Ein Leben ohne Internet ist nicht mehr denkbar. In nur zwei Dekaden ist das Netz zu unserem alltäglichen Begleiter geworden. Wir sind jederzeit und überall online. Das gilt vor allem für die junge Generation - aber auch bei den Älteren setzt sich das zunehmend durch. Die Digitalisierung hat bereits viele Branchen "disruptiert": Handel, Tourismus und Medien. Aktuell treibt die Digitalisierung manchem in der Finanzindustrie Sorgenfalten auf die Stirn. Fintechs, kurz für Finanztechnologie-Unternehmen, entwickeln sich schneller als manch ein altgedientes Institut, das nicht mithalten kann. Kleine Start-ups machen den Großen Beine, indem sie mobile, volldigitalisierte Angebote schaffen.

Allerdings ist die Frage der Sicherheit gerade bei digitalen Finanzdienstleistungen besonders kritisch. Neben groß angelegten Hackerangriffen und Datendiebstählen liest man immer wieder Schlagzeilen vom Identitätsklau: Mithilfe gestohlener Zugangsdaten werden etwa falsche Onlinebestellungen ausgelöst oder Konten geknackt. Das ist ein großes Problem, gegen das im Moment nur ein vorsichtiger Umgang mit sensiblen Daten wie PINs, TANs und Passwörtern hilft. Damit wir in Zukunft alle auch im Netz zweifelsfrei unsere Identität belegen können, arbeitet die Europäische Union (EU) aktuell an einer Lösung. In einem ersten Schritt gilt von Juli an die EU-Verordnung über "elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt". Diese eIDAS-Verordnung soll europaweit einheitliche Rahmenbedingungen für vertrauenswürdige elektronische Geschäftsprozesse und die Nachvollziehbarkeit von elektronischen Transaktionen schaffen.

Die Verordnung ist unmittelbar geltendes Recht in allen 28 EU-Mitgliedstaaten sowie im Europäischen Wirtschaftsraum. Deutsche Gesetze werden aktuell angepasst, damit auch kleine Widersprüche zwischen EU-Recht und unserer aktuellen Gesetzeslage aufgelöst werden. Mit eIDAS erhalten wir also alle einen rechtsverbindlichen Personalausweis für Onlinedienste. Das erleichtert nicht nur Behördengänge. Für uns als Fintech-Unternehmen bedeutet das auch die Beschleunigung von Kontoeröffnungen und Kreditanträgen. Den meisten Kunden unserer Tochter, dem Online-Broker Flatex, ist das PostIdent-Verfahren ohnehin längst zu lästig. Sie wollen nicht mehr bei der Post in der Schlange stehen. Daher hat Flatex, wie andere in der Branche auch, die Videolegitimierung eingeführt, bei der man den Ausweis einfach in die Kamera seines Smartphones, Tablets oder Laptops hält. Dann wird das Konto eröffnet. In anderen Ländern ist man noch weiter: In Korea zum Beispiel kann man eine Hypothek in nur 30 Minuten vollständig mobil beantragen und eine Entscheidung erwarten. Das ist eine Erfindung unseres Kooperationspartners Finotek, der zudem eine biometrische Identifikationslösung für die mobil basierte elektronische Signatur erfunden hat.

In Europa bietet die Einführung einheitlicher elektronischer Vertrauensdienste durch die eIDAS-Verordnung die Möglichkeit, schnelle, günstige und vertrauenswürdige Transaktionen - sogar über Ländergrenzen hinweg - vorzunehmen. Das sollten wir als Chance begreifen. Schade ist allerdings, dass sich die vollständige Implementierung von eIDAS bis September 2018 hinziehen soll. In Deutschland sollten wir vorangehen und diesen weiten Rahmen nicht vollständig ausschöpfen. Es ist nicht nur eine Frage des Komforts, sondern auch eine Frage der Innovationskraft Europas. Eine Verzögerung kann Arbeitsplätze kosten und die Wirtschaft langfristig beschädigen, da andere uns im Netz überholen. Je länger es dauert, eine grenzüberschreitende, digitalisierte und vor allem rechtsverbindliche Kommunikation zu etablieren, desto größer ist der Wettbewerbsnachteil. Fazit: Aus "online gehen" ist für viele längst "online leben" geworden. Dazu gehört es auch, online unterschreiben zu können. Mit der eIDAS-Verordnung ist ein Meilenstein erreicht. Jetzt muss nur noch der Fortschritt tatsächlich genutzt werden. Die Politik kann hier viel beschleunigen.

Frank Niehage



Niehage ist CEO der FinTech Group AG mit Sitz in Frankfurt. Die Gruppe gehört zu den innovativsten europäischen Finanzdienstleistern und hilft Banken und Start-ups, die Digitalisierung umzusetzen. Mit dem zur Gruppe gehörenden Onlinebroker Flatex hat die 500 Mitarbeiter starke FinTech Group AG auch rund 160 000 Privatkunden in Deutschland und Österreich.