Manchmal finden sich Koalitionen, die lange Zeit unmöglich schienen. Beispielsweise zwischen Verbraucherschützern und FDP. Während der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) üblicherweise für Sicherheit in der Altersvorsorge steht, empfehlen die Liberalen seit Jahrzehnten mehr Risiko. Nun hat der Verband umgedacht und begeistert sich für das Projekt einer sogenannten Aktienrente.

Vorbild ist Schweden: Ein staatlicher Fonds legt Einzahlungen komplett in Aktien an, bis der Versicherte 55 Jahre alt ist. Danach fließt ein stetig wachsender Anteil in festverzinsliche Papiere. Allerdings gibt es Unterschiede: Geht es nach der FDP, soll der Fonds ein Teil der gesetzlichen Rente werden. Die Verbraucherschützer wollen hingegen die - vom Staat lediglich bezuschusste - Riester-Rente durch die Aktienrente ersetzen. Kehrseite speziell des vzbv-Plans (dessen Riester-Aspekt von Teilen der Union, SPD und Grünen unterstützt wird): Es gäbe weniger Sicherheit für Vorsorgesparer. Denn es müsste die sogenannte Bruttobeitragsgarantie fallen, um tatsächlich diese Anlagefreiheit zu bieten (siehe Glossar unten).

Laut Gesetz sind derzeit bei Riester- Kontrakten zu Renteneintritt zumindest die Einzahlungen plus Zulagen zu garantieren. Ähnliches gilt bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV), soweit sie durch die sogenannte Entgeltumwandlung staatlich gefördert ist. Hier müssen bei Renteneintritt in den meisten Fällen immerhin die Einzahlungen garantiert sein. Problem: Die Bruttobeitragsgarantie ist angesichts der weltweiten Schrumpfzinsen eine Renditebremse. Die Anbieter müssen umso mehr Geld in Anleihen stecken, je niedriger die Zinsen sind. Deshalb stehen immer weniger Mittel für rentablere Investments wie zum Beispiel Aktien zur Verfügung.

Die Große Koalition hat sich nicht dazu durchringen können, die Bruttobeitragsgarantie aufzuheben. Die Regierung schiebt diesen Schritt seit Jahren vor sich her, weil sie die staatlich geförderte Altersvorsorge generell reformieren will und nicht mit einem Detail vorpreschen möchte. Wenn man sich die Äußerungen aller Bundestagsparteien ansieht, wird eine - wie auch immer geartete - neue Regierung nach der Bundestagswahl solch eine Neuregelung angehen. Das ist auch der Hintergrund des eingangs beschriebenen Vorstoßes.

Die Versicherer machen bereits jetzt mobil. Sie tragen besonders schwer an der Bruttobeitragsgarantie. Zum einen ist die Assekuranzbranche bei Riester und Entgeltumwandlung der wichtigste Anbieter und hat entsprechend viele Verträge im Bestand. Zum anderen haben die Versicherer im Neugeschäft mit Policen ein spezielles Problem mit dem staatlich festgelegten Garantiezins von derzeit 0,9 Prozent. Laut Gesetz darf den Kunden an Kosten im Durchschnitt nicht mehr abgezogen werden als dieser Garantiezins. Zum Jahreswechsel sinkt der Wert auf 0,25 Prozent. Und die Versicherer können oder wollen ihre Kosten nicht so weit drücken.

So versandte der Marktführer Allianz vor wenigen Tagen eine Mitteilung, wonach Arbeitgeber (über sie muss laut Gesetz die bAV laufen) für einzelne Beschäftigte nur noch bis zum 1. August 2021 Verträge mit Bruttobeitragsgarantie abschließen können. Neue Gruppenverträge, beispielsweise für gesamte Belegschaften, sind schon seit 1. Juli nicht mehr möglich. Faktisch bedeutet dies einen erheblichen Einschnitt zumindest für bestimmte Spielarten der Entgeltumwandlung. Vor der Allianz sind erst wenige Versicherer so weit gegangen. Jetzt aber sind Nachahmer wahrscheinlich.

Ähnlich sieht es bei Riester aus. Die Antworten auf eine Umfrage des Branchenportals Versicherungsjournal.de zeigten, dass sich gut jeder zweite Anbieter bereits aus dem Markt zurückgezogen hat - oder dies plant, sollte die Bruttobeitragsgarantie nicht fallen.

Bei Lebensversicherungen, die ohne staatliche Förderung auskommen, unterliegen die Anbieter wesentlich weniger gesetzlichen Restriktionen. Und haben das schon weidlich genutzt. Bis vor wenigen Jahren waren Policen mit gesetzlichem Garantiezins (er gilt Jahr für Jahr) der Verkaufsschlager. Doch Versicherer können sich zu diesem Garantiezins verpflichten, sie müssen aber nicht.

So startete wiederum die Allianz angesichts der sinkenden Zinsen 2013 die erste Police, die lediglich eine Bruttobeitragsgarantie enthielt, und stattete in der Folge eine Reihe weiterer Innovationen mit demselben Versprechen aus: zu Vertragsende zumindest die eingezahlten Prämien zurückzugeben. Beispielsweise war das bei sogenannten Indexpolicen der Fall; hier können Kunden an der Entwicklung einer oder mehrerer Indizes partizipieren. Etliche Konkurrenten folgten.

2020 revidierte die Allianz das Versprechen für Neuverträge. Seitdem bietet sie nur noch gestaffelte Beitragsgarantien unter 100 Prozent an, zumeist frei wählbar mit 60, 80 oder 90 Prozent. Policen mit Garantiezins hat sie überhaupt nicht mehr im Angebot - so wie viele Wettbewerber auch.

Die generelle Frage lautet nun: Ist das Abbröckeln der Garantien für Kunden sinnvoll? Klares Ja! Denn das gibt den Versicherern mehr Freiheit, an der Börse zu investieren, was die Renditechancen steigert. Aktien zählen auf lange Sicht zu den lohnendsten Investments - und Altersvorsorge ist per Definition auf lange Sicht angelegt. Zudem war der bloße Kapitalerhalt schon immer eine Illusion. Denn die Inflation frisst die Kaufkraft des Guthabens unmerklich auf.

Was sollten Kunden tun, die an bAV via Entgeltumwandlung oder Riestern interessiert sind? Nicht durch die aktuelle Diskussion verunsichern lassen! Beide Wege der staatlichen Förderung sind schon allein durch die schiere Höhe der Subventionen interessant. Da fallen die - möglicherweise niedrigen - Renditen der Kapitalanlage nicht so sehr ins Gewicht. Beispiel: Beim Riestern legt der Staat bei Geringverdienern und/oder Eltern auf jeden eingezahlten Euro durch Zulagen oder Steuervorteile gut und gerne 20 bis 30 Cent pro Jahr drauf. Bei gut verdienenden Eltern kann die Zahl sogar in Richtung ein Euro steigen. Und da ist noch nichts durch den Vertrag selbst verdient.

Sollten Kunden ungeförderte Lebensversicherungen mit reduzierten Garantien kaufen, um Geld fürs Alter anzusparen? Eher nein! Denn direkte Investments am Aktienmarkt, etwa günstige Sparpläne auf ETFs, sind definitiv renditeträchtiger als die Policen - das zeigt zumindest die Vergangenheit.

Beliebtes Gegenargument der Versicherer: Nicht jeder Kunde hält das Auf und Ab am Aktienmarkt nervlich aus. In der Tat boten sie traditionell einen Zusatznutzen für Sparer mit hohem Sicherheitsbedürfnis. Doch je löchriger die Garantien sind und je höher die Abhängigkeit von Aktien, desto mehr stellt sich die Frage: Warum die Kopie (Lebensversicherungen mit niedrigen Garantien) wählen, wenn man das Original (Sparpläne auf aktive oder passive Fonds) haben kann?
 


Glossar

Bruttobeitragsgarantie: Bei einer 100-Prozent-Bruttobeitragsgarantie (die Zahl fällt umgangssprachlich oft weg) verpflichtet sich der Anbieter, dass bei Renteneintritt zumindest sämtliche Einzahlungen als Guthaben vorliegen. "Brutto" bedeutet, dass bei dieser Summe keine Kosten abgezogen werden dürfen. Bei Riester-Verträgen müssen zusätzlich die Zulagen garantiert sein. Bei ungeförderten Policen gibt es am Markt diverse Bruttobeitragsgarantien. Oft sind dies die Werte 60, 80 und 90 Prozent. Speziell bei vielen fondsgebundenen Lebensversicherungen sind auch niedrigere Garantien möglich - oder sogar ein kompletter Wegfall.

Garantiezins: Er ist staatlich festgelegt und definiert, wie viel die Lebensversicherer ihren Kunden bei Vertragsbeginn maximal pro Jahr fest zusagen dürfen. Der Garantiezins ist vor Kosten gerechnet - die tatsächliche Verpflichtung liegt also niedriger. Er beträgt derzeit 0,9 Prozent und sinkt zum Jahreswechsel auf 0,25 Prozent. Das sind die niedrigsten Zahlen seit seiner Einführung vor mehr als 100 Jahren. Zum Vergleich: Zur Jahrtausendwende hatte der Garantiezins noch vier Prozent betragen. Die Anbieter können den Garantiezins versprechen, müssen es aber nicht. Oftmals kommt die sogenannte laufende Verzinsung obendrauf. Sie speist sich aus dem Ertrag der Kapitalanlagen und wird jeweils für das nächste Jahr fest zugesagt. Garantiezins plus laufende Verzinsung ergeben die sogenannte Überschussbeteiligung.

Reine Beitragszusage: In dieser Spielart der betrieblichen Altersvorsorge gibt es keine Garantien. Durch eine Gesetzesänderung 2018 wurde möglich, dass es auch hier eine staatliche Förderung gibt. Federführend war die damalige Bundessozialministerin Andrea Nahles, weshalb das Projekt auch Nahles-Rente heißt.

Rentenfaktor: Er ist dafür maßgeblich, wie hoch die monatliche Rente mindestens ausfällt, wenn sich der Kunde am Ende der Ansparphase dafür und nicht für eine sofortige Auszahlung der Police entscheidet. Der Rentenfaktor ist insbesondere bei vielen fonds- und indexgebundenen Policen wichtig. Eine Änderung ist insbesondere bei vielen älteren Verträgen möglich. Ein Versicherer darf hier kürzen, wenn ein unabhängiger Treuhänder zustimmt. Bei Policen neueren Datums ist der Rentenfaktor zumeist fix.