Dieser Streamer liefert Quartalszahlen, als gäbe es kein Morgen. Dennoch reagiert die Aktie lediglich verhalten. Woran das liegt und warum der Kurs weiterlaufen sollte.
Hätte jemand 2021 gewettet, dass 2025 weltweit so viele Leute wie noch nie vor dem Bildschirm sitzen, um bei der dritten Staffel von „Squid Game“ den nächsten Battle auf Leben und Tod zu be staunen — es hätten wohl so einige dagegen gehalten. Zu Unrecht. Denn in den ersten drei Tagen nach Start wurde das Düstergeschehen 60 Millionen Mal abgerufen und damit insgesamt 368 Millionen Stunden Lebenszeit verschwendet. So viel los war noch nie beim Streamingdienst Netflix.
Bei derartiger Hingabe der Abonnenten verwundern sie nicht: die Zahlen des neuen Quartalsberichts des Unternehmens aus Los Gatos in Kalifornien. Die klingen nämlich auch nach Action-Blockbuster: Im zweiten Quartal 2025 lag der Umsatz bei über elf Milliarden Dollar und damit 16 Prozent über dem Vorjahresquartal — leicht mehr als die Analysten erwartet hatten. Der Gewinn pro Aktie lag bei 7,19 Dollar, was ebenfalls über den Prognosen lag. Ted Sarandos, Chef-Filmvorführer bei Netflix, also der Mann, der verantwortlich ist für alles Sehenswerte und weniger Sehenswerte beim Streaminggiganten, gab sich darüber erfreut: „Wir lieben diese Zahlen fast so sehr wie unser Publikum die ‚Squid Games‘. Und das will was heißen“, ließ er die Analysten beim Earnings Call wissen. Der Nettogewinn von 3,1 Mil liarden Dollar und ein freier Cashflow über 2,3 Milliarden legen nahe: Die Netflix-Maschinerie läuft.
Und weil das so ist, bleiben Sarandos und sein Co-Chef Greg Peters ambitioniert: Jetzt peilt man für das Gesamtjahr selbstbewusst 44,8 bis 45,2 Milliarden Dollar Umsatz an — wohlwissend, dass die hohen Kosten für Marketing und die Abschreibungen respektive Verrechnung der Produktionskosten vieler neuer, teuer produzierter Filme und Blockbuster die Bilanz durchaus belastet.
Und das könnte an die operative Marge gehen, die mit zuletzt 34,1 Prozent schlaflose Nächte bei der Konkurrenz verursacht haben dürfte. Allerdings gibt sich Netflix beim Ausblick fürs zweite Halbjahr bescheidener. Schließlich stehen gigantische Release-Wellen bevor — „Stranger Things“-Finale, Staffel 2 von „Wednesday“ oder auch Guillermo del Toros „Frankenstein“. Das kostet viel Geld, weiß auch Sarandos. O-Ton: „Das größte Risiko für unsere Marge ist, dass wir unsere eigenen Binge-Rekorde schlagen wollen — und das Produktionsbudget damit gleich mit.“
Werbung, die nicht nerven soll
Dennoch bleibt grundsätzlicher Optimismus. Was daher rührt, dass das Werbegeschäft mittlerweile eine Starrolle übernimmt. „Wir sind auf Kurs, unsere Werbeumsätze bis Jahresende zu verdoppeln“, sagt Co-Chef Peters. „Und wir haben noch ziemlich viele Ideen für kreative AdBreaks, die niemanden nerven.“ Drei Milliarden Dollar will Netflix bis Jahresende nur mit Werbung einnehmen — eine Verdopplung gegenüber 2024. Das ist gut fürs Geschäft und gar nicht so schlecht für den Kunden, denn im Werbemodell zahlt man weniger für das Abo — in Deutschland aktuell 4,99 Euro pro Monat statt 13,99 respektive 19,99 Euro.
Top-Wachstumsmotor ist indes die internationale Expansion. Während der US Markt schon fast alle Haushalte erreicht hat, geht es in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Asien Pazifik dynamisch aufwärts. Besonders in Asien stieg der Umsatz im zweiten Quartal um 24 Prozent, auch weil man dort mit lokalen Genres neue Publikumsrekorde feiert.
Auch spannend ist der Flirt des Unternehmens mit dem „linearen“ Fernsehen. Seit 2024 überträgt Netflix ausgewählte NFL-Spiele und produziert gar eigene Sportevents, zum Beispiel Tennis, Golf oder Box-Shows. Und in Frankreich gibt es ab 2026 mit dem Privatsender TF1 einen festen Programmkanal in der App. Dazu arbeitet Netflix an einer Live-Streaming-Funktion, beispielsweise für Shows und Specials, die ähnlich wie klassische Formate live ausgestrahlt werden.
Aktie spiegelt Erfolg noch nicht wider
Doch wo Rekorde, da auch Negatives. Denn trotz der Topzahlen rutschte der Aktienkurs nachbörslich erst mal etwas ab. Offenbar hatten einige Anleger noch epischere Prognosen erwartet. Oder es wird befürchtet, dass die Kostenkurve im Herbst so steil wird wie das Set von „Squid Game“. Doch die jüngste Minikorrektur hin oder her — die Analysten bleiben entspannt. Die meisten haben ihr Kursziel sogar noch mal angehoben. Die UBS etwa von 1450 auf 1495 Dollar — was beim aktuellen Kurs etwa 1250 Euro entspricht.
Was bleibt also? Rekordumsatz, starke Marge, kräftig wachsender Werbemarkt und eine nie dagewesene Content-Offensive sichern den Status als Platzhirsch der Branche. Bleibt die Frage: Schafft es die nächste Quartalskonferenz als eigenständige Realityshow auf die Plattform? Die Zuschauer hätten es verdient — und Ted Sarandos wahrscheinlich auch.
Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (30/25), die Sie hier finden.
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