Eine Horrorvorstellung für jeden: die Diagnose Krebs. Jährlich erkranken in Deutschland insgesamt etwa 476 000 Menschen neu - Krebs ist die zweithäufigste Todesursache. Das Tückische an der Krankheit: Die Tumorzellen vermehren sich schnell, und sie sind unglaublich wandlungsfähig. Über genetische Mutationen tricksen sie das körpereigene Abwehrsystem aus. Doch zahlreiche neue Therapieansätze, mit denen sich das Tumorwachstum besser in Schach halten lässt, stehen jetzt vor dem großen Durchbruch.

Der jährliche Fachkongress der American Society for Clinical Oncology (ASCO) in Chicago ermöglicht als weltweit wichtigste Plattform für Wissenschaftler und Investoren den besten Einblick in die Fortschritte der Branche. Positive klinische Daten bewegen vor oder während der Konferenz die Kurse der präsentierenden Firmen. Umgekehrt werden Fehlschläge meistens deutlich abgestraft.

Zu den Highlights auf der ASCO 2019 zählt Iovance Biotherapeutics. Um mehr als 80 Prozent schoss der Aktienkurs der US-Biotechfirma in einem Monat nach oben. Die Euphorie ausgelöst haben die klinischen Wirksamkeitsdaten bei einer neuen Therapieform, bei der aus dem Tumorgewebe entnommene, isolierte und dann wieder injizierte Immunzellen die Krebszellen attackieren. Der Wirkstoff Lifileucel zeigte bei Patienten mit schwarzem Hautkrebs Ansprechraten von 38 Prozent, was in etwa dem Vierfachen der aktuell verfügbaren Therapieoptionen entspricht.

Ebenso vielversprechend waren die Daten eines anderen Wirkstoffs gegen Gebärmutterkarzinome. Mit seiner Technologieplattform hat Iovance gegenüber Wettbewerbern einen klaren zeitlichen Vorsprung. Die Technologie ist in einer großen Bandbreite einsetzbar.

Biotechschwergewicht Amgen wiederum lieferte starke Ergebnisse mit einem Wirkstoff, der das KRAS-Protein blockiert, welches bei der unkontrollierten Teilung von Tumorzellen eine Schlüsselrolle spielt. So gelten KRAS-Mutationen als einer der Hauptauslöser von Lungen- und Dickdarmkrebs. Zugute kam der Erfolg von Amgen auch einer kleineren Biotechfirma, die ein Präparat entwickelt, das an derselben Genmutation ansetzt: der Aktienkurs von Mirati Therapeutics schoss um 30 Prozent nach oben.

Der Markt fragmentiert sich

Die Beispiele zeigen, dass mittlerweile nicht nur die großen Pharma- und Biotechkonzerne die Krebsmedizin aufmischen. Einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben die Fortschritte in der personalisierten Medizin. Deren Vorteil: Über neue Diagnostikverfahren lässt sich die Zahl jener Patienten genauer eingrenzen, bei denen sich aufgrund ihrer genetischen Veranlagung das Wirkprofil von Präparaten im Entwicklungsstadium am besten eignet. Für Hanns Frohnmeyer, Fondsmanager des BB Adamant, ergeben sich daraus mehrere Vorteile für kleinere Firmen: "Sie können effizientere Studienergebnisse mit kleineren Patientenzahlen und damit niedrigeren Kosten durchführen. Das bedeutet auch, dass diese Firmen in Nischenindikationen auch die Vermarktung in einzelnen Märkten in Eigenregie angehen können."

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die großen Pharmakonzerne ihre Strahlkraft als Innovationslabor in der Onkologie verlieren. So glänzten auch Novartis und AstraZeneca auf der ASCO mit klinischen Ergebnissen. Experte Frohnmeyer sieht die Pharmaindustrie jedoch vor dem Dilemma, dass sich Megablockbuster, also Produkte mit einem jährlichen Umsatzpotenzial von mehr als fünf Milliarden US-Dollar, in Zukunft viel schwerer erzielen lassen werden: "Gerade weil der Markt für Krebsarzneien immer spezifischer wird, lässt es sich schwieriger vorhersagen, ob neue Produkte Milliardenumsätze einspielen können."

Mario Linimeier, Geschäftsführer der Fondsgesellschaft Medical Strategy, gelangt zu einer ähnlichen Einschätzung: "Größere Blockbuster lassen sich nur erreichen, wenn im Anschluss an die Zulassung für eine Krebsart über neue klinische Studien die schnelle Erweiterung auf weitere Anwendungsfelder angestrebt wird." Das bessere Wirkprofil dieser neuen Produkte, welche die Überlebensraten deutlich verlängern, liefere den Firmen auch Argumente für die hohen Preissetzungen.

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Vier potenzielle Überflieger

Wer in solche Nischenplayer investiert, sollte sich über den hochspekulativen Charakter im Klaren sein. Klinische Fehlschläge sind der Auslöser für große Kurseinbrüche. Umgekehrt kann ein zugelassenes Produkt diese Unternehmen in Richtung Profitabilität befördern. Die Übernahmefantasie tut ein Übriges.

Iovance Biotherapeutics und Mirati Therapeutics fallen in diese Kategorie der heißen Übernahmekandidaten, wobei die Entwicklungspipeline von Mirati auf zwei verschiedene Therapieansätze ausgerichtet ist. Beide Firmen haben gemeinsam, dass sie ihre am weitesten fortgeschrittenen Produkte noch nicht an Partner auslizenziert haben.

Incyte ist etwas weiter. Die Firma schreibt bereits schwarze Zahlen, Jakafi sei Dank. Dieses Produkt, das eine Störung des Blutbilds im Knochenmark behandelt, erlöste 2018 mehr als 1,3 Milliarden US-Dollar. Es hemmt Enzym-Signalwege, welche für die Blutbildung und die Immunfunktion wichtige Wachstumsfaktoren weiterleiten. Verschiedene Wirkstoffe durchlaufen aktuell Wirksamkeitsstudien. Wir stufen den Titel daher wieder auf "Kaufen".

In Deutschland bleibt Morphosys erste Wahl. Bis Ende 2019 will der Antikörperspezialist die zulassungsrelevanten Daten für MOR 208 gegen eine aggressive Blutkrebsart vorlegen. Geht alles glatt, soll noch 2019 der Zulassungsantrag für die USA folgen.

Seite 3: Krebsmedizin auf einen Blick

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