Nach dem Einbruch der deutschen Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um 1,7 Prozent stehen die Zeichen auf Erholung. Führende Volkswirte sind der Ansicht, dass die deutsche Wirtschaft die gravierendsten Auswirkungen der Corona-Krise überstanden hat.

In der Mai-Umfrage zum Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag hat sich vor allem der Ausblick für die kommenden zwölf Monate deutlich aufgehellt. So klettern die Aussichten um 21 Prozent auf 54,1 Punkte und überschreiten damit erstmals seit Jahresbeginn 2019 die Stagnationsmarke von 50 Punkten. Der Barometer-Wert zur Einschätzung der aktuellen Lage legt um über zwölf Prozent auf 42 Punkte zu. Damit steigt auch die Differenz zwischen Stand und Prognose auf über zwölf Prozent. Zuletzt war dies im Boom-Jahr 2017 der Fall - mit einem deutschen Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent.

Das Risiko einer Pleitewelle ist allerdings noch nicht gebannt. Zwei Drittel der Teilnehmer rechnen damit, dass eine Welle von Insolvenzen noch bevorsteht. Dass sich daraus eine Gefahr für das Bankensystem ergeben könnte, befürchten jedoch nur 15 Prozent.

Die aufgehellten Konjunkturperspektiven und die weiterhin lockere Geldpolitik der Notenbank haben den Börsen in Europa und in den USA zuletzt neue Höchststände beschert. Gleichzeitig wächst, auch angetrieben von hohen Rohstoffpreisen, die Furcht vor Inflation und steigenden Zinsen, was die Aktienkurse derzeit belastet. Laut Statistischem Bundesamt lag die Inflationsrate im April bei 2,0 (März: 1,7) Prozent auf einem Zweijahreshoch.

EZB-Direktorin Isabell Schnabel rechnete in einem Interview mit RTL/ntv damit, dass die deutsche Inflation vorübergehend sogar die Marke von drei Prozent überspringen könnte. Einen Grund für geldpolitisches Gegensteuern gebe es aber nicht, weil der Anstieg als vorübergehend eingestuft werde.

Keiner glaubt an GroKo

In der Mai-Umfrage zum Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag rückte erstmals die Bundestagswahl im September in den Blick. Die Erwartungen der Ökonomen, welche Parteienkonstellation dabei herauskommen wird, sind eindeutig: Keiner der Teilnehmer rechnet mit einer Wiederauflage der GroKo aus Union und SPD, aber 76 Prozent mit einer grün-schwarzen oder schwarz-grünen Koalition. 13 Prozent erwarten eine Ampelkoalition (Grüne, SPD, FDP) und vier Prozent eine linke Mehrheit (Grüne, SPD, Linke).

Bezogen auf die einzelnen Kandidaten verteilen die Ökonomen ihre Gunst: 26 Prozent sehen in FDP-Chef Christian Lindner den Politiker, der die beste Wirtschaftspolitik für Deutschland machen könnte. 24 Prozent votieren für Unions-Kandidat Armin Laschet, 20 Prozent für Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock. SPD-Kandidat Olaf Scholz kommt auf 17 Prozent.

Die Frage, ob eine aus dem Wahlprogramm der Grünen abgeleitete grüne Wirtschaftspolitik den Wirtschaftsstandort Deutschland eher stärken oder eher schwächen würde, beantworteten zwei Drittel der Teilnehmer negativ. 26 Prozent glauben, das Programm werde den Standort "eindeutig schwächen", weitere 39 Prozent, es werde ihn "eher schwächen". Für "eher stärken" entschieden sich 17, für "eindeutig stärken" vier Prozent.

In den Diskussionsbeiträgen halten sich die Gegner und Befürworter einer grünen Wirtschaftspolitik die Waage: "Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten den Anschluss an die Weltspitze in vielen Schlüsselsektoren verloren", warnt Dirk Ehnts von der Uni Chemnitz. "Die Wirtschaft muss grüner werden. Wir stehen vor großen ökologischen und sozialen Herausforderungen, dem privaten Sektor fällt dabei eine Schlüsselrolle zu."

Thomas Gries von der Uni Paderborn verweist auf die Chancen verschärfter Umweltanforderungen für die deutsche Wirtschaft: "Deutschland ist Technologieland. Wenn verschärfte globale Umweltanforderungen neue Technologien erfordern, kann es ganz vorn dabei sein."

Juergen B. Donges von der Uni Köln sieht in der grünen Agenda dagegen eher die Risiken: "Zunehmende Staatsverschuldung, höhere Steuern, mehr Marktregulierung, Aufweichung der Eurostabilitätskriterien sowie eine ungebremste moralische Bevormundung des Einzelnen werden in keinem Lehrbuch als positive Standortfaktoren geführt und haben eindeutig die empirische Evidenz gegen sich."

Ähnlich sieht es Friedrich Breyer (Uni Konstanz), der zudem die "Vertreibung wichtiger Industrien" befürchtet.

Nachgehakt bei Oliver Landmann: "Misstrauen in den Markt"


Der Freiburger Ökonom Oliver Landmann über das grüne Wirtschaftsprogramm.

€uro am Sonntag: Am grünen Wirtschaftsprogramm scheiden sich die Geister. Wohin führt es aus Ihrer Sicht?

Oliver Landmann: Das grüne Wirtschaftsprogramm enthält viel Richtiges. Es atmet aber auch den Geist eines detailversessenen Interventionismus.

Was verstehen Sie denn darunter?

Hauptmangel ist ein tiefes Misstrauen gegenüber der Lenkungsfunktion der Marktkräfte, was an allen Ecken und Enden unnötige bis schädliche Eingriffe in individuelle Entscheidungsspiel- räume und Marktprozesse zur Folge hat.

Zum Beispiel?

Die Umweltpolitik erscheint mir als Wildwuchs von staatlichen Vorgaben und direkten Eingriffen in die Produktion. In dieselbe Richtung geht die Arbeitsmarktpolitik mit einer massiven Anhebung des Mindestlohns und weiteren Eingriffen in die Lohnbildung. In der Wohnungsmarktpolitik ist unter anderem eine Baupflicht für Bodeneigentümer vorgesehen und - ganz schlimm - Enteignungen "zum Schutz der sozialen Marktwirtschaft". In der Handelspolitik schließlich kommt eine tiefe Skepsis gegenüber dem Freihandel zum Vorschein, der als Veranstaltung "der großen Konzerne" missverstanden wird.

Und wo sehen Sie die richtigen Ansätze?

In die richtige Richtung gehen die grundsätzlichen Weichenstellungen zur Stärkung der öffentlichen Investitionen. Dazu gehört unter anderem die Herausnahme der Investitionen aus der Schuldenbremse. Positiv sehe ich auch die geplante Stärkung der europäischen Integration, insbesondere die beabsichtigte Aufgabe der deutschen Blockade bei der Vollendung der Bankenunion, sowie den Aufbau einer europäischen Fiskalkapazität. Und nicht zuletzt die beschleunigte Anhebung des CO2-Preises.