DAX und Euro Stoxx haben im ersten Halbjahr überraschend den US-Aktienmarkt abgehängt. Wir sagen, was für eine nachhaltige Trendwende an den Weltbörsen spricht und welche Aktien jetzt Gewinner sind.

Anfang des Jahres lud die Invest­mentbank Goldman Sachs wich­tige Klienten zu einer großen Konferenz nach London. Solche
Treffen festigen Geschäftsbeziehungen, sind aber auch eine gute Gelegenheit, den Puls der Märkte zu messen. Teil des Pro­gramms: eine Umfrage. Wie schätzen die vermögenden und vermutlich auch gut informierten Kunden die Aussichten zum neuen Jahr ein? Das Ergebnis: ein breiter Konsens, dass der US-Aktienmarkt über­durchschnittlich abschneiden wird, der Techsektor besonders gut läuft und der Dollar die stärkste Währung bleibt. Mit an­ deren Worten: Die großen Trends der ver­gangenen Jahre werden sich fortsetzen.

Nach sechs Monaten sieht die Welt an­ders aus: Der DAX hat im ersten Halbjahr um rund 20 Prozent zugelegt, der europä­ische Stoxx 600 um rund zehn Prozent. Der amerikanische Aktienmarkt läuft hin­terher. In Euro gerechnet hat der S&P 500 in den ersten sechs Monaten sogar an Wert verloren. Ist das erste Halbjahr nur eine kurzlebige Anomalie oder der Beginn eines breiteren Favoritenwechsels?

Fakt ist: Die US-Wirtschaft ist nach der großen Finanzkrise deutlich stärker gewachsen als die europäische. Ameri­kanische Techkonzerne sind die klaren Gewinner revolutionärer Innovationen. Die starke Wertentwicklung vieler Aktien aus den USA ist darum durch eine außer­ gewöhnliche Gewinndynamik gerecht­fertigt. An der Börse aber geht es um die Zukunft. Trendbrüche sind im Anfangs­stadium schwer zu erkennen.

Kommt die Trendwende zu Europa?

Potenzielle Bruchstellen in der aktuellen Situation: politische Unsicherheit durch die Trump­-Regierung, steigende Staatsverschuldung der USA, ein fallender Dollar, Inflationsgefahr durch Schutzzölle. Auf der anderen Seite des Atlantik: Die großen Investitionsprojekte der Staaten, die viel Geld in die Infrastruktur und die Modernisierung ihrer Armeen stecken wollen und damit die Wirtschaft ankurbeln. Neues Potenzial kommt auch durch den Einsatz von KI in Unternehmen. Das Fundament für ein europäisches Bullenmarkt­-Szenario werde gerade ge­legt, kalkulieren die Strategen der Invest­mentbank Morgan Stanley.

Das alles passiert vor dem Hintergrund hoher Bewertungskennziffern amerikani­scher Aktien. Selbst wenn man den Tech­bereich ausklammert, sind US-Unterneh­men im Vergleich zu Europa und Asien deutlich teurer als im historischen Durch­schnitt, rechnet Goldman Sechs vor. Die Spreizung bedeutet nicht, dass Anleger US-Aktien aus dem Depot werfen müssen. Vor allem im Techbereich sieht BÖRSE ONLINE bei US-Werten weiter Potenzial. Europäische Unternehmen würden da­gegen unter einer Eskalation des Schutzzollstreits leiden. Trotzdem rät Goldman Sachs, Börsianer sollten sich regional brei­ter aufstellen.

Momentum und Dividende bei diesen Aktien

Welche Aktien aus Europa bieten sich für das zweite Halbjahr an? Siemens Energy ist Topwert einer Rangliste von Morgan Stanley, die etliche Kriterien berücksich­tigt wie die Entwicklung der Gewinnpro­gnosen, das Momentum des Aktienkurses oder auch die Preissetzungsmacht. Sie­mens Energy profitiert von den großen Trends der Energiewende und Digitalisie­rung. Die Aktie ist nach deutlichen Kurs­gewinnen vor allem ein Momentumwert und hoch bewertet. Der Konzerngewinn dürfte aber kräftig steigen. Ein wichtiger Termin: der Kapitalmarkttag im Novem­ber. Der Analystenkonsens kalkuliert, dass Siemens Energy das Nettoergebnis im kommenden Jahr mehr als verdoppelt, in den folgenden beiden Jahren um jeweils rund 30 Prozent zulegt.

Eine andere Aktie aus Europa mit ho­hem Momentum ist Spotify, der führende Streamingdienst für Musik. Die Zahl der Abonnenten haben die Schweden im ers­ten Quartal um zwölf Prozent auf 268 Mil­lionen gesteigert. Rechnet man jene hin­ zu, die das Angebot umsonst, aber mit Werbeeinblendungen nutzen, sind es sogar 678 Millionen Menschen. Der Burg­graben, der das Geschäft von Spotify vor Konkurrenz schützt, werde tiefer, lobt Bloomberg Intelligence. Wachstums­potenzial bietet die Expansion in Bereiche wie Hörbücher, Podcasts und Video. Ana­lysten erwarten, dass sich der operative Gewinn von Spotify in den Jahren 2025 bis 2028 verdoppelt.

Dividendenklassiker und Turnaround­kandidat ist dagegen Nestlé. Der Nah­rungsmittelhersteller aus der Schweiz will sich unter Konzernchef Laurent Freixe neu fokussieren. Die Diversifizierung unter Vorgänger Mark Schneider habe dazu ge­führt, dass das Kerngeschäft vernachläs­sigt worden sei, kritisierte Freixe unlängst. Beim Blick nach vorn spielen einige „große Wetten“ wie ein Espresso­-Konzentrat un­ter der Marke Nescafé oder auch ein neues Nassfutter für Katzen eine zentrale Rolle. Erste Fortschritte seien erkennbar, urtei­len die Analysten von Barclays. Die Divi­dendenrendite der Aktie liegt bei knapp vier Prozent.

Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE, die Sie hier finden.

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