Infrastruktur-Projekte für Billionen Euro. Verkehr, IT, Wasser, Energie – weltweit werden gigantische Summen investiert, um die Basis für Wachstum zu schaffen. Für Anleger ein sicheres Pflaster. Von Walter Böhm

Zug umgeleitet oder ausgefallen, Verspätung, Anschluss ver­passt. Wann sind Sie das letzte Mal bei einer Bahnfahrt pünkt­lich angekommen? Im Sommer waren in der Spitze laut der Deutschen Bahn 42 Prozent der Fernzüge verspätet. Die Gründe: viele Baustellen, um das ma­rode Netz zu reparieren, eine hohe Aus­lastung und jüngst auch noch Sabotage. Besonders viele Verspätungen gibt es in den westdeutschen Ballungsgebieten wie zwischen Hamburg und Hannover, in der Rhein­Main­Region oder im Groß­raum München.

Über Jahrzehnte ist die Bahn kaputt­ gespart worden. Sie ist kein Einzelfall. Auch in die Wassernetze ist in der Ver­gangenheit zu wenig für Erhalt und Er­neuerung investiert worden. Und das nicht nur in Deutschland. Beispiel Lon­don: Das Versorgungsnetz der briti­schen Hauptstadt ist so alt wie kaum ein anderes. Große Teile stammen noch aus dem 19. Jahrhundert. Jeden Tag versi­ckern schätzungsweise 30 Prozent des wertvollen Nass durch Leckagen. Und die USA, die größte Volkswirtschaft der Welt, sind regelrecht berüchtigt für ihre marode Infrastruktur.

Große Defizite in der Infrastruktur

Nach Schätzungen des Beratungsun­ternehmens Oxford Economics wurden im vergangenen Jahr weltweit 2,8 Billi­onen Dollar in Transportwege, in die Versorgung mit Energie und Wasser sowie die Telekommunikationsnetze investiert. Nötig gewesen wären aller­dings 3,2 Billionen Dollar. Die Differenz entspricht in etwa 0,5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Und die Schere geht nach der Prognose der Wirtschaftswissenschaftler noch weiter auseinander.

Nach jahrelangen Versäumnissen zeichnet sich jedoch langsam ein Wechsel ab. Europa hat sich die Energie­wende zum Ziel gesetzt. Durch den Aus­stieg aus fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl, durch die Transformation von Benzin­ und Dieselfahrzeugen zu Elektroautos und durch die bessere Wärmedämmung von Gebäuden soll der Ausstoß des klimaschädlichen Koh­lendioxids reduziert werden. Ziel ist es, die CO2-­Emissionen bis 2030 um min­destens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken. Bis 2050 will die EU sogar vollkommen klimaneutral sein. Jetzt verstärkt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine den Druck, sich aus Gründen der Energiesicherheit schnell von Öl und Gas zu verabschie- den — zumindest von den Lieferungen aus Russland.

Die USA steigen ein

Unter Präsident Joe Biden gewinnt das Thema Energiewende mittlerweile auch in den Vereinigten Staaten an Momentum. Washington hat nach monatelangen Verhandlungen Ende vergangenen Jahres ein Gesetz durch den Kongress gebracht, das 550 Milliarden Dollar für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur mobilisieren soll. Zusammen mit den Mitteln, die bereits genehmigt waren, kommt das Paket auf einen Umfang von einer Billion Dollar.

In den USA geht es allerdings nicht nur um den öffentlichen Nahverkehr, das Schienennetz oder Ladestationen für Elektroautos. Umfangreiche Mittel sollen auch zum Beispiel in den Ausbau und in die Renovierung von Straßen und Brücken fließen.

Die Notwendigkeit dazu besteht auch in Europa. So sind in Deutschland mehr als zwölf Prozent der Brücken in einem nicht ausreichenden oder ungenügenden Zustand, so das Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Die Folge ist, dass für Fahrzeuge Gewichtsbeschränkungen bestehen oder die Brücken im schlimmsten Fall ganz gesperrt sind. Die volkswirtschaftlichen Schäden sind immens. Spätestens seit dem Einsturz einer 260 Meter langen Brücke in Genua, der vor vier Jahren 43 Menschen das Leben kostete, ist klar, dass es im Rest Europas nicht besser aussieht.

Infrastruktur USA

Riesige Investitionen

Es liegt auf der Hand, dass es die Staaten finanziell allein nicht stemmen können, die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. An den notwendigen Investitionen der Privatwirtschaft können sich auch Anleger beteiligen, wenn die entsprechenden Unternehmen börsennotiert sind. Deren Geschäftsmodelle sind in der Regel konjunkturunabhängig. Häufig besteht auch ein Inflationsschutz.

In Deutschland ist RWE der größte Versorger. Erst vor Kurzem hat der Energiekonzern mit der Regierung vereinbart, nicht erst 2038, sondern schon 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Dazu will RWE verstärkt in erneuerbare Energien investieren. Allein hierzulande will RWE in den kommenden Jahren zwischen zehn und 15 Milliarden Euro in den Ausbau von Offshore- und Onshore-Windkraft, Solar, Speicher, flexiblen Back-up-Kapazitäten und Wasserstoff investieren. Insgesamt will RWE sogar 50 Milliarden Euro in die Erneuerbaren stecken und ab 2040 klimaneutral wirtschaften.

Einen großen Schritt in diese Richtung hat der Konzern vor wenigen Tagen für die USA angekündigt. Dort übernehmen die Deutschen für 6,8 Milliarden Dollar Con Edison Clean Energy Businesses, einen Entwickler und Betreiber von Solaranlagen und Energiespeichern. Durch die Akquisition steigt RWE in den USA zur Nummer 4 bei erneuerbaren Energien auf. Den Kauf finanziert der Konzern unter anderem durch die Ausgabe einer Pflichtwandelschuldverschreibung, die später in Inhaberstückaktien gewandelt und von der Qatar Holding gezeichnet wird. Damit wird das Emirat Katar perspektivisch zum größten Anteilseigner des Essener DAX-Konzerns.

RWE

Umtriebige Franzosen

In Europa gilt Vinci fast schon als Synonym für die klassische Infrastruktur. Die Franzosen sind mit rund 220 000 Beschäftigten in 120 Ländern einer der weltweit größten Spieler im Markt. Der Konzern plant, finanziert, baut und betreibt fast auf der ganzen Welt Mautautobahnen, Brücken, Tunnel, Schienennetze oder Flughäfen und Sportstadien. Außerdem ist Vinci auch im Bereich Energie tätig.

Mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes steuert der Baubereich bei. Zuletzt war es auch die kleinere Sparte Konzessionen, die den Gewinn nach oben trieb. Nachdem Corona seinen Schrecken verloren hat, reisen die Menschen wieder viel. Das hat auf Mautautobahnen und den Flughäfen die Kasse klingeln lassen. Vom Plus beim Gewinn profitierten Anteilseigner im ersten Halbjahr auch in Form einer Zwischendividende von einem Euro je Aktie — gegenüber 2021 bedeutete dies eine Erhöhung um 54 Prozent.

Dieser Text erschien zuerst in Euro am Sonntag 41/2022. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.

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