Die Preise für Öl, Benzin und Diesel sind wieder auf dem Vormarsch. Das spricht für den Einstieg in europäische Ölwerte, die vor allem im Vergleich zur US-Konkurrenz deutlich unterbewertet sind. Es winken Kurschancen von bis zu 40 Prozent.

Die Weltkonjunktur präsentiert sich robuster als erwartet. In den USA stieg der ISM-Einkaufsmanagerindex erstmals seit 16 Monaten auf einen Wert über 50, was einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung signalisiert. Das spricht für steigende Ölnachfrage. Der Preis für ein Barrel (159-Liter-Fass) Nordseeöl der Marke Brent kletterte nach Veröffentlichung der US-Daten am Ostermontag auf den höchsten Stand seit fünf Monaten und kratzt nach längerer Konsolidierung wieder an der Marke von 90 US-Dollar.

Auch in Europa und China ist der Hunger nach Treibstoff keineswegs rückläufig, wie noch zu Jahresanfang prognostiziert. Zudem treiben geopolitische Faktoren die Preise, etwa der mutmaßlich israelische Luftschlag gegen ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syrien und ukrainische Drohnenangriffe auf Raffinerien in Russland. Die Förderkapazität des Ölkartells OPEC+ kann frühestens nach dessen nächstem Treffen im Juni ausgeweitet werden. Allerdings ist das unwahrscheinlich, denn die Ölproduzenten fühlen sich mit dem höheren Preisniveau durchaus wohl.

Höhere Rohstoffpreise bedeuten auch sprudelnde Gewinne für die Ölindustrie. Die Analysten des Investmenthauses Kepler Cheuvreux haben in einer umfangreichen Studie die acht wichtigsten europäischen Ölwerte unter die Lupe genommen.

Die Experten haben dabei Ölreserven, Förderkapazitäten und Kosten bewertet. Verschiedene Szenariorechnungen brachten sie zu dem Ergebnis: Schon unter der Annahme eines Ölpreises von nur 70 Dollar je Barrel ergibt sich eine leichte Unterbewertung, die deutlich größer wird, sollte das Niveau von über 85 Dollar Bestand haben. Ein steigender Dollarkurs könnte die Aktienkurse zusätzlich antreiben. Sechs Kaufgelegenheiten stellen wir auf den nachfolgenden Seiten vor. Ausgeklammert haben wir unseren Musterdepottitel Equinor und Galp Energia. Die Aktie des portugiesischen Konzerns mit 2024er-KGV von 13 hat etwa das Niveau der deutlich höher bewerteten US-Konkurrenz.

BP – Niedrige Bewertung weckt Begehrlichkeiten

Seit der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" 2010 im Golf von Mexiko kommt BP nicht aus den Negativschlagzeilen. Jüngste Beispiele: 2022 Sonderabschreibungen von 24 Milliarden US-Dollar wegen der Quasi-Enteignung der Russland-Aktivitäten, ein Jahr später flogen geheime Affären von Exvorstandschef Bernard Looney mit Mitarbeiterinnen auf. Kein Wunder, dass Analysten dem neuen Chef Murray Auchincloss eine Fusion des angeschlagenen Konzerns mit dem finanzkräftigeren norwegischen Branchenkollegen Equinor nahelegen. Vor allem bei Windparkprojekten hatten beide Unternehmen zuletzt eng zusammengearbeitet. Ins Bild passt, dass der norwegische BP-Chefaufseher Helge Lund nicht nur Equinor, als es noch Statoil hieß, zehn Jahre lang geleitet hat, sondern auch Fusionserfahrung mitbringt. Bis zur Übernahme durch Shell war er Chef von British Gas. BP ist mit weniger als dem vierfachen jährlichen Cashflow bewertet und damit eine der günstigsten Ölaktien. Laut Kepler Cheuvreux sind selbst bei einer ungünstigen Ölpreisentwicklung Kurse zwischen sieben und acht Euro drin. Kursziel: 7,50 Euro

ENI – Da ist Feuer drin

Hund oder Drache? Egal. Das sechsbeinige, Feuer speiende Tier im Logo und der Name Eni sind in Italien jedem Kind ein Begriff. In Deutschland trat der Konzern lange unter dem Markennamen Agip auf. Inzwischen ist auch hierzulande die Umbenennung weitgehend abgeschlossen. Doch es sind weniger die Tankstellen mit Dolce-Vita-Flair, die ein Investment interessant machen, vielmehr spielt Eni eine zentrale Rolle für die Versorgung Europas mit Flüssiggas. Dafür hat das Unternehmen kräftig investiert. Neben Anteilen an drei indonesischen Gasfeldern von Chevron übernahmen die Italiener 2023 unter anderem Neptune Global Business, eine Explorations-und Produktionsfirma mit Aktivitäten in Westeuropa, Nordafrika, Asien und Australien. Durch den Verfall des Erdgaspreises im zweiten Halbjahr 2023 gerieten die Gewinne bei Eni unter Druck. Analysten zeigten sich von den Zahlen fürs Schlussquartal 2023 leicht enttäuscht. Der daraus resultierende Kursrückschlag bietet eine gute Einstiegsgelegenheit, denn die Aktie ist selbst unter sehr konservativen Annahmen für Öl-und Gaspreis weit über 18 Euro wert. Kursziel: 21 Euro – fast 40 Prozent Kurschance!

SHELL – Die Nummer 1 des Kontinents

Westeuropas mit Abstand größter Öl-und Gaskonzern ist Shell. Das britisch-niederländische Unternehmen bringt es aktuell auf einen Börsenwert von gut 200 Milliarden Euro. Das klingt nach viel, entspricht aber weniger als einem Jahresumsatz: Der soll 2024 bei deutlich über 300 Millionen US-Dollar liegen (das ist die Währung, in der Shell bilanziert). Spätestens seit der Übernahme von British Gas (BG Group) im Jahr 2016 ist das Unternehmen einer der bedeutendsten Erd-und Flüssiggasversorger des Kontinents. Daher wirkten sich im vergangenen Jahr die rückläufigen Gaspreise aus, der Gewinn je Aktie halbierte sich auf 2,31 Dollar. Wegen der ausnehmend hohen Öl-und Gaspreise im Jahr 2022 entspricht das allerdings mehr einer Normalisierung als einem Gewinneinbruch. Als besonders verlässlichen Dividendenzahler und Aktienrückkäufer billigt die Börse Shell eine etwas höhere Bewertung zu als der Konkurrenz. Trotzdem hat die Aktie noch Luft nach oben. Bei einem Rückgang des Ölpreises auf 70 Dollar je Barrel müsste sie bei etwa 35 Euro notieren, bei über 85 Dollar je Barrel sind mehr als 40 Euro angemessen. Kursziel: 39 Euro

Diese Geschichte erschien zuerst in der neuen Ausgabe von BÖRSE ONLINE. Weitere Öl-Aktien und spannende Artikel finden Sie hier

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