Liechtensteins Regierungschef Adrian Hasler über die Chancen der Zukunftstechnologie Blockchain, die Vergangenheit als Steueroase und die Risiken des weltweit wachsenden Protektionismus. Von Sabine Gusbeth, Euro am Sonntag

Anfang Oktober hat Liechtenstein als einer der ersten Staaten weltweit ein Blockchain-Gesetz verabschiedet. Es soll im Januar 2020 in Kraft treten und Rechtssicherheit in dem neuen, bisher unregulierten digitalen Geschäftsfeld schaffen - und dem Fürstentum einen vielversprechenden Zukunftsmarkt eröffnen. Regierungschef Adrian Hasler hat das Gesetz maßgeblich vorangetrieben. Im Interview mit €uro am Sonntag erklärt der 55-Jährige, was er sich vom Blockchain-Gesetz erhofft, wieso der Kleinstaat besonders unter Protektionismus leidet und weshalb es ihn ärgert, dass das Fürstentum den Ruf als Steueroase nur schwer loswird.

€uro am Sonntag: Herr Hasler, das Fürstentum Liechtenstein feiert dieses Jahr sein 300-jähriges Bestehen. Ärgert es Sie eigentlich, dass in jedem Bericht darüber das Wort "Steueroase" fällt?

Adrian Hasler:

Das ist ja längst nicht mehr so. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine Transformation durchgemacht. Seit 2009 dürfen hierzulande nur noch versteuerte Vermögen verwaltet werden. Dazu haben wir uns in unserer Steuerkonformitätsstrategie verpflichtet. Seit 2013 nehmen wir zudem am automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten teil. In der Staatengemeinschaft werden wir deshalb als verlässlicher Partner anerkannt.

Auslöser für den Sinneswandel war der Skandal um den damaligen Chef der Deutschen Post Klaus Zum­winkel, der Vermögen vor dem deutschen Fiskus in Liechtenstein versteckt hatte und 2008 aufflog.

Es war damals klar, dass Liechtenstein sich neu ausrichten muss. Deshalb haben wir uns 2009 zur Steuerkonformität bekannt. Als ich 2013 das Amt des Regierungschefs übernommen habe, war der automatische Informationsaustausch ein großes Thema. Ich war davon überzeugt, dass eine Abwehrhaltung hier absolut keinen Sinn macht und uns schadet. Auch wenn es im Inland viel Überzeugungsarbeit gekostet hat, aber für einen Kleinstaat wie Liechtenstein mit einem starken Industriesektor und einem international ausgerichteten Finanzplatz war dies der einzig konsistente und erfolgversprechende Weg. Nur wer sich an die internationalen Standards hält, wird als verlässlicher Partner wahrgenommen.

Dennoch hat Liechtenstein immer noch den Ruf einer Steueroase.

Vielleicht in Teilen der Öffentlichkeit, sicher nicht in der internationalen Finanzbrache. Wenn uns jemand noch so bezeichnet, dann stört uns das natürlich, weil es heute einfach nicht mehr der Realität entspricht.

Trotz der Weißgeldstrategie stand Liechtenstein noch 2018 auf der grauen Liste der Steueroasen der EU. Wie passt das zusammen?

Ich möchte klarstellen, dass wir nicht über eine längere Phase gelistet waren. Wir wurden im Dezember 2017 kurzzeitig auf diese Liste gesetzt, weil ein EU-Ausschuss zum Thema Unternehmensbesteuerung zwei kleinere Kritikpunkte an unseren Steuergesetzen angebracht hatte. Wir haben die Beanstandungen umgehend adressiert und unsere Gesetze entsprechend angepasst. Kurz darauf sind wir wieder von der Liste gestrichen worden. Das zeigt, wie ernst wir das Thema Steuerkonformität nehmen.

Trotzdem hat Liechtenstein noch immer sehr niedrige Steuern. Wie sehen Sie denn internationale Bestrebungen, die Besteuerung von Unternehmen zu nivellieren?

Das sehen wir eher kritisch. Wir sind der Ansicht, dass es jedem Staat selbst überlassen werden sollte, wie hoch er die Steuern festlegt für Unternehmen wie auch für Private. Und ja, wir haben niedrige Steuern. Im Gegenzug haben wir aber auch vergleichsweise niedrige Staatsausgaben. Unsere Staatsquote beträgt gut 20 Prozent. Das verdeutlicht unser Staatsverständnis. Wir wollen nicht Bürger und Unternehmen über Gebühr belasten, um im großen Stil Umverteilungen vorzunehmen. Das ist nicht unsere Art der Wirtschaftspolitik.

Auf Ebene der G 20 und der OECD wird eine globale Mindeststeuer diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Es kommt darauf an, was es konkret für uns bedeuten würde. Ursprünglich ging es ja um die sogenannte Digitalsteuer, die auf große Konzerne wie Amazon, Apple und Google ­abzielte. Das wäre für uns unpro­blematisch. Inzwischen gibt es aber ­einen richtigen Verteilungskampf, und gewisse Staaten versuchen mehr vom Kuchen zu bekommen. Wir hoffen auf eine vernünftige und vor allem praktikable Lösung.

Sie haben bereits erwähnt, dass sich Liechtenstein nach dem Zumwinkel-Skandal verpflichtet hat, ­internationale Steuerstandards einzuhalten. Wie hat sich der Finanzplatz dadurch in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Es hat erhebliche Veränderungen gegeben. Insbesondere die Zahl der privaten Stiftungen ist markant zurückgegangen, weil sie aufgrund der neuen Transparenzanforderungen keinen Zweck mehr hatten.

Wie groß war der Rückgang?

Vor einigen Jahren gab es über 80.000 Strukturen, heute sind es noch rund 12.000 Stiftungen. Das hängt aber nicht nur mit dem Bekenntnis zur Steuerkonformität und zum Informationsaustausch zusammen, sondern auch mit dem Generationswechsel. Die Generation der Erben möchte das Geld investieren oder konsumieren. Unsere Finanz­intermediäre hatten früher eine Vielzahl von kleinen Mandaten. Heute sind es deutlich weniger, dafür aber größere Mandate, für die ein ganz anderes Know-how notwendig ist, etwa zu internationalen Steuerthemen.

Wie meinen Sie das?

Früher waren es sicher auch Einzelpersonen, die Geld vor dem heimischen Fiskus verstecken wollten. Das ist schon längst vorbei. Heute sind es eher große, steuerkonforme Vermögen von Familien, deren Mitglieder zum Teil in verschiedenen Ländern ansässig sind. Deshalb sind komplexe Steuerfragen zu klären. Diese Leistungen sind heute gefragt.

Können Sie noch einmal auf den Punkt bringen, welche Kunden in Liechtenstein willkommen sind und welche nicht?

Bei uns sind alle Kunden willkommen, die ein legales Geschäft betreiben. Und wir sind nicht interessiert an irgendwelchen dubiosen Kunden, die Liechtenstein für ihre Zwecke missbrauchen möchten. Das ist für uns absolut elementar. Deshalb haben wir strenge Vorschriften bezüglich der Sorgfaltspflichten. Die Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung ist für uns sehr wichtig.

Jedenfalls scheint Ihnen die Weißgeldstrategie nicht zu schaden. Das Volumen der verwalteten Vermögen ist heute höher als 2009. Wie erklären Sie das?

Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Banken in den vergangenen Jahren stark ins Ausland expandiert haben. Die LGT ist in Asien inzwischen eine bekannte Adresse, die Liechtensteinische Landesbank ein relevanter Player in der Schweiz und in Österreich. Auch die Versicherungs- und Fondsbranche haben sich gut entwickelt. Es haben sich einige neue Unternehmen in Liechtenstein angesiedelt, weil wir gute Rahmenbedingungen bieten.

Sie meinen extrem niedrige Unternehmensteuern?

Nicht nur das. Wir bieten wirtschaftliche und politische Stabilität, sind Teil des Europäischen Binnenmarkts (EWR) und verfügen über sehr gut qualifizierte Fachkräfte. Zudem haben wir eine effiziente Verwaltung und eine Finanzmarktaufsicht, die rasch auf Herausforderungen reagiert. Diese kurzen Wege sind ein Wettbewerbsvorteil.

Einen weiteren Vorteil wollen Sie sich nun bei der Blockchain-Technologie verschaffen. Als einer der ersten Staaten der Welt hat Liechtenstein Anfang Oktober ein Blockchain-Gesetz verabschiedet. Was erhoffen Sie sich davon?

Neue Technologien wie Blockchain haben ein großes Potenzial bei der Digitalisierung der Wirtschaft. Gleichzeitig gibt es aufgrund der fehlenden Regulierung bislang noch viele Unsicherheiten für die Unternehmen. Mit unserem Gesetz schaffen wir die notwendige Rechtssicherheit. Die Einführung des Token als neues Rechtselement ermöglicht es, dass jedes beliebige Recht aus der analogen Welt digital abgebildet werden kann.

Können Sie das genauer erläutern?

Wir legen mit dem Gesetz beispielsweise fest, wie Vermögenswerte auf dem Token abgebildet werden können, wie dieses Eigentum übertragen werden kann und was bei Diebstahl oder im Konkursfall passiert. Das ist die zivilrechtliche Seite. Das zweite große Thema ist die Aufsicht. Die Dienstleister, die unsere Auflagen erfüllen, müssen sich in Liechtenstein registrieren und werden dann durch die Finanzmarktaufsicht kontrolliert. Uns ist es dabei auch wichtig, dass wir die Bekämpfung der Geldwäscherei auf die neuen Dienstleistungen ausweiten, um Missbrauch vorzubeugen.

Welchen Sinn macht die Regulierung einer globalen Technologie wie Blockchain in einem relativ kleinen Land wie Liechtenstein?

Das macht schon Sinn, wenn die Unternehmen ihr Geschäft von Liechtenstein aus betreiben, eben weil wir diese Rechtssicherheit bieten. Ein Beispiel: Sie wollen ein wertvolles Gemälde auf der Blockchain abbilden, um es weltweit handeln zu können. Dazu brauchen Sie einen physischen Validator hier in Liechtenstein, der sicherstellt, dass dieses Kunstwerk sicher verwahrt wird. Sie erhalten einen zertifizierten Token, den Sie frei handeln können.

Böse Zungen sagen, das Blockchain-­Gesetz diene auch dazu, die Wahrnehmung des Finanzplatzes Liechtenstein positiv zu besetzen. Ist es ein Marketinginstrument?

Nein, es geht darum, dass wir als Kleinstaat die Chancen neuer Technologien frühzeitig erkennen und uns entsprechend positionieren, um Wertschöpfung zu generieren. Wir haben viele Anfragen von Unternehmen aus diesem Bereich, die sich in Liechtenstein niederlassen wollen, weil sie hier einen rechtssicheren Rahmen finden. Natürlich sind wir bezüglich der Größe beschränkt. Wir können nicht große Unternehmen ansiedeln. Aber kleine, innovative Firmen, die nach Liechtenstein kommen, ihr Geschäft aufbauen und wachsen, sind die Arbeitgeber und Steuerzahler der Zukunft.

Sie haben viel über die Chancen gesprochen. Doch im Krypto-Universum gibt es auch viele schwarze Schafe. Welche Risiken sehen Sie?

Das ist doch genau der Punkt, den wir mit unserem Gesetz adressieren. Heute ist der Markt nicht reguliert. Das erhöht die Risiken für Missbrauch. Mit unserem Blockchain-Gesetz wollen wir einen Rechtsrahmen schaffen, um dem Einhalt zu gebieten und die Risiken zu reduzieren. Die Anbieter müssen sich registrieren und ihre Sorgfaltspflichten erfüllen, um beispielsweise Geldwäscherei zu verhindern. Natürlich kann man Missbrauch nie ausschließen, auch wir nicht. Aber wir sind davon überzeugt, dass wir wirksame Instrumente entwickelt haben, um die ­Risiken zu minimieren. Denn wir wollen einen sauberen Finanzplatz, auch in diesem Bereich.

Sie bemühen sich sehr um ein sauberes Image. Wie passt dazu der Casino-Boom in Liechtenstein, ausgelöst durch die Liberalisierung des Geldspielgesetzes 2016? Im Parlament wächst die Sorge, dass dieser Ihrem Ruf schaden könnte.

Die Liberalisierung des Geldspielgesetzes führte dazu, dass wir derzeit zwei Casinos in Betrieb haben und weitere geplant sind. Die Bevölkerung steht dieser Entwicklung gespalten gegenüber. Vor allem die ältere Generation verbindet mit Casinos gewisse dubiose Geschäfte. Dem möchte ich jedoch entgegenhalten, dass der Glücksspielsektor hoch reguliert ist.

… und der Staatshaushalt profitiert: 2018 sind schätzungsweise zwölf Millionen Franken Geldspielabgaben in die Staatskasse geflossen, fast viermal so viel wie erwartet.

Natürlich ist das attraktiv. Aber das steht nicht im Vordergrund. Uns ist sehr wichtig, als Staat verlässlich wahrgenommen zu werden. Deshalb wäre es unklug, so kurz nach einer Gesetzesänderung schon wieder Anpassungen am Gesetz vorzunehmen. Hier geht es um Rechtssicherheit. Das ist uns viel wert. Wenn man regelmäßig die Spielregeln ändert, hinterlässt das einen schalen Beigeschmack.

Wir haben jetzt viel über den Finanzsektor gesprochen, das größte Wirtschaftssegment in Liechtenstein ist aber die Industrie.

Ich freue mich, dass Sie darauf hinweisen.

Sie haben einige starke, aber auch sehr exportabhängige Unternehmen. Die größten sind der Werkzeugmaschinenbauer Hilti und der Automobilzulieferer Thyssenkrupp Presta. Macht Ihnen der weltweit zunehmende Protektionismus Sorgen?

Ja, absolut. Um das einmal deutlich zu machen: Die Industrie und das warenproduzierende Gewerbe steuern 43 Prozent zu unserem Bruttoinlandsprodukt bei. Als Kleinstaat sind wir natürlich abhängig vom ­Export. Deshalb sind auch die ­Mitgliedschaft im Europäischen Binnenmarkt und der Zugang zu ­Europa so wichtig. Das ist der entscheidende Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen Jahre. Deshalb sorgen wir uns über sämtliche Entwicklungen, die mit Protektionismus, Handelsstreit oder Unsicherheiten in Europa zu tun haben. Freihandel ist für unsere Unternehmen extrem wichtig.

Bekommen Sie die Auswirkungen durch die weltweit wachsende Unsicherheit schon zu spüren? Ich habe keine aktuellen Zahlen zur Wirtschaftslage gefunden.

Die Unsicherheit ist auf jeden Fall spürbar. Das erfahre ich aus Diskussionen mit den Unternehmen, beispielsweise über den Konflikt zwischen den USA und China oder den drohenden Brexit. Konkrete Zahlen dazu gibt es leider nicht. Wir sind einfach zu klein, um solche Daten in kurzer Zeit statistisch sauber zu ­erheben.

Sie haben es schon erwähnt, dass Liechtenstein Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum ist. Sie sind aber kein EU-Mitglied. Gab es je Überlegungen, der EU beizutreten?

Nicht ernsthaft. Eine EU-Mitgliedschaft ist einfach eine Schuhnummer zu groß für uns. Wir managen mit rund 850 Vollzeitstellen in der Verwaltung den ganzen Staat. Wenn wir EU-Mitglied wären, müssten wir viele Kommissionen und Arbeitsgruppen bestücken, ganz zu schweigen von der Übernahme des EU-Vorsitzes. Das ist einfach nicht größenverträglich.

Vita:
Adrian Hasler

Der 55-Jährige ist seit März 2013 Regierungschef von Liechtenstein. Er gehört der christlich- konservativen Fortschrittlichen Bürgerpartei (FBP) an. Vor seiner politischen Karriere war Hasler in den Finanzabteilungen eines Industriekonzerns sowie einer Bank tätig. Zwischen 2004 und 2013 stand er als Chef der Liechtensteinischen Landespolizei vor, die auch für die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität zuständig ist. Als Regierungschef setzte Hasler die Teilnahme Liechtensteins am automatischen Austausch von Steuerinformation um. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Liechtenstein:
Reicher Kleinstaat

Das Fürstentum feiert in diesem Jahr 300-jähriges Bestehen. Wahrzeichen des Landes ist Schloss Vaduz, in dem das Fürstenhaus residiert. Staatsoberhaupt Fürst Hans-Adam II. wird seit 2004 vertreten durch Erbprinz Alois von Liechtenstein. Mit 38.000 Einwohnern auf 160 Quadratkilometern ist der Alpenstaat, der an Österreich und die Schweiz grenzt, das sechstkleinste Land der Welt. 2016 betrug das Bruttoinlandsprodukt 6,1 Milliarden Schweizer Franken. Liechtenstein ist Mitglied im EU-Binnenmarkt und hat einen Zollvertrag mit der Schweiz.