Traditionell ist die Analyse von Unternehmen stark auf Fun­damentaldaten aus Geschäfts­berichten gestützt. Dieselben Daten werden jedoch von Millionen Investoren weltweit herangezogen und sind darüber hinaus vergangenheits­bezogen. Für ein erfolgreiches Investment wird es immer wichtiger, aktuelle Trends ausmachen zu können oder Verbindungen zwischen Unternehmen zu erkennen, bevor der Markt dieses Potenzial vollständig wahrnimmt. Die Analyse sowohl traditioneller als auch alternativer Daten, sprich Big Data, ist für uns zentral, um einen Informationsvorsprung zu erlangen.

Eine interessante Anwendung von Technologie zur Auswertung alternativer Daten ist die Nutzung maschinellen Lernens. So können wir Abhängigkeiten zwischen Unternehmen identifizieren, die keine offensichtliche Verbindung aufweisen - wie die Zugehörigkeit zu ­einem gemeinsamen Sektor oder das gleiche Herkunftsland. Ein Hersteller für Automobilsitze in Deutschland könnte beispielsweise mit einem brasilianischen Textilhersteller verbunden sein, weil er diese Textilien für seine Sitze verarbeitet.

Als Datenquelle können hier unter anderem Patente dienen, von denen Millionen existieren und die für jedermann öffentlich zugänglich sind. Die in ihnen angegebenen Liefer-, Absatz- oder Finanzierungsverbindungen können uns frühzeitig Aufschluss darüber geben, wie sich veränderte Geschäftszahlen eines Unternehmens auf dessen Lieferanten auswirken. In ähnlicher Weise lassen sich mithilfe maschinellen Lernens auch die Auswirkungen eines Unternehmenskonkurses auf Mitbewerber ableiten oder der Einfluss guter oder schlechter Presse.

Mit künstlicher Intelligenz
Zusammenhänge erkennen

Eine weitere Form des maschinellen Lernens, die wir in unserem Investmentprozess einsetzen, ist die natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing). Computer lernen hier, Texte in verschiedenen Sprachen zu lesen und diese Informationen in ­wenigen Sekunden auszuwerten. ­Unter ­anderem ermöglicht es diese Technologie, thematische Trends zu erkennen und Verbindungen zwischen Unternehmen herzustellen, wenn sich bestimmte Wortnennungen, also Themen, im Zusammenhang mit diesen Unternehmen häufen. Nachfolgend beschreiben wir drei Themen, die wir genau beobachten, weil unsere Analysen interessante Verbindungen ausmachen konnten.

Smart Healthcare: Es ist für viele Unternehmen im Gesundheitswesen eine Herausforderung, den aktuellen Standard der bereitgestellten Gesundheitsinformationen zu verbessern. Prognosen zufolge wird der Gesamtmarkt für das sogenannte Internet der Gesundheitsgeräte in den nächsten Jahren auf fast das Doppelte seiner heutigen Größe ansteigen. Dementsprechend konnten wir Verbindungen von Unternehmen in Industriezweigen wie medizinische Geräte und Anwendungssoftware beobachten, bei denen erst durch den Trend zu Smart Healthcare Abhängigkeiten entstanden sind.

Kein Tropfen umsonst: Darüber hinaus haben wir Verbindungen zwischen Unternehmen der Softdrinkindustrie und der Öl- und Gasindustrie gefunden. Beide Branchen verbrauchen im täglichen Betrieb große Wassermengen und fallen in den Einflussbereich neuer Vorschriften für die Bewirtschaftung und Wiederverwendung von Wasser, die zusätzliche Kosten für diese Unternehmen verursachen könnten.

Der Sonne entgegen: Weltweit verzeichnen Flughäfen seit fünf Jahren ein erhöhtes Passagieraufkommen, Tendenz steigend. Über 150 große Airports weltweit suchen deshalb nach Möglichkeiten, Solarenergie und andere erneuerbare Energiequellen einzusetzen. Somit konnten wir aufgrund sinkender ­Solarstromkosten bei Unternehmen aus den Branchen erneuerbare Energien und Flughafendienstleistungen bestehende Verbindungen identifizieren.

Das Ziel der Analyse: Nicht immer in die offensichtlichen Unternehmen investieren, die meist schon im Preis gestiegen sind, sondern Bereiche des Markts unter die Lupe nehmen, die andere Investoren weniger im Visier haben und die somit noch mehr Wertsteigerungspotenzial bieten.

zur Gastautorin:

Marie Cardoen, Leiterin Privat­kundengeschäft
bei Goldman Sachs Asset Management

Cardoen ist Absolventin des Institut d’études politiques de Paris. Sie erwarb einen Master in Mikroökonomie und Ökonometrie an der Sorbonne in Paris. 2004 kam sie zu Goldman Sachs und hatte verschiedene ­Positionen bei der ­Investmentbank inne, bevor sie 2009 zum ­Asset ­Management wechselte. Sie ist vor ­allem für den Vertrieb von Publikumsfonds in Deutschland und ­Österreich ­zuständig.