Eon-Chef Johannes Teyssen will höhere Preise für die Tonne Kohlendioxid (CO2). Bei der von der Bundesregierung jüngst festgelegten Bepreisung von Emissionen des Klimagases forderte der Chef des Düsseldorfer Versorgers 35 Euro pro Tonne als Einstiegspreis. So forsch wie Teyssen war die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket dann doch nicht. Sie legte den Preis pro Tonne CO2 vor allem mit Rücksicht auf die Wirtschaft auf ­gerade mal zehn Euro fest.

An der Spitze des Düsseldorfer Energieriesen war Teyssen lange Zeit ein hartnäckiger Kritiker der Energiepolitik in Deutschland. Als Betreiber von Atomkraftwerken und Nutzer von CO2-intensiven fossilen Energien waren sowohl Eon wie auch der rheinische Rivale, RWE aus Essen, stark von der deutschen Energiewende betroffen. Nach der Atomreaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 hatte Berlin den Ausstieg aus dem Gewinnbringer Kernenergie beschlossen. In drei Jahren soll der letzte Reaktor abgeschaltet werden. Die regenerativen Energien Wind und Sonne standen plötzlich hoch im Kurs.

Auf die historische Wende haben sich Deutschlands Branchenriesen inzwischen eingestellt. Künftig werden beide vom Wandel zugunsten regenerativer Energien profitieren. Eon wird mit 50 Millionen Kunden und 1,5 Millionen Kilometer Verteilernetz für Strom und Gas Europas größter Infrastrukturbetreiber. Und RWE steigt quasi aus dem Nichts zum weltweit fünftgrößten Anbieter von regenerativen Energien auf.

Ökostrom legt weltweit stark zu


Der neue Markt des DAX-Konzerns RWE hat enormes Potenzial. In 30 Jahren werde Strom aus Wasser, Wind und Sonne mit 77 Prozent der weltweit ­installierten Energiekapazitäten erzeugt, haben die Experten der US-Bank Goldman Sachs anhand von Daten der internationalen Energiebehörde IEA berechnet. Gegenwärtig liefern regenerative Quellen etwa 35 Prozent der globalen Stromerzeugungskapazität. Der benötigte Ausbau ist gewaltig: Bis 2050 sind über 11 000 Gigawatt zusätzliche Ökostrom-Leistung notwendig. Das sind bis zu 350 Gigawatt pro Jahr. Die Investitionen dafür werden auf mehr als zehn Billionen Euro geschätzt.

Nicht nur Deutschland denkt beim Thema Energie um. Weltweit setzen Klimaaktivisten wie die Fridays-for-­Future-Bewegung um Greta Thunberg einen Wandel in Gang. Das fossile Energie­zeitalter ist zwar noch lange nicht beendet - in China, Indien, der Türkei oder in Polen werden immer noch im großen Stil Kraftwerke gebaut und neue Kohleförderungen erschlossen -, gleichwohl hat sich etwa die Zahl der Kohlekraftwerke, die weltweit geplant oder gebaut werden, binnen drei Jahren halbiert.

Ausgerechnet der einstige Kohlekraftwerkspezialist RWE wird nun ein weltweit relevanter Ökostromlieferant. Langfristig will Chef Rolf Martin Schmitz 80 Prozent des operativen Gewinns mit grünen Energien einfahren. Zuvor muss RWE mit der Bundesregierung eine für den Konzern akzeptable Entschädigung für den anvisierten Kohleausstieg bis 2038 aushandeln. Der Konzern hofft auf eine Einigung bis Jahresende. Auch Berlin dürfte nach dem jüngst präsentierten Klimapaket an zügigen Verhandlungen interessiert sein.

Konkurrent Innogy ist raus


Die von den EU-Kartellbehörden genehmigte Übernahme der RWE-Tochter Innogy durch Eon hat die erstaunliche Wandlung der deutschen Stromriesen erst ermöglicht. Mit dem Deal wird die Aufteilung Innogys zwischen Eon und RWE wirksam (siehe unten). Innogy, seit 2018 auf dem Markt, wird aus dem Spiel genommen.

Die neue RWE wird künftig auch größter Eon-Aktionär. Der Konzern hält 16,7 Prozent der Anteile. Damit erhält RWE-Lenker Schmitz als Aufsichtsrat des Düsseldorfer Konzerns zugleich auch einen privilegierten Einblick in das Geschäft von Europas größtem Netzbetreiber - ein wertvoller Vorteil.

Innogy-Käufer Eon bekommt sichere Milliardeneinnahmen der RWE-Tochter aus den Verteilernetzen. Diese Netz-­Infrastrukturen sind eine notwendige Voraussetzung für funktionierende Volkswirtschaften, deshalb wird der Markt streng reguliert. Netzbetreibern werden deshalb seitens der Politik sichere Einnahmen zugestanden.

Allerdings übernimmt Eon auch das defizitäre Geschäft der britischen Innogy-Tochter nPower samt stattlicher Schulden. Dabei hatten die Rheinländer ihre Verbindlichkeiten erst Anfang 2018 auf 16 Milliarden Euro verringert, weil sie die Verantwortung für den Atommüll ihrer Kernkraftwerke an den Staat übertragen konnten. Wegen nPower steigen die Schulden wieder um über das Doppelte auf 35 Milliarden Euro an. Investoren sind davon wenig begeistert.

Auch außerhalb Deutschlands setzen Versorger stärker auf regenerative Energiequellen oder bauen ihr Geschäft mit Netzen aus. Beispiel Engie: Die Gesamtleistung des Ökostromportfolios der Franzosen beträgt mehr als 24 Gigawatt. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Wasserkraftwerken, die 68 Prozent dieser Kapazität liefern. Da bei Investoren die stark wachsenden Märkte für Wind- und Solaranlagen im Fokus stehen, unterschätzen viele Anleger das Potenzial der Franzosen. Der US-Konzern NextEra, der mit 22,5 Gigawatt Wind- und Solarkapazität als globale Nummer 1 bei den Regenerativen gilt, bringt insgesamt weniger grünes Potenzial auf die Waage (s. Grafik). Daneben betreibt Engie auch konventionelle Kraftwerke sowie über die belgische Tochter Electrabel sieben Atommeiler. Deren Laufzeit wird wohl verlängert.

An der Börse liegen hingegen die grüneren Spieler in der Gunst der Anleger vorn. Aktien von Stromriesen, deren Ausrichtung auf regenerative Energien offensichtlich ist wie bei RWE, Orsted aus Dänemark oder der spanischen Iberdrola, haben seit Jahresbeginn zwischen 30 und über 50 Prozent zugelegt. Die im Vergleich zu diesen Konkurrenten günstiger bewerteten Papiere von Engie liegen mit 20 Prozent Wertzuwachs immerhin noch knapp über dem europäischen Branchenindex im Stoxx Europe 600, der um rund 18 Prozent anstieg.

Das Megathema Klima hinterlässt auch an den Aktienmärkten seine Spuren. Grün und regenerativ dürfte auch hier erst einmal angesagt bleiben.

Wandel der Riesen


EON: Durch die Übernahme der RWE-Tochter Innogy wird der DAX-Konzern Europas größter Betreiber von Verteilernetzen für Strom und Gas. Aus dem Innogy- Portfolio behalten die Düsseldorfer die Verteilernetze (9,5 Milliarden Euro Umsatz 2018) und die Vertriebssparte (29,8 Milliarden Euro Umsatz). Innogys Wind- und Solarparks gehen an RWE. Eon selbst erlöste 2018 gut 34 Milliarden Euro, davon knapp 65 Prozent im Energievertrieb. Verteilernetze lieferten ein gutes Viertel des Umsatzes. Die ausgegliederten konventionellen Kraftwerke sind seit 2016 unter dem Dach von Uniper an der Börse.

RWE: Mit den Wind- und Solarparks von Eon und Innogy sowie den hier geplanten Projekten wird der 1898 gegründete Versorger zum weltweit fünftgrößten Lieferanten von Strom aus Sonne und Wind. Von 22 Milliarden Euro Umsatz 2018 stammten knapp zwei Drittel aus dem Energiehandel. Gut ein Fünftel der Erlöse lieferte der Stromvertrieb. Weitere 16 Prozent steuerten Kohle- und Kernkraftwerke bei, die bis 2038 respektive 2022 vom Netz sollen.

Investor-Info

RWE
Neue Perspektiven


Künftig konzentriert sich RWE auf die Strom­erzeugung und steigt bei erneuerbaren Energien, vor allem im Offshore-Windsegment, zu einem weltweit relevanten Spieler auf. Mit jährlichen Investitionen von 1,5 Milliarden Euro netto soll die Position bei Ökostrom ausgebaut werden. Mittelfristige Ziele für den Konzern werden voraussichtlich im März 2020 veröffentlicht. Aussichtsreich.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 33,00 Euro
Stoppkurs: 22,00 Euro

Eon
Große Aufgaben


Bis sich Eons Position als Europas größter Netzbetreiber bezahlt macht, müssen einige Herausforderungen gemeistert werden. Im Energiehandel sind der britische Markt, wo es eine Preisobergrenze für Strom gibt, sowie die hoch verschuldete britische Tochter eine große Bürde. Dazu kommen Tendenzen zu strengerer Regulierung osteuropäischer Netze und vergleichsweise niedrige Renditen in Westeuropa. Halten.

Empfehlung: Beobachten.
Kursziel: 9,00 Euro
Stoppkurs: 7,00 Euro

Engie
Gut und günstig


Parallel zum mittelfristig anvisierten Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung mit Kohle und Gas bauen die Franzosen die Bereiche Regenerative Energien und Verteilernetze aus. Die bis 2021 in Aussicht gestellten jährlichen Gewinnsteigerungen zwischen sieben und neun Prozent sind im Branchenvergleich überdurchschnittlich hoch. Sie werden durch Kostensenkungen und eine Verringerung der Komplexität in der Konzernstruktur unterstützt. So zieht sich Engie weltweit aus 20 Ländern zurück. Die Dividendenrendite und eine günstige Bewertung machen die Aktie der ehemaligen GDF Suez attraktiv.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 17,00 Euro
Stoppkurs: 12,30 Euro