasen meist Underperformer, erholt sich daraufhin aber meist deutlich stärker", erläutert Friedrich Mostböck, Leiter der Aktienanalyse bei der Erste Group.

Zudem bewegen sich viele österreichische Firmen wegen ihrer relativ niedrigen Marktkapitalisierung unterm Radar der meisten internationalen Investoren. So kommen alle im ATX versammelten Firmen in der Summe auf einen niedrigeren Börsenwert als der aktuelle DAX-Spitzenreiter SAP mit seinen 142 Milliarden Euro.

Interessant für internationale Anleger sind Firmen, die einen Großteil ihrer Absatzmärkte in Osteuropa oder Südosteuropa haben. Regionen also, zu denen das Land aus den Zeiten der Habsburger Monarchie historisch gewachsene Wirtschafts- und Handelsbeziehungen unterhält. "Österreich ist nach wie vor eine Drehscheibe für diese Länder", erläutert Erste-Group-Experte Mostböck. "75 Prozent der im ATX enthaltenen Konzerne erwirtschaften einen Großteil ihrer Umsätze und Erträge in Mittelosteuropa." Bei der Erste Group, dem größten Geldhaus der Alpenrepublik, zeigt sich dieser Fokus darin, dass die Aktie an den Börsen Wien, Prag und Bukarest gelistet ist.

Die österreichische Börse zeichnet sich zudem durch einen hohen Anteil familiengeführter Unternehmen aus. Allerdings finden viele von ihnen wegen ihrer vergleichsweise niedrigen Marktkapitalisierung bei den meisten internationalen Investoren wenig Beachtung. Etliche dieser Nebenwerte seien Weltmeister in ihren Marktnischen, meint Wolfgang Matejka von der gleichnamigen Vermögensverwaltung Matejka & Partner Asset Management und räumt mit einem anderen Vorurteil auf: "Viele ausländische Investoren haben immer noch im Kopf, dass man in Österreich wegen der relativ geringen Liquidität hinein, aber kaum wieder hinauskommt. Für langfristige Investoren trifft das nicht zu, denn österreichische Einzeltitel werden von internationalen Investoren relativ spät entdeckt und dann kann man zumeist sehr liquide verkaufen."

Auf Zykliker setzen

Aktien von Unternehmen wie den Bauzulieferern Wienerberger und Palfinger oder dem Kartonagenhersteller Mayr-Melnhof Karton, die BÖRSE ONLINE bereits seit Längerem empfohlen hat, sind bereits gut gelaufen. Vor dem Einstieg sollten Anleger erst Kursrücksetzer abwarten. Das gilt auch für den Anlagenbauer Lenzing zeichnet sich dagegen eine nachhaltige Erholung ab, weil die Nachfrage aus der Modeindustrie und dem Einzelhandel wieder kräftig anzieht. Die höheren Rohstoffpreise kann die Gesellschaft wegen der leeren Lagerbestände an die Kunden weitergeben. Geht es mit den Viskosepreisen weiter nach oben, sollte Lenzing 2021 beim Gewinn wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Klar im Aufwind befindet sich auch die Erste Group, die zu den größten Kreditgebern in Osteuropa zählt. Weniger Risikokosten für faule Kredite, hohe Provisionsüberschüsse und ein starkes Geschäft mit der Vermögensverwaltung sorgten dafür, dass das erste Quartal besser als erwartet ausfiel. Nach der Gewinnhalbierung des Vorjahres sieht Vorstandschef Bernd Spalt 2021 als "Jahr der Trendwende". Im Aktienkurs ist die Gewinnerholung noch nicht eingepreist.

Das Geschäftsmodell von Frequentis glänzt mit seiner hochgradigen Krisenresistenz. Der Entwickler von sicherheitskritischen Informations- und Kommunikationssystemen zählt zivile und militärische Flugsicherungen, aber auch Polizei, Rettungsdienste, Bahn und maritime Behörden zum Kundenstamm. Weil diese Infrastrukturen immer auf dem neusten Stand gehalten werden müssen, verursachte die Corona-Pandemie keinen Nachfrageeinbruch. Darüber hinaus sorgen die langen Vertragslaufzeiten von drei bis fünf Jahren für eine hohe Planungssicherheit.

AT & S mit Sitz in der Steiermark produziert Leiterplatten und integrierte Schaltkreise, IC-Substrate genannt, die als Verbindungselemente zwischen Leiterplatte und Chip dienen. In den meisten Servern, 5-G-Basisstationen und modernen Autos sind sie technologischer Standard. Den Aktienkurs beflügelt hat die Ankündigung, in Südostasien bis 2025 für 1,7 Milliarden Euro eine neue Fertigungsstätte zu errichten. Damit verbunden ist eine kräftige Anhebung der Gewinn- und Margenziele bis 2025. Die Aktie steht damit vor einer Neubewertung.

 


Auf einen Blick

Wiener Börse

Traditionshaus: Die 1771 von Kaiserin Maria Theresia gegründete Börse feiert heuer ihr 250-jähriges Bestehen. Damals sollte sie dem finanzschwachen Staat Geld durch Staatsanleihen verschaffen, heute ist sie Heimat vieler Firmen mit einem Osteuropa-Fokus.