Als die Rentenreform 2002 beschlossen wurde, wirkte alles noch ganz harmlos. Heute müssen die ersten 66- und 65-Jährigen sieben und acht Monate länger arbeiten, bevor sie in Rente gehen, und bekommen trotzdem weniger Geld. Um diese Lücke zu stopfen, ersann man eine vom Staat geförderte kapitalgedeckte Zusatzrente. Schnell hatte sich ein­gebürgert, sie nach dem damaligen Arbeitsminister Walter Riester zu benennen. Dank ihres komplizierten Regelwerks entstand eine Parallelwelt zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Grunde ist das Prinzip einfach: Es gibt Bürger, die sich versichern dürfen, und solche, die das nicht können. Es sei denn, sie sind mit einem Berechtigten verheiratet. Wer arbeitet, muss für die komplette Förderung jährlich vier Prozent seines Bruttolohns einzahlen. Wer ohne Verdienst ist, kommt schon mit einem Minimalbeitrag von 60 Euro zum Zug. Seit 2018 liegt die Grundzulage bei 175 Euro. Für Kinder, die vor 2008 geboren wurden, gibt es 185, für Kinder, die danach zur Welt kamen, 300 Euro. Dagegengerechnet wird ein maximal geförderter Sparbetrag von 2100 Euro im Jahr, von dem Besserverdienende profitieren. Ihr Steuervorteil errechnet sich aus der Differenz des Grenzsteuersatzes im Berufsleben und im Ruhestand.

Das war’s aber auch schon mit der Einfachheit. Das Verfahren ist in der Realität irre komplex. Jede kleine Veränderung - ob Minijob oder Kind - führt dazu, dass Zulagenanträge und Beiträge anzupassen sind. "Dieses Verfahren muss dringend entschlackt werden", sagt Michael Hauer vom Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP). Doch einmotten will der Fachmann das Konzept nicht. Eine neue Rente hätte wieder Kinderkrankheiten, warnt Hauer. Wer seine Riester-Rente kontinuierlich bespart, hat recht ordentliche Ergebnisse. Das IVFP hat dazu mehr als 23 500 abgelaufene Verträge ausgewertet und kommt auf eine Rendite nach Kosten und Steuern von 3,4 Prozent. Laut den auf riester-rendite.de abrufbaren Ergebnissen lebt ein Standard-Riester-Rentner, bis er 78 ist, von den eingezahlten Beiträgen, danach besteht seine Rente aus der Rendite.

Die Riester-Rente hat sich also gerechnet. "Mit rund 16,5 Millionen abgeschlossenen Verträgen ist sie ein beachtlicher Erfolg", bestätigt Thomas Heß. Der Or­ganisationsdirektor Maklervertrieb der WWK Versicherungen vergleicht die Förderrente mit der betrieblichen Alters­versorgung (bAV). "Die Riester-Rente hat nach 17 Jahren mehr Marktdurchdringung als die bAV nach 44."

Angesichts von rund 30 Millionen Förderberechtigten gibt es noch viele potenzielle Riester-Sparer und spätere -Rentner. "Es muss sich nur herumsprechen, dass die Riester-Rente deutlich besser ist als ihr Ruf", meint Heß. "Betrachtet man die für den Kunden entscheidende Förderrendite, ist Riester fast unschlagbar, auch nach Abzug aller Kosten."

Zehn Prozent Rendite vom Staat. Denn in besonders günstigen Konstellationen sind sogar zehn Prozent Förderrendite erreichbar. Eine Familie mit zwei Kindern hat nach 15 Jahren etwa 15 500 Euro Zulagen erhalten. Am meisten profitiert, wer einen der beiden folgenden Faktoren voll ausschöpfen kann: Riester-Sparer mit geringem Einkommen und vielen Kindern profitieren von den hohen Zulagen, Alleinstehende mit hohem Einkommen haben Steuervorteile.

Der Reformbedarf ist allerdings so ­offensichtlich wie die bisherigen Erfolge. Von dem anfangs sehr respektablen Wachstum ist nicht mehr viel zu spüren. Nach der Anfang Juli vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten Riester-Statistik ist die Zahl der staatlich geförderten Altersvorsorgeverträge im ersten Quartal 2019 um 31 000 gesunken. Rechnet man Kündigungen und Abläufe mit ein, sind noch 16,561 Millionen übrig. Damit setzte sich der Trend der ­vorangegangenen Quartale fort. Nur Fondssparpläne konnten erneut zulegen. Das zeigt, dass sich die Menschen, die heutzutage einen Riester-Vertrag abschließen, Sorgen um die Rendite machen. Und hier wie überall in der Altersvorsorge haben die derzeit niedrigen Zinsen gravierende Folgen. So ist etwa die "Bruttobeitragsgarantie" nur schwer zu erreichen. Es muss immer mehr Kapital im Sicherungskonto geparkt werden, damit der Sparer bei Ablauf wieder inklusive Zinsen das herausbekommt, was er eingezahlt hat. Da bleibt vom regelmäßigen Sparbeitrag immer weniger Geld übrig, das lukrativer - etwa in Aktien oder Fonds angelegt werden kann.

Im Rahmen des Möglichen versuchen die Anbieter gegenzusteuern. Das vor zehn Jahren eingeführte Konzept WWK-­IntelliProtect ist dafür ein Beispiel. Es steuert das Kapital in frei wählbare Ak­tienfonds und in den konventionellen ­Deckungsstock. Das Kapital wird automatisch an jedem Bankarbeitstag, individuell und abhängig von der Lage an den Finanzmärkten angepasst. Ähnlich arbeiten DWS, Zurich und Union Investment. Ein börsen­tägliches Reporting macht das Verfahren transparent, gegen einen ­Aufpreis lässt sich eine Höchst­stand­garantie integrieren. Bei anderen Anbietern kann ein Teil des Geldes in ­einen ­Aktienindex investiert werden. Sie nutzen einen Cap, der die Rendite nach oben und unten begrenzt. Er soll dafür sorgen, dass sowohl etwas mehr Rendite rausspringt als auch die Absicherung nicht vernachlässigt wird.

Interview: "Die Kritik war übertrieben"


Michael Hauer ist Finanzwissenschaftler und leitet das Institut für Vorsorge und Finanzplanung.


€uro: Warum ist die Riester-­Rente in Verruf geraten?
Michael Hauer: Vereinfacht gesagt, weil man in der öffentlichen Kritik übertrieben und die Kosten hochgerechnet hat. Tatsächlich hat die Riester-Rente getan, wofür sie geschaffen wurde. Sie hat das Loch gefüllt, das man mit der Rentenreform 2002 gerissen hat.

Trotzdem haben Sie Ihre Studie mit "Abwracken oder Aufrüsten" überschrieben.
Aber nur um die Kritik aufzunehmen und als weitgehend falsch zurückzuspiegeln. Das Wichtigste ist, statt mit Spekulationen mit konkreten Zahlen zu arbeiten. Und das leistet unser Institut völlig neutral durch die Auswertung von tatsächlichen Riester-Verträgen, die abgelaufen sind.

Wo sollte nachgebessert werden?
Man kann sich eine Bruttobeitragsgarantie für alle nicht mehr leisten, wenn man das Rentenloch kapitalgedeckt stopfen will. Unser Vorschlag ist simpel: Riester für alle, ein einheitlicher Förderschlüssel gegebenenfalls nur für die, die darauf angewiesen sind, und Ehrlichkeit: Riester ist kein Produkt für den Vermögensaufbau, sondern ein notwendiger Lückenbüßer.