Selten war ökonomische Expertise in der Bundesregierung so gefragt wie in der aktuellen Corona-Pandemie. Und selten war es für Wissenschaftler so schwierig, Ratschläge zu geben, weil es eine globale Krise in dieser Form noch nicht gegeben hat. Mitten in diesen Verwerfungen wurde Monika Schnitzer Anfang April in den Sachverständigenrat für Wirtschaft berufen. Sie und ihre vier Kollegen, die sogenannten Wirtschaftsweisen, beraten die Bundesregierung, wie die Wirtschaft wieder nachhaltig zum Laufen gebracht werden kann.

Wie schlimm die Krise ist und wie lange sie dauern wird, das könne ak­tuell keiner seriös beantworten, sagt Schnitzer. Zum einen, weil die relevanten Daten für April erst Anfang Juni verfügbar sind. Zum anderen, weil es keine historischen Vergleiche gibt.

Mit ihrer Tätigkeit im Sachverständigenrat will Schnitzer auch dazu beitragen, der Öffentlichkeit besser zu vermitteln, wie Wissenschaftler arbeiten. Denn derzeit herrsche oft Unverständnis darüber, dass Forscher vermeintlich ständig ihre Sichtweise ändern. Dabei sei das genau das Wesen von Wissenschaft. "Man findet neue Evidenzen und kommt dann zu neuen Schlüssen", erklärt sie. Trotz aller aktuellen Unsicherheiten, weiß die Wirtschaftswissenschaftlerin aber eines ganz genau: Sie hält es für problematisch, "dass Deutschland so stark von der Autoindustrie abhängt". Was Schnitzer von Kaufprämien und anderen Konjunkturpaketen hält, verrät sie im Interview mit €uro am Sonntag.

€uro am Sonntag: Frau Schnitzer, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern, hat die Bundesregierung ­Rettungspakete in Höhe von bislang 1,25 Billionen Euro geschnürt. Können wir uns das leisten?
Monika Schnitzer: Wir sind auf jeden Fall in einer guten Ausgangsposition. Auch weil wir es nach der Finanzkrise geschafft haben, die Verschuldungsquote innerhalb von zehn Jahren von 80 auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Ich habe die Hoffnung, dass das auch nach dieser Krise gelingt, wenn die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt. Dazu müssen wir natürlich nach Überwindung der Krise wieder Haushaltsdisziplin wahren.

Nach Pfingsten soll ein riesiges Konjunkturpaket verabschiedet werden. Wo wird das Geld Ihrer Meinung nach am besten eingesetzt?
Ich würde gern eine Frage vorneweg stellen: Braucht es überhaupt ein branchenspezifisches Konjunkturpaket? Es gibt Maßnahmen, die weniger branchenspezifisch wirken, sondern Unternehmen insgesamt helfen, die Krise besser zu überstehen.

Zum Beispiel?
Ein erweiterter Verlustrücktrag und Verlustvortrag. Das heißt, wer jetzt Verluste schreibt, sollte seine Steuern, die für das vergangene Jahr zu zahlen sind, stärker als bisher möglich mindern können. Das käme jedem Unternehmen zugute, das bisher profitabel war. Die Maßnahme wäre direkt liquiditätswirksam und würde nicht einzelne Branchen bevorzugen.

Dennoch sieht es ganz so aus, als würde das Konjunkturpaket kommen. Was sollte die Regierung Ihrer Ansicht nach dabei berücksichtigen?
Konjunkturhilfen sind vor allem dann sinnvoll, wenn ein Mehrwert generiert wird, im Sinne einer doppelten Dividende. Das heißt konkret, dass man nicht nur kurzfristig die Wirtschaft ankurbelt, sondern mit der Investition auch den notwendigen Strukturwandel fördert. Das gilt insbesondere für Themen wie Digitalisierung und Klimaschutz. Bisher ist mein Eindruck allerdings, dass die Krise von manchen eher genutzt wird, um Zweifel an der Umsetzbarkeit der Klimaauflagen und insbesondere des sogenannten Green Deal zu säen.

Apropos Klimaschutz. Die Bundesregierung rettet die Lufthansa mit neun Milliarden Euro und soll im Gegenzug mindestens 20 Prozent der Anteile halten. Nun ist ein Streit entbrannt, ob sich der Staat dann auch unternehmerisch einmischen soll. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte das für ausgesprochen problematisch, weil der Staat nicht der bessere Unternehmer ist. Es besteht die Gefahr, dass unternehmerisches Handeln und politische Ziele vermengt werden. Das kann unter Umständen verhindern, dass sich das Unternehmen so restrukturiert, wie es in der Krise notwendig ist. Das gilt beispielsweise für den Abbau von Arbeitsplätzen, aber auch beim Thema Klimaauflagen. Hier wäre es besser, Regeln zu erlassen, die für alle Unternehmen gelten, weil man sonst den Wettbewerb verzerrt.

Die Autobosse fordern vehement eine staatlich finanzierte Kaufprämie. Halten Sie die für sinnvoll?
Kaufprämien sind in der Finanzkrise eingesetzt worden und haben sich als teuer und ineffektiv erwiesen. Die Bundesregierung hat damals fünf Milliarden Euro dafür ausgegeben. Ein Großteil davon ging an Verbraucher, die ihren ohnehin geplanten Autokauf einfach vorgezogen haben - und an ausländische Marken. Das heißt, der Nettoeffekt für die inländische Indus­trie war nicht besonders groß. Hinzu kommt, dass die Autokonzerne das Geld aktuell nicht wirklich brauchen.

Die Unternehmen sind da anderer ­Meinung.
Die Autoproduzenten haben in den vergangenen Jahren sehr viel Geld verdient und hohe Rücklagen gebildet - trotz des Dieselskandals. Und sie beharren jetzt darauf, Dividenden auszuschütten. Sie profitieren auch schon durch die Zahlung des Kurzarbeitergelds. Die Notwendigkeit für eine Kaufprämie sehe ich nicht. Zumal das alte Strukturen zementieren würde.

Was meinen Sie mit alten Strukturen?
Durch Kaufprämien für Verbrennerautos würden die Automobilkonzerne den notwendigen Strukturwandel hin zu neuen Technologien wie Elektroautos und Autos mit Brennstoffzellen weiter verzögern. Das ist aber das Zukunftsmodell, wie der Marktwert von Tesla zeigt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es nicht überhaupt problematisch ist, dass Deutschland so stark von der Autoindustrie abhängt. Die Hersteller fordern in jeder Krise Unterstützung mit dem Verweis auf die vielen Arbeitsplätze, die an ihr hängen. Und natürlich wollen wir gut bezahlte Arbeitsplätze haben. Aber statt diese Abhängigkeit mit einer Kaufprämie zu zementieren, sollten wir mehr auf zukunftsfähige Technologien setzen, die uns unabhängiger machen von einer einzelnen Branche und dem Modell Verbrennungsmotor.

Hört die Bundesregierung hier auf den Rat der Sachverständigen?
Ich fürchte, die Lobby wird sich hier wieder einmal durchsetzen. Ich erwarte im Übrigen auch, dass die Umwelt­auflagen für die Autoindustrie reduziert werden. Beides halte ich für falsch.

Da sich nicht alle EU-Länder Milliardenhilfen für die Wirtschaft leisten können, haben Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron einen EU-Krisenfonds vorgeschlagen. Teilen Sie die Sorge der Kritiker, dass so Schulden vergemeinschaftet werden?
Ich glaube, das ist die falsche Art, darüber nachzudenken. Ich halte es für fahrlässig, wenn man immer nur ausrechnet: Wer zahlt was ein? Wer kriegt was heraus? Das ist die falsche Rechnung, denn der Kuchen ist so viel größer geworden durch die starke wirtschaftliche Verflechtung in der EU. Deutschland selbst profitiert in der Summe weit mehr davon, als wir einbezahlen in den EU-Haushalt. Wir sollten stattdessen in den Vordergrund stellen, wie wir durch gemeinsame Projekte Europa stark und zukunftsfähig machen. Dazu zählen der Green Deal, die Gesundheit und die Digitalisierung.

Es wird immer wieder gesagt, dass die Corona-Krise der Digitalisierung einen Schub verleiht. Sehen Sie das auch so?
Ja, unbedingt. Wir erleben eine große Nachfrage nach digitalen Angeboten wie Videokonferenzen, E-Learning, bargeldloses Zahlen, Onlinehandel. Die ­Unternehmen werden darauf reagieren und neue Produkte, neue Technologien entwickeln. Dafür braucht es aber Investitionen in die komplementäre Infrastruktur. Eine Videokonferenz ist keine Alternative, wenn die Teilnehmer keine stabile Netzverbindung haben.

Wie könnte die Digitalisierung im ­Rahmen des Konjunkturpakts voran­gebracht werden?
Es sollten Anreize zum Ausbau der Digitalisierung gesetzt werden. Dafür brauchen wir Investitionen in den Breitbandausbau, aber auch die Förderung der Digitalisierung von Behörden und Schulen. Durch Gutscheine für digitale Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen könnten Unternehmen und Beschäftigte die Zeit der Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit nutzen, um neue Kompetenzen aufzubauen und sich so auf die Zeit nach der Rezession vorbereiten. In Verbindung mit einer besseren digitalen Ausstattung der Unternehmen und Behörden kann somit der Strukturwandel befördert und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden.

Kurzvita

Wirtschaftsweise
Monika Schnitzer ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Als Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft soll die Expertin für Innovation und Wettbewerbspolitik künftig die Bundesregierung beraten. Dabei will die 58-Jährige auch das Thema Digitalisierung in den Fokus stellen. Schnitzer ist verheiratet und hat drei Kinder.