Die Rauchschwaden waren so gigantisch, dass sogar Satelliten sie aus dem All wahrnahmen. Und sie ließen den Ölpreis explodieren. Die Angriffe auf die saudi-arabische Erdölraffinerie Abqaiq und das angrenzende Ölfeld Khurais vor Wochenfrist sorgten für einen Preissprung wie zuletzt 1990. Damals griff der Irak unter Saddam Hussein das Nachbarland Kuwait an und setzte dort die Ölfelder in Brand.

Seit den Tagen Husseins ist viel Zeit vergangen, doch die Region ist heute kaum weniger explosiv. Saudi-Arabien und der Iran kämpfen um die Vorherrschaft am Persischen Golf, der für die ­Ölversorgung der Welt das Rückgrat bildet. Die Staaten der Region sichern ein Drittel der globalen Nachfrage. Laut Energiekonzern BP schlummert dort unter dem Wüstensand rund die Hälfte aller nachgewiesenen Ölreserven.

Mit dem Beschuss der saudischen Anlagen sind kurzfristig 5,7 Millionen Barrel (Fass zu 159 Litern) Öl pro Tag ausgefallen. Das sind knapp 60 Prozent dessen, was Saudi-Arabien täglich seinen Kunden weltweit liefert, die vor allem in Japan, China, Südkorea, Indien und den USA sitzen.

Schnelle Reparatur versprochen


Sah es anfangs danach aus, dass die Reparaturen Monate dauern könnten, versuchen die Saudis die Welt zu beruhigen. Schon Ende September soll die Produktion wieder auf Normalniveau laufen, kündigten Energieminister Adulasis bin Salman und Saudi-Aramco- Chef Amin Nasser unter der Woche an. Bis dahin könnten alle Kunden umfänglich aus Lagerbeständen bedient werden, versprachen sie.

Aramco-IPO soll stattfinden


Doch es bleiben Zweifel. "Auch wenn die Schäden tatsächlich nicht so schlimm sein sollten wie ursprünglich befürchtet: Es ist schwer vorstellbar, dass der Ausfall von fünf Prozent der Weltförderung so schnell behoben werden kann", sagt Nitesh Shah, Analyst beim auf Exchange Traded Products (ETP) spezialisierten britischen Vermögensverwalter WisdomTree. Die Vermutung liegt nahe, dass die Scheichs die Märkte vor dem geplanten Börsengang Saudi Aramcos beruhigen wollen. Denn ursprünglich sollte die Aktienplatzierung eines ersten kleinen Pakets der größten Ölgesellschaft der Welt nach jahrelanger Vorlaufzeit schon in Kürze beginnen.

"Die Angriffe drohen den Prozess des Börsengangs Saudi Aramcos erheblich zu verzögern", so Shah. Das aber will der saudische Herrscher Mohammed bin Salman auf keinen Fall. Er braucht das Geld aus der Aktienplatzierung. Denn wegen der seit Jahren niedrigen Ölpreise reichen die Staatseinnahmen nicht mehr aus, die Bevölkerung bei Laune zu halten, die in der Vergangenheit kaum Steuern zahlte, sich vieler Vergünstigungen erfreute und dafür auf politische Mitsprache verzichtete. Die schwelende Unzufriedenheit könnte mittelfristig die Legitimation des wahabitischen Königshauses infrage stellen. Wie angespannt die Lage in Saudi-Arabien ist, zeigt der Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi vergangenes Jahr in Istanbul. Kashoggi hatte den Kronprinzen öffentlich kritisiert und ein Ende des Kriegs im Jemen gefordert.

Von dort sollen auch die Angriffe auf die saudische Raffinerie geflogen worden sein, und zwar durch die Bürgerkriegspartie der Huthi, die vom Iran ­unterstützt wird. Sie kämpft im Jemen gegen die von Saudi-Arabien protegierte Regierung. Der seit mehr als zehn Jahren währende blutige Konflikt gilt als Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Regionalmächten.

Beide Seiten haben gewichtige Verbündete, die Saudis die USA, der Iran Russland. Während die USA und Saudi- Arabien den Iran beschuldigen, direkter Drahtzieher der Anschläge zu sein, erklärte das im Konflikt neutrale Japan, dass es keine Hinweise auf eine Beteiligung Teherans gebe. Den Schwarzen ­Peter können Saudis und Amerikaner dem Iran nicht so einfach zuspielen, was eine US-Invasion schwieriger machen würde. Ohnehin will US-Präsident Donald Trump nicht wirklich schwere Geschütze auffahren. Die Entlassung von Sicherheitsberater John Bolton, der wiederholt einen Militärschlag gegen den Iran gefordert hatte, und der nahende Wahlkampf in den USA sprechen gegen eine im Inland unpopuläre militärische US-Aktion.

Bleibt es bei dem einen Angriff auf Saudi-Arabien, dürften sich die Ölmärkte wieder entspannen. Denn eigentlich gibt es keinen Grund für teures Öl. Die weltweite Nachfrage wächst zwar stetig, doch das Angebot noch mehr. Während nach Auskunft der Internationalen Energieagentur (IEA) Anfang 2018 Förderung und Verbrauch bei rund 98 Millionen Fässern Öl am Tag im Einklang waren, gehen die Kurven seitdem kräftig auseinander. Die Lager füllten sich, die Preise fielen.

Risikofreie Quellen


Vor allem die Produktion in den USA boomt. Im laufenden Jahr hat die US-Ölindustrie erstmals Saudi-Arabien als größten Förderer der Welt abgelöst. Damit ist das Maximum längst nicht erreicht. "Als Reaktion auf steigende Preise haben die US-Produzenten die Möglichkeit, weitere Förderkapazitäten an den Markt zu bringen", so Analyst Shah. Auch wenn die Infrastruktur dafür in den USA noch verstärkt werden muss. Die US-Exporte könnten künftig ausgebaut werden, um Förderausfälle andernorts auszugleichen. Und es ist nicht nur Nordamerika, wo immer mehr Öl aus dem Boden gepumpt wird. Auch Norwegen und Brasilien erschließen munter neue Felder.

In diesen Regionen sind die Risiken für die Versorgung gering. In der Golfregion ist das ganz anders. Der Streit zwischen dem Iran und Saudi-Arabien kann jederzeit weiter eskalieren. Eine Lösung ist nach Jahrzehnten des Konflikts nicht in Sicht. Insbesondere für den Jemen müsste Frieden gefunden werden. Das erfordert, dass beide Seiten einen Kompromiss schließen. Ob der Iran daran interessiert ist, ist zu­mindest zweifelhaft, solange er von den USA mit Sanktionen seiner Ölexporte belegt ist. "Die zuletzt wieder gefallenen Ölpreise bilden das geopolitische Risiko nicht ab", sagt Shah. Die Zeit teuren Öls könnte erst noch kommen.

Investor-Info

Aktienindizes
Die Ölpreisprofiteure


Wenn die Ölnotierungen steigen, profitiert in Europa der britischen FTSE 100 am stärksten. Firmen aus der Energiebranche, darunter BP und Shell, machen 18 Prozent des Aktienindex aus. Danach folgen die Börsenbarometer aus Italien und Frankreich.

BNP ETC WTI Crude Oil
Spekulation auf Konflikt


Für Anleger, die ein Szenario der Eskalation im Konflikt am Persischen Golf für wahrscheinlich halten, bietet sich ein Investment in die US-Sorte WTI an. US-Öl könnte preislich stärker auf Probleme am Golf reagieren als die Nordseesorte Brent. Der Boost-ETC folgt der Entwicklung des Rohstoffs. Das Produkt unterliegt allerdings Rollverlusten, weil die zugrunde liegenden Future-Kontrakte nach drei Monaten durch neue, meist etwas teurere abgelöst werden.

Amundi ETF MSCI Europe Energy
Voller Energie


Von steigenden Ölpreisen profitieren Ölförderer wie Shell, BP und Total. Doch auch unabhängig von den Rohstoffpreisen sind europäische Energieaktien eine solide Wahl, denn der Bedarf an Kraftstoffen, Gas und Wärme wächst kontinuierlich. Mit dem ETF von Amundi investieren Anleger in die größten Energieunternehmen Europas. Dazu zählen neben den drei genannten Italiens Eni, Spa­niens Repsol und Norwegens Equinor.