Oracle schreibt Börsengeschichte: Ein Kurssprung von 36 Prozent bzw. eine Steigerung des Börsenwertes um knapp 250 Milliarden Dollar an einem Tag – reale KI-Hoffnung oder überzogener Hype?
Es war ein Tag für die Geschichtsbücher. Tatsächlich sind es Momente an der Wall Street, die selbst hartgesottene Marktbeobachter sprachlos machen. Oracle, einst als solider Software-Veteran im Schatten der Hyper-Growth-Stars wahrgenommen, legte gestern die vielleicht spektakulärste Kursbewegung hin, die je ein Big-Cap-Titel gezeigt hat.
In der Spitze schnellten die Aktien um 44 Prozent nach oben, am Ende des Handelstags blieb immer noch ein Plus von knapp 36 Prozent – und ein Zugewinn an Börsenwert von rund 247 Milliarden Dollar. Auf dem Tageshoch gewann Oracle nahe 300 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung. Zum Vergleich: Das entspricht beinahe dem kompletten Marktwert von SAP, dem europäischen Rivalen aus Walldorf.
Ein Rekord für die Geschichtsbücher
Noch nie zuvor hat ein Big-Cap-Unternehmen mit einer Bewertung von über 500 Milliarden Dollar an nur einem Tag mehr als 25 Prozent gewonnen. Oracle pulverisierte nun diese Marke.
Historisch vergleichbar ist allenfalls der „Nvidia-Moment“ von Mai 2023, als der Chipriese mit seiner kosmologischen Umsatzprognose die KI-Revolution an den Märkten einleitete. Nun scheint Oracle eine ähnliche Rolle einzunehmen – als vielleicht unterschätzter, aber zentraler Profiteur des KI-Booms.
Der eigentliche Trigger: Verträge statt Gewinne
Bemerkenswert: Oracle übertraf in seinem jüngsten Quartal weder beim Umsatz noch beim Gewinn die Erwartungen, sondern verfehlte sie sogar leicht. Was die Wall Street dennoch elektrisierte, war eine Zahl aus der zweiten Reihe: Die sogenannten „Remaining Performance Obligations“ (RPO), also vertraglich gesicherte, aber noch nicht verbuchte Umsätze, stiegen um 359 Prozent auf 455 Milliarden Dollar. Dahinter steckt vor allem die neue Großallianz „Stargate“ mit OpenAI, SoftBank, xAI von Elon Musk und mutmaßlich Meta.
Diese gigantische Auftragsbasis deutet darauf hin, dass Oracle mit seiner Cloud-Infrastruktur in den kommenden Jahren zu den zentralen Plattformanbietern für KI-Training und -Inferencing avancieren könnte. Analysten von TD Cowen sprechen vom „momentösesten Quartal“ der Unternehmensgeschichte.
Von Legacy-Software zum KI-Backbone
Oracle, gegründet 1977, ist lange Zeit über seine Datenbank- und ERP-Produkte definiert worden. Mit der Cloud-Initiative unter Gründer Larry Ellison und CEO Safra Catz hat sich das Unternehmen schrittweise neu erfunden. Nun scheint es der Punkt erreicht, an dem die Milliardeninvestitionen zünden. Die Umsatzprognosen für Oracle Cloud Infrastructure (OCI) lesen sich wie eine Tech-Fantasie: von 18 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2026 auf 144 Milliarden Dollar im Jahr 2030 – ein mehr als 14-facher Anstieg gegenüber den rund 10 Milliarden Dollar des vergangenen Jahres.
Sollte Oracle dieses Ziel tatsächlich erreichen, käme es einer Wachstumsstory gleich, die an den kometenhaften Aufstieg von Nvidia erinnert: Der GPU-Spezialist steigerte seinen Umsatz im Datacenter-Geschäft von 6,7 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2021 auf 115 Milliarden Dollar 2025, mit Analystenerwartungen von über 184 Milliarden Dollar für das laufende Jahr. Oracle sieht sich also auf einem potenziell ähnlichen Wachstumspfad wie das Paradebeispiel der KI-Ökonomie.
Nach Informationen des "Wall Street Journal" steckt hinter dem Rekordsprung vor allem ein Mega-Deal: Oracle und OpenAI sollen einen Cloud-Vertrag im Volumen von 300 Milliarden Dollar geschlossen haben – der größte seiner Art in der Geschichte.
Der Preis des Wachstums
Doch nicht alles glänzt im Sonnenlicht der Rekorde. Die Analysten von Melius Research warnen: Die Expansion kommt zu einem hohen Preis. Oracles Free Cashflow ist bereits ins Negative gerutscht, die Margen könnten dramatisch unter Druck geraten. Statt 50 Prozent operativer Marge wie im angestammten Softwaregeschäft drohen künftig einstellig rentierliche Rechenzentren – womöglich sogar Verluste im GPU-Vermietungsgeschäft.
D.A. Davidson-Analyst Gil Luria formulierte es scharf: „Wir werden angeleitet zu glauben, dass Oracle in Teilen seines Cloud-Geschäfts Dienste zum Selbstkostenpreis oder darunter anbietet.“ Um den Hunger der Kunden nach Rechenleistung zu stillen, investiert Oracle allein in diesem Jahr 35 Milliarden Dollar in neue Kapazitäten. Ob diese Strategie langfristig den Aktionären dient oder primär den Lieferanten – Nvidia, AMD, Broadcom oder Arista Networks – wird sich erst zeigen.
Zwischen Hype und Fundament
So bleibt die entscheidende Frage: Handelt es sich beim Oracle-Wunder um den Auftakt zu einer fundamentalen Neubewertung – oder um einen kollektiven Anflug von KI-Euphorie? Die Wahrheit dürfte, wie so oft an den Märkten, in der Mitte liegen. Unbestritten ist, dass Oracle sich in den Kreis der strategischen KI-Infrastrukturanbieter katapultiert hat. Ebenso klar ist jedoch, dass die operative Realität mit sinkenden Margen und steigendem Kapitalbedarf erst noch verdaut werden muss.
Im Oktober will das Management auf einem Analystentag weitere Details zur Strategie und Profitabilität liefern. Bis dahin bleibt der Rekordsprung von Mittwoch ein historisches Monument – und ein Lehrstück darüber, wie schnell die Wall Street ein scheinbar altgedientes Unternehmen in den Olymp der KI-Gewinner katapultieren kann.
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