Für seine Anhänger ist er ein Erlöser, für seine Kritiker dagegen ein Blender, der mit seinen "Abenomics" - oder spöttisch "Abegeddons" - den großen Knall erleben wird. An Japans Premierminister Shinzo Abe und seinem Wirtschaftsprogramm scheiden sich die Geister. Seit über einem Jahr versucht er das Land aus der jahrzehntelangen Abwärtsspirale von niedrigem Wachstum und sinkenden Preisen zu befreien. Sein Rezept: eine Mischung aus ultralockerer Geldpolitik, Konjunkturprogrammen und Strukturreformen.

Zumindest an der Börse funktionierte das 2013 bestens. Mithilfe beispielloser Anleihekäufe überflutete Japans Zentralbank die Märkte mit Liquidität, drückte so den Wechselkurs des Yen und die Zinsen für Anleihen - und bescherte der Börse in Tokio einen Boom: Um fast 60 Prozent schoss der Nikkei nach oben. Kein Wunder, dass 2014 viele Investoren Gewinne mitnahmen, sodass der Leitindex im ersten Halbjahr, um rund sechs Prozent nachgab. Nun stimmt die Richtung wieder. Seit Mitte Mai geht es erneut aufwärts - auch wenn große Zweifel bleiben, ob das gewaltige Ausgabeprogramm Japans strukturelle Probleme dauerhaft lösen kann.

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Nippon-Aktien mit Rabatt

Für einen selbsttragenden Aufschwung sind nach Ansicht vieler Ökonomen Reformen am Arbeitsmarkt und der Abbau von Zöllen nötig. Auch fehlen höhere Löhne, um den Konsum zu stärken. Obendrein lasten auf dem Land gigantisch Schulden. Dafür ist jetzt die Unsicherheit überwunden, für die eine kräftige Mehrwertsteuererhöhung im April gesorgt hatte.

Die durchwachsene Lage hat aber auch positive Seiten: Nach der Schwächephase ist Japans Börse vergleichsweise günstig bewertet, denn in der Zwischenzeit knackten die Märkte in Europa und den USA Rekorde. "Gemessen an globalen Aktien werden japanische Titel mit einem fast historischen Bewertungsabschlag gehandelt", sagt Luca Paolini, Chefstratege bei der Schweizer Bank Pictet. So stehen japanische Aktien derzeit bei einem Kurs-Gewinn- Verhältnis von zwölf, im weltweiten Index MSCI World beträgt der wichtigste Wert zur Aktienbewertung 13,8. Während dort das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei 1,8 angelangt ist, liegt es in Japan nur bei 1,2. US-Aktien sind an dieser Kennzahl gemessen doppelt so teuer.

Zudem spricht die ultralockere Geldpolitik für japanische Aktien. Dass nach dem starken ersten Quartal nun eine Konjunkturdelle droht, könnte sogar hilfreich sein. Vor der Mehrwertsteuererhöhung konsumierten viele Japaner umso kräftiger, unterm Strich stand daher ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent. Aufs Jahr gerechnet ist das kaum haltbar: Japans Zentralbank senkte ihre Prognose bereits auf 1,1 Prozent. Um die zarte Erholung nicht abzuwürgen, dürfte sie ihre Geldpolitik nochmals lockern. "Japanische Aktien werden weiter von Geldspritzen profitieren", glaubt Paolini.

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Cash im Überfluss

Tatsächlich kurbelt der niedrige Yen die Gewinne exportstarker Unternehmen wie Toyota an. "Japan ist das einzige große Industrieland, in dem die Gewinne wahrscheinlich nach oben korrigiert werden müssen", schreiben Anlageexperten der Deutschen Bank. Und der britische Vermögensverwalter GAM sieht Japans Börsen gar auf einem stabileren Fundament als jene in den USA und Europa, weil sie stärker auf Gewinnwachstum fußten.

Als wertvoll für Aktionäre könnten sich zudem die prallen Kassen japanischer Unternehmen erweisen. Fondsmanager Jens Ehrhardt zufolge haben sie doppelt so viel Bares angehäuft wie US-Firmen - gute Vorzeichen für Aktienrückkäufe, welche die Kurse treiben könnten. Auch der Staat sollte die Kurse stützen: Japans 1,3 Billionen Dollar schwerer Pensionsfonds kündigte bereits an, mehr Aktien zu kaufen.

Den Nikkei befeuern könnten überdies Großanleger. Zuletzt hatten rund 80 Prozent der Investoren Japan-Investments untergewichtet oder auf "neutral" gehalten. Legen sie ihre Skepsis etwas ab, geht das an der Börse nicht spurlos vorbei. Kurzfristig spricht daher viel für steigende Kurse in Tokio. Taktische Anleger können die Gelegenheit nutzen und mit kleinen Engagements einsteigen. Eines sollten sie sich dennoch klarmachen: Wie das größte geldpolitische Experiment der Welt ausgeht, weiß noch niemand.

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