Ende 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, startete die Frankfurter Fondsboutique Acatis mit drei neuen Fonds. Das war zu jenem Zeitpunkt ein zweifellos mutiges Unterfangen. Doch es hat sich gelohnt. In den vergangenen zehn Jahren vervielfachten die drei Fondsmanager Hendrik Leber, Martin Wilhelm und Uwe Rathausky das Geld ihrer Anleger. Ihr gemeinsames Prinzip: Ob Aktien oder Anleihen, wir kaufen Qualität - aber nur zum reduzierten Preis. €uro am Sonntag sprach mit den drei Value-Investoren.

€uro am Sonntag: Wieso haben Sie ausgerechnet in der Finanzkrise neue Fonds aufgelegt?
Hendrik Leber:
Wir haben damals ­gemerkt, dass wir allein mit einem Aktienportfolio nicht weiterkommen. Die Schwankungen der Märkte waren für die meisten Anleger einfach zu hoch. Viele Kunden waren von den Märkten enttäuscht und suchten eine Lösung, die mehr Stetigkeit versprach.

Hat Ihnen denn jemand Geld anvertraut?
Leber:
Es war in der Tat nicht ganz leicht. Relativ einfach ging es beim Acatis Datini Valueflex: Ein sehr vermögender Kunde wollte für seine Kinder eine vernünftige Vorsorge und legte zehn Millionen Euro Startkapital in den Fonds.

Martin Wilhelm: Das Motto bei Acatis war damals: "Value in Aktien". Unsere Idee war, den Value-Ansatz auf eine andere Assetklasse zu übertragen. Beim 2008 aufgelegten Fonds Acatis IfK Value Renten heißt das Motto deshalb: "Value in Anleihen". Diese Investmentstrategie verfolgte ich schon vor dem Start des Fonds einige Zeit mit Erfolg.

Uwe Rathausky: Henrik Muhle und ich haben 2007 mit einem alternativen Anlagevehikel begonnen. Die Konstruktion war für den vertriebsgetriebenen deutschen Fondsmarkt nicht optimal, vielleicht auch wegen des Zeitpunkts. Allerdings haben wir mit unserer Strategie die Lehman-Krise gut überstanden. Dieser Erfolg kam bei Investoren gut an. Sie wollten die Strategie aber lieber in einem Publikumsfonds umgesetzt sehen.

Letztendlich sind die drei Fonds also aus der traumatischen Erfahrung der Finanzkrise entstanden?
Leber: Das kann man so sagen. Viele Anleger dachten ja damals, die Welt bricht zusammen. Das Vertrauen in die Finanzmärkte war komplett weg. Selbst die Banken haben sich untereinander nicht getraut.

Damals sackte der Aktienmarkt um mehr als 40 Prozent nach unten. 2018 hat der DAX 18 Prozent verloren. Sehen wir eine Wiederholung?
Leber:
Die aktuelle Korrektur ist nur eine harmlose Sommerbrise im Vergleich zu dem Sturm von 2008. Ich kann mich an Gespräche mit Vermögensverwaltern erinnern, die überlegten, wie man am besten Konserven einlagert.

Wilhelm: Die Situation ist heute ganz anders. Wir erleben gerade eine Konsolidierung, eine Korrektur. Schließlich hatten wir in den vergangenen zwei Jahren fantastische Märkte. Da ist eine Korrektur im Grunde sinnvoll.

Rathausky: Wenn wir heute mit dem Fonds starten würden, dann würde unser Konzept trotz der Korrektur im Jahr 2018 wohl noch gut angenommen. 2008 dagegen war das deutlich schwieriger. Bei einem unserer ersten Vorträge vor Vermögensverwaltern wurden wir nach zehn Minuten unterbrochen und gefragt, ob wir uns sicher seien, dass in ein paar Monaten überhaupt noch Sparer da wären.

Leber: Im Moment müssen Anleger eigentlich vor Freude schreien. Im DAX hat derzeit fast ein Drittel der Aktien ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter zehn. Die Allianz, BASF oder Volks­wagen - vor unserer Nase gibt es jetzt wieder richtig attraktive Aktien. Klar, einige Risiken bleiben. Sollte zum Beispiel der Brexit schiefgehen oder Trump großen Unsinn anstellen, dann könnte das den Börsen nicht gut bekommen.

Wie schützen Sie sich vor solchen Risiken?
Wilhelm: Der beste Schutz ist eine saubere Analyse. Bei Anleihen ist das besonders schön. Solange der Emittent nicht insolvent wird, bekommen wir schließlich unser Kapital wieder. Entscheidend ist die Ausfallrate. Die lag beim Acatis IfK Value Renten in den vergangenen zehn Jahren bei nur rund 0,7 Prozent, obwohl wir mitunter in Anleihen investieren, die vermeintlich als riskant gelten. Unsere geringen Ausfälle sind aber nicht Glücksache, sondern ­Ergebnis unserer Analyse.

Leber: Das Pendant am Aktienmarkt ist eine Analyse der Geschäftsmodelle. Das Erfolgsgeheimnis ist, nachhaltige Geschäftsmodelle zu identifizieren. In fünf Jahren werden die Menschen wahrscheinlich immer noch einen Hamburger essen und eine Cola trinken. Ein schlechter Politiker kann mal die Kurse durchschütteln, aber nicht ein gutes ­Geschäftsmodell.

Rathausky: Es gab in letzter Zeit eine Menge Gewinnwarnungen, wir sind davon im Acatis Gané Value Event Fonds glücklicherweise verschont geblieben. Das liegt auch an unserer sehr tiefen Analyse der Geschäftsmodelle. Aber in Marktsituationen wie jetzt leiden selbst die Kurse von Unternehmen, die ihre Erwartungen übertreffen.

Wilhelm: Uns ist wichtig, dass wir im Anleiheportfolio keine Klumpenrisiken haben. Wir suchen also negative Korrelationen: Argentinien hat nun mal ­wenig mit Hapag-Lloyd zu tun. Globale Krisen, zum Beispiel Fukushima oder der aktuelle Handelskrieg, drücken dagegen schon auf die Wertentwicklung des Fonds. Aber nach solchen Krisen erholen sich die Kurse, und solange wir keine Zahlungsausfälle haben, kriegen wir unser Kapital ohnehin zurück.

Wird die anstehende Zinswende die Börsenwelt im Jahr 2019 verändern?
Wilhelm:
Wir haben Respekt vor der Zinswende, aber keine Angst. Wir gehen davon aus, dass es im Sommer oder spätestens im Oktober 2019 so weit ist. Aber kommt die Zinswende über Nacht? ­Haben wir nächstes Jahr plötzlich wieder attraktive Zinsen? Natürlich nicht. Staatsanleihen mit Zinsen von drei oder vier Prozent werden wir bis 2025 nicht erreichen. Ich sehe keine Belastung für die Märkte.

Lässt sich heute das Aktienrisiko noch mit Anleihen reduzieren?
Rathausky: Diversifikation allein ist nicht mehr ausreichend für ein Mischfondskonzept. Es geht darum, die Flexibilität der Assetklassen zu nutzen. Im Acatis Gané Value Event haben wir ­bereits 2017 die Anleihequote massiv ­gesenkt. Wir haben einfach mehr Attrak­tivität bei Aktien gesehen. Die Risikoausrichtung des Fonds hat das nicht verändert. Selbst wenn die Zinswende in Europa kommt, so sind die Notenbanken weltweit in einem weiterhin wenig restriktiven Modus. Nach der Korrektur gibt es wieder viele Chancen, sowohl im Aktien- als auch im Anleihebereich.

Leber: Heute arbeiten auch Computer gegen uns, die ohne den Eingriff eines denkenden Managers gute Aktien radikal verkaufen, etwa aufgrund einer Ad-hoc-Meldung. Wenn große Hedgefonds mit solchen Computersystemen die Kurse nach unten drücken, stehen wir fassungslos daneben. Aber wir freuen uns auch, dass der Computer uns die Bälle zuspielt. Solche unbegründeten Einbrüche sind für uns eine Chance.

Sind die Computermodelle auch für das schwache Jahr 2018 verantwortlich?
Leber: Ich glaube, die Korrektur wurde auch durch die drohende Gefahr einer inversen Zinskurve ausgelöst - die gilt ja als Vorbote einer Rezession. Aber vor diesem Hintergrund muss eben nur ein Programm der großen Hedgefonds verrückt spielen und es gibt eine Ketten­reaktion. Ein paar von den jüngsten schnellen Abwärtsbewegungen waren meiner Meinung nach eindeutig computergestützt.

Rathausky: Egal ob Trump-Wahl, Brexit-Votum oder vermeintliche China- Krise, immer haben wir uns rückbesonnen auf die nicht vorhandenen Zinsen und auf die Alternativlosigkeit zu Aktien. Durch den Zinsanstieg in den USA wurde diese Stellung der Aktien plötzlich infrage gestellt. Hinzu kommt der Handelsstreit. Sollte er eskalieren, hat er das Potenzial für einen konjunkturellen Einbruch.

Zehn Jahre sind eine lange Zeit. ­Mussten Sie Ihre Strategie ändern?
Wilhelm: Das Wichtigste ist, sich selbst und das eigene Risikoprofil wiederzu­erkennen. Wenn wir unser Erfolgs­rezept immer wieder umschreiben würden, dann wäre irgendwann das Vertrauen der Anleger weg. Auch deshalb haben wir unseren Investmentprozess nicht verändert. Der wichtigste Grund ist aber unsere gute Performance. In den vergangenen zehn Jahren haben wir das Geld unserer Anleger ungefähr verdoppelt. Warum sollten wir solch eine Strategie ändern?

Aber der Teich, in dem Sie fischen, hat sich durch die massiven Anleihekäufe der ­Europäischen Zentralbank verändert.
Wilhelm: Das stimmt. Wenn die EZB ein Drittel der in Euro notierten Anleihen hält, geht auch die Liquidität am Markt zurück. Das macht unser Geschäft nicht leichter, aber unser Investmentprozess ist der gleiche wie 2008.

Rathausky: Auch bei unserem Mischfonds Acatis Gané Value Event gehen wir bei der Auswahl der Anleihen heute nicht anders vor als vor zehn Jahren. Wir suchen weiterhin nicht nach rela­tiver Attraktivität, sondern wir wollen absolute Attraktivität. Die Bausteine des Erfolgs haben sich allerdings etwas verschoben. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass einige sichere Geschäftsmodelle der Vergangenheit heute nicht mehr so sicher sind. Diese Veränderung hat auch Einfluss auf unsere Titel­auswahl.

Leber: Heute sind viele Opportunitäten von früher verschwunden. Das gilt für den Anleihebereich und im Aktien­bereich, weil etwa Indexfonds und ETFs den Markt abräumen. Vor zehn Jahren konnten wir noch ins Volle greifen, man musste nur den Mut haben.

Wie finden Sie heute attraktive Aktien?
Leber:
Ich suche die Krümel, die vom regulären Analysetisch runterfallen. Da sind auch mal schräge Kandidaten dabei - aber es ergibt sich insgesamt eben eine gute Performance. Der Acatis ­Datini Valueflex verhält sich wie ein Ferrari. Der fährt schnell, aber im Schotterbett schüttelt es ihn ganz schön durch. So eine Rakete, die Chancen ergreift, ist eben nicht auf Risikovermeidung ausgerichtet. Herr Wilhelm achtet auf Risikovermeidung, Dr. Rathausky auf Stabilität und Verlässlichkeit.

Beim Acatis Gané Value Event Fonds deutet schon der Name an, dass Sie auf bestimmte Katalysatoren setzen. Wann greifen Sie zu?
Rathausky: Prinzipiell trägt jedes Investment bei uns einen Event in sich. Das sind aber immer mikrospezifische, unternehmensbezogene Events, also eine besondere operative Dynamik oder eine Änderung der Kapital- oder Aktionärsstruktur, die das Marktpreisrisiko begrenzen. Ein gutes Beispiel ist etwa die Linde-Fusion mit Praxair. Makro­spezifische Events, beispielsweise ein Handelskrieg, sind für uns dagegen allenfalls Risikofaktoren, weswegen wir nicht investieren.

In welchen Bereichen sehen Sie 2019 Chancen?
Rathausky:
Der Technologietrend wird anhalten und sich vielleicht sogar noch beschleunigen. Der digitale Wandel erstreckt sich über alle Branchen. Heute reicht ein Burggraben um das eigene Unternehmen nicht mehr aus. Es geht darum, welches Unternehmen in der Lage ist, seine Burggräben noch weiter auszubauen.

Leber: Dr. Rathausky sucht Firmen, die ihre Festung verstärken. Ich suche die Schaufeln für den Burggraben. Ich investiere in Technologielieferanten, die den Marktführern helfen, die Festungsanlagen zu verstärken.

Wilhelm: Ich liebe es langweilig: solide Geschäftsmodelle, die den Kapitaldienst sichern, am Ende das Kapital zurückzahlen und uns drei bis fünf Prozent Rendite pro Jahr bescheren. Darauf setzen wir. Mehr nicht.

Vita von Hendrik Leber
Cooler Value-Könner

Kurssturz an der Börse? Für Acatis-Chef Hendrik Leber ist das ein Freudenfest. Jetzt gibt es endlich wieder jede Menge preiswerte Aktien mit bester Qualität, "direkt vor unserer Nase", sagt der promovierte ­Betriebswirt, der mit Value-Strategien seit 1995 das Geld seiner Anleger erfolgreich vermehrt.

Vita von Martin Wilhelm
Versierter Rentenexperte

Martin Wilhelm war jahrelang Anleihehändler und Direktor bei großen Banken. 2005 gründete er seine eigene Vermögensverwaltung. Seitdem beweist er, dass die Value- Strategie auch bei Anleihen bestens funktioniert.

Vita von Uwe Rathausky
Nüchterner Analyst

Top-Unternehmen in Schieflage - da greift Ex-Wirtschaftsprüfer Uwe Rathausky zu. Mit seinem Mischfonds demonstriert der promovierte Bilanz­experte, warum "Event-orientiertes Value-Investing" so lukrativ ist.








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