Für Fundstrat-Mitgünder Tom Lee stehen die Märkte vor einer Neubewertung – nach oben. Getrieben von Liquidität könnte die Rallye könnte schon in wenigen Tagen starten.
Der bekannte Stratege Tom Lee von Fundstrat hält die jüngste Seitwärtsbewegung am US-Aktienmarkt für eine klassische Verschnaufpause – und erwartet schon bald den nächsten Kursschub. In einem Interview mit CNBC erklärte Lee vorgestern, dass der S&P 500 aktuell eine Neubewertung durchlaufe („rerating“) und sich die Bewertungsmultiplikatoren weiter nach oben bewegen dürften. Ein „breakaway move“ könne noch im August beginnen – möglicherweise schon innerhalb der kommenden Woche.
Lee verweist auf die eindrucksvolle Erholung seit April, in der der Leitindex um 28 Prozent gestiegen ist. Angesichts der schwachen Handelsvolumina in den „Dog Days of August“ und der anstehenden Zinssitzung der Fed im September sei eine gewisse Orientierungslosigkeit normal. Rücksetzer blieben jedoch flach – und das bei einer weiterhin robusten Gewinnentwicklung. „Unsere Gespräche mit institutionellen Kunden zeigen nach wie vor große Vorsicht. Viele haben im April aus Angst vor weiteren Verlusten ihre besten Titel verkauft und sind bis heute nicht wieder voll investiert. Das bietet Spielraum nach oben“, so Lee.
Die Börse hat in den 2020ern schon sechs „Stresstests“ bestanden
Kritik an hohen Bewertungen wischt Lee nicht vom Tisch – er sieht sie aber im Kontext. In den vergangenen fünf Jahren habe der Markt sechs „Stresstests“ durchlaufen – von der Corona-Pandemie über historische Inflations- und Zinszyklen bis hin zu geopolitischen Spannungen. Dennoch seien die Unternehmensgewinne gestiegen. Für Lee ist das ein Beleg für die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft – und ein Argument für höhere Multiples.
Zudem sei der US-Aktienmarkt strukturell geschrumpft: Es gebe weniger als 5.000 gelistete Unternehmen, während große Summen an überschüssiger Liquidität in Form von Dividenden, Ersparnissen und Cash-Beständen von rund 7 Billionen US-Dollar nach Anlagemöglichkeiten suchten. Dies führe zu einer Prämie für „Qualitäts-Assets“ – Lee nennt Beispiele wie den Stablecoin-Emittenten Circle oder Software-Perlen wie Figma, die wegen ihrer Seltenheit extreme Kursanstiege verzeichnen.
Konzentration und Konsum – kein unmittelbares Risiko
Auch die historisch hohe Index-Konzentration mit Schwergewichten wie Nvidia, das den größten Indexanteil seit 1981 erreicht hat, sieht Lee gelassen. Die Gewinnbeiträge dieser „Mega-Caps“ seien außergewöhnlich hoch, insbesondere bei Nvidia als zentralem Treiber der KI-Revolution.
Der US-Konsum, häufig als Schwachpunkt angeführt, sei laut Lee und anderen Diskutanten stabil. Zwar steigen Kreditkartensalden, doch die Verschuldung gemessen am Einkommen liege unter dem Vor-COVID-Niveau. Große US-Konzerne von Disney bis Chipotle berichten von robusten Umsätzen – ein Indiz, dass Verbraucher noch über Spielraum verfügen.
Tarife, Saisonalität und der Blick auf Small Caps
Handelszölle – insbesondere die von der Trump-Regierung angestoßenen Erhöhungen – sind für Lee ein diskutiertes, aber kein dominantes Risiko. Sie würden Gewinner und Verlierer schaffen, ohne die Ertragslage des gesamten S&P 500 entscheidend zu unterminieren.
Bemerkenswert: Lee erwartet nicht nur eine Fortsetzung der Mega-Cap-Rally, sondern auch eine Erholung der Marktbreite. Das KGV des gleichgewichteten S&P 500 liegt mit 16,9 unter dem Niveau vor der Pandemie. Bei einer Rückkehr des ISM Manufacturing über 50 könne dies ein Gewinnschub für Zykliker, Finanzwerte und Industriewerte bedeuten – und auch für Small Caps, die zuletzt von sinkenden Zinsen profitiert haben.
Gewinnsaison als Treiber
Die laufende Berichtssaison bestätigt Lees Optimismus: 83 % der S&P-Unternehmen übertrafen die Erwartungen, die aggregierten Gewinne lagen um mehr als 12 % über dem Vorjahresquartal. Das Bild sei nicht nur von den „Magnificent Seven“ geprägt – auch viele Nebenwerte hätten überzeugt.
Für den Rest des Jahres rechnet Lee daher mit einem S&P 500 bei 6.600 Punkten, möglicherweise noch im August. Historisch sei der Spätsommer zwar schwach, doch gerade diese Erwartung könne den Markt zu einem Konter bewegen. „Das ist der Monat“, betonte Lee – und stellte klar: Sein Basisszenario bleibt eine Breakout-Rallye in den kommenden Tagen. Anleger werden in der kommenden Woche genau hinschauen.
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