Am Samstag werden die drei letzten verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands endgültig abgeschaltet, das Atom-Aus wird besiegelt. Die Angst vieler Verbraucher ist nun groß, dass es zu Stromengpässen und steigenden Strompreisen kommt. BÖRSE ONLINE checkt, welche Auswirkungen die Abschaltung der AKW haben wird.

Die drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland produzieren bis zum Schluss jede Menge Strom. So wird etwa das RWE-Kraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen allein in diesem Jahr bis zum 15. April nach Unternehmensangaben rund zwei Milliarden Kilowattstunden erzeugen. "Das entspricht etwa dem Jahresstrombedarf von rund 500.000 Haushalten", sagte ein Sprecher.

Nach der Abschaltung steht dieser Strom nicht mehr zur Verfügung. Doch die Lücke, die der wegfallende Atomstrom reißt, ist überschaubar.

Droht nach der Abschaltung eine Strom-Knappheit?

"Nein", heißt es bei der Bundesnetzagentur: "Es steht genügend gesicherte Kraftwerksleistung aus anderen Anlagen bereit, um die Stromnachfrage auch nach Abschaltung der Atomkraftwerke zu decken." Auch aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums ist die Versorgungssicherheit weiter gewährleistet.

Tatsächlich beträgt der Anteil der drei AKW an der Stromversorgung in Deutschland zuletzt lediglich sechs Prozent (siehe Grafik). Im Jahr 2021 war es noch knapp doppelt so viel. Zahlreiche AKW wurden bereits abgeschaltet.

Bruttostromerzeugung nach Energieträgern in Deutschland
Grafik: BDEW

In den vergangenen Jahren ist die Brutto-Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland bereits massiv gesunken. Von 152,5 Terawattstunden (TWh) im Jahr 1990 über den Höhepunkt im Jahr 2001 bei 171,3 TWh ist die Atomstrommenge in 2022 auf nur noch 34,8 TWh gesunken. Im Jahr 2022 haben Windkraft und Photovoltaik hingegen deutlich zugelegt.

Brutto-Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland seit 1990
Grafik: Statista.com
Brutto-Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland seit 1990

Haben die Abschaltungen Auswirkungen auf die Strompreise?

Energiemarkt-Expertin Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale NRW rechnet mit keinen Auswirkungen. "Die Marktakteure haben sich bereits auf die neue Situation eingestellt. Strom wird bereits jetzt für die kommenden Wochen und Monate gehandelt, und es sind keine Preisanstiege an den Märkten erkennbar."

Aus Sicht von Mirko Schlossarczyk von der Beratungsgesellschaft Enervis wäre der Preiseffekt etwa bei einer Verlängerung der Laufzeit bis Jahresende sehr überschaubar gewesen. Der Stromgroßhandelspreis hätte 2023 im Jahresmittel um drei Euro je Megawattstunde niedriger gelegen. "Für Haushaltskunden wäre das ein um 0,3 Cent je Kilowattstunde geringerer Preis, ein Rückgang von nicht einmal einem Prozent."

Auch das Vergleichsportal Verivox erwartet kurzfristig keine konkreten Auswirkungen auf die Strompreise für Haushaltskunden. Es werde jedoch darauf ankommen, wie schnell der Ausbau der Erneuerbaren voranschreitet und wie gut die fehlenden Kapazitäten ausgeglichen werden können.

Wie werden sich die Strompreise entwickeln?

Laut Verbraucherzentrale sind die Strompreise für Haushaltskunden, die einen neuen Tarif abschließen wollen, zuletzt deutlich gesunken. "Aktuell gibt es Stromtarife ab circa 32 Cent pro Kilowattstunde plus Grundpreis", sagt Wallraf.

Preissenkungen bei Bestandskunden-Tarifen seien noch eine Ausnahme. Für die kommenden Monate rechnet sie mit einer weiteren Entspannung: "Es werden noch mehr Anbieter um Kunden werben mit Preisen leicht oberhalb der 30 Cent-Marke."

Das Vergleichsportal Check24 sieht "weiterhin eine positive Entwicklung der Strompreise". Haushalte könnten nach dem Ende des Winters vor allem bei alternativen Anbietern mit günstigen Preisen rechnen, sagt Energie-Geschäftsführer Steffen Suttner. "Die Entwicklung bleibt allerdings abhängig von den weltpolitischen Ereignissen sowie den Füllständen der Gasspeicher."

Auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ist zuversichtlich, dass die Strompreise günstiger werden. "Der Strompreis wird natürlich günstiger werden, je mehr Erneuerbare wir haben", sagte die Grünen-Politikerin am vergangenen Dienstag bei MDR Aktuell.

Atomkraft sei "teuer, sowohl in der Herstellung, in der Produktion, als auch danach". Zudem sei die Frage der Endlagerung weiterhin ungeklärt. Derzeit stehe der Atommüll in Zwischenlagern in der ganzen Republik. Auch das koste richtig viel Geld, sagte Göring-Eckardt.

Was raten Verbraucherschützer den Stromkunden?

Laut der Verbraucherzentrale NRW zahlen viele Haushalte aktuell "noch sehr hohe Preise", die jenseits der 40 oder sogar 50 Cent pro Kilowattstunde lägen. Wallraf empfiehlt daher, zeitnah zu wechseln, sofern man seinen Vertrag jetzt kündigen könne. Auch Tarife eines Stadtwerks könnten eine Option sein, gerade für Kunden, die in der Energiekrise schlechte Erfahrungen mit Discountern gemacht hätten.

Die FDP-Bundestagsfraktion will unterdessen dauerhafte Entlastungen der Stromkunden. In einem der dpa vorliegenden Positionspapier zur Energiepolitik heißt es, die Stromsteuer solle auf das EU-Minimum abgesenkt werden. Das würde den Netto-Preis um rund 2 Cent pro Kilowattstunde senken.

Kommt es mit dem Kohleausstieg künftig zu Engpässen in der Stromversorgung?

Timm Kehler, Vorstand beim Branchenverband Zukunft Gas, fürchtet Engpässe mit der Beschleunigung des Kohleausstiegs, der bis 2030 abgeschlossen sein soll. "Damit steigen wir aus wichtigen Säulen für die gesicherte Stromerzeugung aus, also Kraftwerken, die liefern, wenn Wind und Sonne nicht bereitstehen", sagt Kehler. Neben den erneuerbaren Energien müssten schnellstmöglich Wasserstoff-fähige Gaskraftwerke aufgebaut sowie weitere, flexibel steuerbare Kapazitäten wie Stromspeicher verfügbar gemacht werden, um die entstehende Lücke zu schließen.

Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, mit Blick auf den Kohleausstieg erarbeite das Ministerium eine "kurzfristig wirksame Kraftwerksstrategie" für steuerbare Kraftwerke, die Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Unter anderem durch die Modernisierung älterer Gaskraftwerke und Ersatz von Kohleanlagen sollten bis zu 25 Gigawatt an steuerbaren Kraftwerken gebaut werden, die teilweise von Anfang an, teils auch zu einem späteren Zeitpunkt mit Wasserstoff betrieben werden könnten.

BÖRSE ONLINE hat den Grüne Zukunft Index Initiiert, mit dem Anleger auf die Wende in der internationalen Energiepolitik setzen können. Der 16 Werte umfassende Index enthält neben Solar-Unternehmen auch Aktien aus den Sektoren Wasserstoff, Windkraft und Biokraftstoffe.

(Mit Material von dpa-AFX)

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