Der Gegenwind für Nvidia in der ohnehin angeschlagenen Gaming-Sparte wird immer heftiger. Die neue Grafikkarte RTX 4070 TI droht zum Ladenhüter zu verkommen. Was das für die Aktie bedeutet. Von Jens Castner

An der Nvidia-Aktie scheiden sich die Geister. Nach einem Kurseinbruch um fast 50 Prozent im vergangenen Jahr sieht die Mehrheit der Analysten das Papier des führenden Herstellers von Grafikkarten und Prozessoren auf Erholungskurs. Dieser könnte jedoch auf sich warten lassen, warnt das US-Wirtschaftsmagazin Barron‘s.

Die 799 Euro teure Grafikkarte RTX 4070 TI habe in der Gaming-Community einen Shitstorm sondersgleichen ausgelöst. Die Karte werde als "Abzocke" bezeichnet, Nvidias Behauptung, die Leistung sei dreimal so hoch wie bei der vorherigen Generation, als falsch und irreführend angesehen. Nach Angaben aus der Speile-Community sei sie nur 20 Prozent schneller – und das bei einem um 14 Prozent angehobenen Preis. Wenn neue Nvidia-Karten auf den Markt kommen, ist die erste Lieferung in der Regel sofort ausverkauft.

Aber fast eine Woche nach der Markteinführung der RTX 4070 Ti sind die Karten laut Barron‘s auf den großen Elektronik-Websites weithin verfügbar. Bei den Einzelhändlern würden sich die Lagerbestände stapeln. Das sei kein gutes Zeichen. 

Der zügige Abbau von Lagerbeständen, der die operative Trendwende einleiten soll, werde auf sich warten lassen. Auch HSBC-Analyst Frank Lee ist der Meinung, dass der Abbau der überschüssigen Bestände „noch ein paar Quartale“ dauern könne – „länger als der Markt erwartet“.

Damit stellt sich die Frage, ob die in Nvidia gesetzten Erwartungen trotz der Talfahrt des Aktienkurses nicht immer noch zu hoch sind. Neben der Nachfrageschwäche in der Spielesparte waren es vor allem zwei Faktoren, die dem Unternehmen im vergangenen Jahr zusetzten. Der Zusammenbruch der Kryptomärkte, die das Schürfen von Bitcoin und Co weniger attraktiv machten, was die Nachfrage nach Grafikchips zusätzlich belastete. Und das Exportverbot der US-Regierung für hochmargige Premiumprodukte des Unternehmens – insbesondere nach China –, da diese auch für militärische Zwecke eingesetzt werden könnten, etwa zu Steuerung von Raketen und Drohnen. 

Die Trendwende für den Nvidia-Aktienkurs könnte indes aus dem Geschäft mit Rechenzentren kommen, das unvermindert weiter wächst und voraussichtlich die wichtige Einnahmequelle des Unternehmens bleiben wird. Im dritten Quartal 2022 kletterte der Umsatz des Rechenzentren-Segments im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 31 Prozent mit 3,83 Milliarden US-Dollar.

Die digitale Transformation schreite selbst inmitten wirtschaftlicher Unsicherheiten weiter voran und werde durch die zunehmende Verbreitung von Cloud Computing vorangetrieben, schreibt etwa der Börsendienst The Motley Fool. Nvidia sei die erste Wahl für die größten Namen im Cloud-Bereich: Microsofts Azure Cloud, Alphabets Google Cloud und Amazons AWS würden sich alle auf Nvidia-Grafikprozessoren verlassen, um ihre Daten durch den Äther zu befördern ebenso wie eine Vielzahl anderer führender Cloud-Anbieter. 

Zukunftsaktie

Für die Zukunft ist Nvidia ohnehin bestens gerüstet. Um autonomes Fahren voranzubringen, schloss das Unternehmen kürzlich Partnerschaften mit Mercedes-Benz, Toyota, Volvo und dem iPhone-Fertiger Foxconn, der verstärkt in die E-Auto-Produktion drängt. Mit Microsoft kooperiert Nvidia, um einen der leistungsstärksten Supercomputer für künstliche Intelligenz (KI) zu bauen. Die Hochleistungsgrafikchips und -prozessoren sind zudem für eine Reihe weiterer Anwendungsgebiete unverzichtbar. Mit ihrer Hilfe soll der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Pharma- und Biotech-Industrie revolutioniert werden. Beispiele sind Bildgebungsverfahren zur Verbesserung der Diagnose und Behandlung von Krankheiten oder zur Entwicklung von neuen Medikamenten.

Dank der Kombination von Biotechnologie und KI sie man in der Lage, „Proteine zu erfinden, die es in der Natur noch nie gegeben hat", sagte Nvidia-Healthcare-Expertin Kimberly Powell kürzlich. „Das Feld des Protein-Engineerings versucht, neue Proteine zu entdecken, die uns helfen können, wirksamere Medikamente zu entwickeln, Kohlenstoff aus der Luft zu entfernen oder umweltfreundlichere Energie, Kleidung und Lebensmittel herzustellen“. 

Am 15. Januar wird das Unternehmen eine KI-basierte Technologie vorstellen, um den Warenschwund durch Diebstahl im Einzelhandel einzudämmen. Dabei sollen nicht nur die am häufigsten gestohlenen Waren identifiziert werden, sondern auch die Wege im Laden, die Langfinger bevorzugt benutzen. Positiver Nebeneffekt: Durch die Analyse der beliebtesten Laufwege kann auch die Präsentation der Waren optimiert werden, um die redliche, zahlungswillige Kundschaft zu animieren, mehr einzukaufen.

Einschätzung der Redaktion

Langfristig ist das Unternehmen auf dem richtigen Weg, die alten Höchststände von rund 300 Euro eines Tages wieder zu erreichen oder gar zu übertreffen. Kurzfristig allerdings ist der Gegenwind heftig. Analyst John Vinh von KeyBanc Capital Markets behält seine Kaufempfehlung zwar weiter bei, reduzierte aber sein Kursziel leicht von 230 auf 220 US-Dollar (etwa 203 Euro). Aber auch bis dahin hat die Aktie 33 Prozent Luft nach oben.

Für die kurzfristige Entwicklung wird der weitere Ausblick des Managements entscheidend sein, der voraussichtlich mit den nächsten Quartalszahlen am 22. Februar veröffentlicht wird. Auf lange Sicht zählt das Papier weiterhin zu den Topfavoriten von BÖRSE ONLINE.

Nvidia ist im BÖRSE ONLINE Chip Power Index enthalten. Wer das Risiko von Einzelaktien scheut, kann mit einem Indexzertifikat (WKN: DA0ABM) die führenden Player der Branche im Paket kaufen – von AMD über Infineon bis Wolfspeed.

Und dieses deutsche Startup für Künstliche Intelligenz sagt Google und Microsoft den Kampf an.

Nvidia (WKN: 918422)

Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Nvidia, Mercedes-Benz