Auch zehn Jahre nach ihrem Start beschäftigt die Abgeltungsteuer die Gerichte. Zwei Urteile des Bundesfinanzhofs machen es Anlegern leichter, Verluste zu verrechnen. Von Brigitte Watermann

Besser spät als nie: Nach einer Klatsche von Deutschlands oberstem Finanzgericht, dem Bundesfinanzhof (BFH), zeigt sich das Bundesfinanzministerium (BMF) einsichtig und hat sein Anwendungsschreiben zur Abgeltungsteuer angepasst - bereits zum wiederholten Male. Für Anleger mit hohen Veräußerungsverlusten ist das eine gute Nachricht. Trotzdem müssen sie 2019 noch aufpassen und Bankbescheinigungen genau prüfen. Und auf ein ganz aktuelles BFH-Urteil geht das neue Anwendungsschreiben noch gar nicht ein.

Doch der Reihe nach: Grundsätzlich dürfen realisierte Verluste aus Wertpapieren, die seit dem Start der Abgeltungsteuer 2009 erworben wurden, mit positiven Erträgen verrechnet werden; deutsche Depotbanken nehmen das automatisch vor. Doch bei Miesen mit Aktien ist die Verrechnungsmöglichkeit bislang eingeschränkt. Diese darf man nach derzeitiger Rechtslage nur mit Gewinnen aus Aktien gegenrechnen. Ob das verfassungsgemäß ist, prüft derzeit der Bundesfinanzhof (BFH, Az. VIII R 11/18). Es empfiehlt sich, dieses Verfahren im Blick zu behalten.

Doch selbst wenn man Aktienverluste allein mit Aktiengewinnen verrechnen wollte, lauerte bislang eine Falle. Der Fiskus erlaubte das nämlich bis zum Herbst 2018 nur dann, wenn der Verlust nicht zu hoch ausfiel: Wenn der Verkaufserlös nicht mehr oder gerade noch eben dafür ausreichte, die Bankspesen für den Verkauf zu decken, wurde die Verlustverrechnung nicht akzeptiert. Die Banken durften nach Vorgabe des Fiskus solche Miesen nicht verrechnen und auch nicht auf ihren steuerlichen Jahresbescheinigungen ausweisen.

Doch dieser Rechtsauffassung schob der Bundesfinanzhof im Herbst 2018 einen Riegel vor (Az. VIII R 32/16): "Die steuerliche Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung von Aktien hängt nicht von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten ab", stellten die Finanzrichter klar. Es sei auch egal, wie hoch der Veräußerungserlös ausfalle: Jede Übertragung gegen Entgelt werteten die Richter als Veräußerung - und widersprachen damit der Meinung des BMF.

Auch hohe Verluste zählen

Darauf reagierte das BMF jetzt: Mit Schreiben vom 10. Mai 2019 (Dok. 2019/0194959) ergänzte es sein umfassendes Auslegungsschreiben zur Abgeltungsteuer vom 18. Januar 2016 und erkannte das besagte BFH-Urteil an. Wichtig ist dabei zu wissen: Es greift für alle noch offenen Veranlagungsfälle.

Darin liegt für Anleger jedoch eine Falle: Die Jahresbescheinigungen für 2018 haben die Banken bereits verschickt, möglicherweise aber besonders hohe realisierte Verluste nicht darin aufgeführt. Anleger sollten daher auf der Hut sein und prüfen, ob sie Verluste über die Anlage KAP zur Steuererklärung geltend machen können. Das Gleiche gilt im Übrigen für hohe Verluste, die sie erst 2019 erzielen. Denn die Depotbanken sind laut dem BMF-Schreiben erst ab 2020 verpflichtet, die neuen Regeln anzuwenden. "Anleger sollten daher aufpassen, dass sie wirklich alle Verluste in der Steuererklärung angeben und sich dabei auf das BFH-Urteil beziehen", empfiehlt der Berliner Steuerberater Wolfgang Wawro.

Verfall von Knock-outs anerkannt

Doch auch Anleger, die nicht mit Aktien, sondern mit hochspekulativen Knock-out-Zertifikaten Verluste erzielt haben, dürften sich über ein aktuelles Urteil des BFH freuen. Bislang akzeptierte der Fiskus den wertlosen Verfall von Knock-outs nicht als verrechenbaren Verlust. Im verhandelten Fall hatte der Kläger anno 2011 verschiedene Knock-out-Zertifikate erworben, die je nach Kursverlauf der Basiswerte auf Zahlung eines Differenzausgleichs gerichtet waren. Noch 2011 wurde die Knock-out-Schwelle erreicht und die Papiere daher ohne jeglichen Differenzausgleich oder Restwert ausgebucht. Das Finanzamt wertete so etwas bisher als Privatvergnügen und erkannte die daraus resultierenden Verluste nicht an.

Auch hier sprach der BFH nun ein Machtwort (Az. VIII R 37/15): Hat ein Anleger in Knock-out-Zertifikate investiert, die durch Erreichen der Knock-out-Schwelle verfallen, darf er den Verlust daraus bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen abziehen. Die Finanzrichter stellten klar, dass seit Einführung der Abgeltungsteuer grundsätzlich alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen seien - und dass das gleichermaßen für Gewinne und Verluste gelte. Auf dieses Urteil ist das BMF in seinem besagten neuen Schreiben zur Abgeltungsteuer noch nicht eingegangen.

Unser Tipp: Anleger, deren Steuerbescheide für die Vergangenheit noch offen sind oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ausgestellt wurden, können sich auf die beiden BFH-Urteile beziehen und ihre Verluste noch einbringen.