Die Leoni-Aktie taumelt weiter in Richtung null Cent. Das Debakel ist ein Lehrstück, das zeigt, worauf Anleger bei ihren Investments achten sollten. In diesem Fall geht es um Missmanagement gepaart mit Größenwahn. Eine toxische Kombination, die unweigerlich in die Katastrophe führt. Es gab in den vergangenen Jahren eine Reihe Alarmzeichen, die Anleger sich merken sollten, um sich rechtzeitig von Aktien zu trennen, bevor es zu spät ist.

Von Jens Castner

In der Region Mittelfranken galt es einst als Ritterschlag, für die „Leonischen“ arbeiten zu dürfen. Ohne Beziehungen oder familiäre Bande galt es als schwierig bis unmöglich, in diesen „closed shop“ überhaupt hineinzukommen. Damals firmierte der Konzern noch unter Leonische Drahtwerke und genoss den Ruf eines unverwüstlichen Mittelständlers.

Da das mit Drahtwerken im Namen für internationale Investoren und Geschäftspartner so schwer auszusprechen war, kürzte der einstige „hidden champion“ die Firmenbezeichnung in Leoni ab. Den Umsatz wollte man verdoppeln. „Wachsen, wachsen, wachsen“, lautete die Devise. Vor allem Klaus Probst, von 2002 bis 2015 Vorstandschef und später Aufsichtsratsvorsitzender, wurden kontinuierlich Unternehmen zugekauft und Werke in aller Welt eröffnet. Mit den Ambitionen stiegen auch die Schulden.

Alarmzeichen 1: Die Strategie „Wachstum vor Profitabilität“ ist schon bei jungen Technologie-Startups gewagt. Aber bei einem über 100 Jahre alten Old-Economy-Unternehmen sollten Aktionäre derart ambitionierte Pläne stets kritisch hinterfragen.

Die Leoni-Ambitionen erinnern in fataler Weise an den Niedergang des einst ebenfalls im MDAX notierten Holz- und Baustoffproduzenten Pfleiderer aus dem unweit von Nürnberg und Roth gelegenen Neumarkt in der Oberpfalz. Nun ja, nicht ganz. Dem Pfleiderer-Vorstand ging noch einige Schritte weiter. Die Provinz war zu popelig, die Zentrale hätte ins mondäne München verlegt werden sollen, Hauptsache weit weg von den Produktionsanlagen, wo der Baum längst lichterloh brannte. Der Ausgang des Dramas ist bekannt: Pfleiderer wurde nach der Insolvenz Ende 2012 von der Börse genommen, der Umzug in die Landeshauptstadt abgeblasen und die Aktionäre verloren ihr Geld. Das Unternehmen gibt es noch. Nur ist es eben in privater Hand. So, wie es bei Leoni auch geplant ist.

Wie bei Pfleiderer stellen sich die internationalen Investoren, die Leonische Drahtwerke nicht aussprechen konnten, aber Leoni-Aktien gekauft haben, nun die Frage, wie es so weit kommen konnte. Pfleiderer produzierte unter anderem Bahnschwellen, ein gut und langfristig planbares Geschäft mit einem Staatsunternehmen als zuverlässigem Zahler. Leoni stellt Kabel her. In einer Zeit, in der Elektromobilität massiv gefördert wird, müsste die Kasse aus dem Klingeln gar nicht mehr herauskommen, sollte man meinen. Aber ach, auch die Aktionäre namhafter Konkurrenten wie Furukawa Electric aus Japan warten seit der Jahrtausendwende auf ein Ende des Abwärtstrends.

Alarmzeichen 2: In Branchen, in denen das Geld dank staatlicher Subventionen auf der Straße zu liegen scheint, liefern sich unzählige Wettbewerber ein Hauen und Stechen. Die Margen sind am Ende enger als gedacht.

Oft heißt es, der Niedergang von Leoni habe im August 2016 begonnen, als Kriminelle das Unternehmen um 40 Millionen Euro erleichtert hätten. Eine Mitarbeiterin soll auf die so genannte „Chef-Masche“, englisch „CEO-fraud“ hereingefallen sein. Etwas feiner ausgedrückt, nennt man das Vorgehen auch „social engineering“, da es langer Vorrecherchen in sozialen Netzwerken bedarf, bis die eigentliche Tat beginnt. Die gut informierten Betrüger geben sich dann im E-Mail-Verkehr als hochrangige Mitarbeiter mit besonderen Befugnissen aus und weisen die Buchhaltung an, Beträge auf ein bestimmtes Konto zu überweisen. Im Fall Leoni wurde die Summe offenbar nach Tschechien transferiert. Die betroffene Mitarbeiterin verlor ihren Job und auch der damalige Vorstandschef Dieter Bellé musste gehen.

Im Frankfurter Börsenviertel wurde damals schon hinter vorgehaltener Hand spekuliert, ob es sich dabei nicht um ein Ablenkungsmanöver gehandelt haben könnte, um ein Loch in der Kasse zu erklären, das es nicht hätte geben dürfen. Doch egal, ob Betrug oder nicht, 40 Millionen sind für Privatanleger ein Heidengeld, aber kein Betrag, der ein gestandenes MDAX-Unternehmen aus der Bahn werfen darf. Die Liquidität des Unternehmens sei von dem aktuellen Vorfall „nicht wesentlich beeinträchtigt", hieß es denn auch von Seiten der Pressestelle.

Alarmzeichen 3: Enge Margen in Verbindung mit hohen Schulden sind immer ein Risiko und eigentlich ein Tabu für Langfristinvestoren. Während margenstarke, schuldenfreie Unternehmen Pannen wie Hacker-Angriffe auf lange Sicht locker wieder ausbügeln können, darf finanzschwachen Gesellschaften nichts Unvorhergesehenes passieren.

Möglicherweise war die Betrugsaffäre ein Grund für die Gläubiger, etwas genauer hinzuschauen, denn eigentlich hätte ein solcher Schaden bei funktionierenden Sicherungssystemen nicht entstehen dürfen. Zumal die Chef-Masche damals bereits hinlänglich bekannt war. Bevor man in ein Unternehmen investiere, müsse man „ums Haus herum gehen, aufs Dach steigen, in den Keller, jede Schwachstelle überprüfen“, heißt es bei der Schweizer Vermögensverwaltung Braun, von Wyss und Müller (BWM). Die Gläubigerbanken dürften diesem Ratschlag gefolgt sein und festgestellt haben, dass das das Unternehmen schon jahrelang seine Kapitalkosten nicht mehr verdient hatte.

Mit den ausgewiesenen Gewinnen ist das so eine Sache, wie von BWM-Mitgründer Georg von Wyss aus eigener Erfahrung weiß. In den USA, wo er lange Jahre tätig war, achten Investoren deshalb stärker auf den Cash Flow als aufs Kurs-Gewinn-Verhältnis. Vor allem der Free Cash Flow ist eine Größe, die nie außer Acht gelassen werden sollte. Ist er trotz eines positiven Nettogewinns negativ, gilt es noch tiefer zu graben. Wenn Gläubiger so etwas tun, drückt sich das meist in höheren Zinsforderungen für Kredite aus, was es Unternehmen noch stärker erschwert, ihre Kapitalkosten zu erwirtschaften.

Der Gipfel bei Leoni war die Veröffentlichung der vorläufigen Zahlen 2022er-Zahlen im Februar dieses Jahres. Da ist von einem Free Cash Flow von rund 126 Millionen Euro die Rede. Darin war jedoch ein Sondereffekt aus dem Verkauf einer Sparte in Höhe von 278 Millionen Euro enthalten. Macht eigentlich ein Minus von 152 Millionen Euro, das jedoch nicht der Erwähnung für wert befunden wurde.

Alarmzeichen 4: Unternehmen, die in der Klemme stecken, verschleiern die prekäre Situation so gut es geht. Niemals wird in einer Adhoc.-Mitteilung stehen: „Wir sind klamm, wir wissen nicht, ob und wie es weitergeht“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der 2018 angetretene Leoni-Chef Aldo Kamper das Unternehmen jetzt Knall auf Fall verlässt. Ende 2022 war der geplante Verkauf der Kabelsparte geplatzt, der mehr als 400 Millionen Euro in die Kasse hätte spülen sollen, um die drückende Schuldenlast zu reduzieren. Der Nachfolger des glücklosen Dieter Bellé habe einen guten Job gemacht, heißt es in Börsianerkreisen. Das Ruder herumreißen konnte er jedoch nicht.

Alarmzeichen 5: Häufige Vorstandswechsel weisen darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Wirft der Chef überraschend das Handtuch, ist höchste Vorsicht geboten.

Allein aufgrund dieser Warnzeichen hatte sich angedeutet, dass ein Ende mit Schrecken nicht auszuschließen ist. Spätestens aber, als Automobilzulieferer im Februar ein Sanierungskonzept ankündigte, bei dem die Aktionäre „weitgehend“ verwässert werden sollten, war das Maß voll. BÖRSE ONLINE setzte das Papier auf die Schwarze Liste und gab das Kursziel von einem Euro aus. Inzwischen steht die Aktie bei 24 Cent und das neue Kursziel der Redaktion muss zwangsläufig null Cent lauten. Denn das neue Sanierungskonzept sieht einen Rückzug von der Börse ohne jegliche Entschädigung der Aktionäre vor.

Sicher trug zum Niedergang des Traditionsunternehmen auch der Krieg in der Ukraine bei, wo Leoni zwei Standorte hat. In Russland produzierte Leoni ebenfalls, hat die Aktivitäten dort aber im vergangenen Jahr eingestellt. Exorbitant gestiegene Rohstoffkosten und Lieferengpässe sorgten zusätzlich für Gegenwind. Doch der Grundstein für die Katastrophe wurde viel früher gelegt, als alles dem Ziel untergeordnet wurde, den Umsatz zu verdoppeln.

Was jetzt geplant ist – ein Delisting ohne Entschädigung – kommt einer Enteignung der Aktionäre gleich. Für die Nürnberg und Mittelfranken mag es ein Segen sein, dass der Betrieb künftig ohne Börsennotierung weitergeführt wird. Für Aktionäre bleibt indes nur, ihre Lektion daraus zu lernen, um beim nächsten Mal rechtzeitig auszusteigen.


Leoni (WKN: 540888)