Value Investing weckt gerade in Zeiten erhöhter Schwankungen oder einer unklaren Richtung an den internationalen Börsen vielfach das Interesse der Anleger: Solide und vor allem günstig bewertete Titel sollten den Turbulenzen am ehesten widerstehen können. Doch welcher Indikator ist der geeignetste, um die defensive Natur bestimmter Aktien am besten zu erfassen? Eine der am weitesten verbreiteten Kennzahlen zur Beurteilung von Aktien und Aktienmarkt-Sektoren ist noch immer das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das den aktuellen Aktienkurs ins Verhältnis setzt zum Unternehmensgewinn pro Aktie. Wahlweise wird dafür der letzte gemeldete Gewinn herangezogen oder aber - noch häufiger - der von Analysten erwartete Gewinn für eines oder mehrere der kommenden Quartale.

Das Problem dabei: Kurzfristig sind die Gewinne teilweise erheblichen Schwankungen unterworfen und hängen stark von Geschäfts- und Konjunkturzyklen ab. Anleger müssen genau hinsehen, um echte Werte zu erkennen - also solche, von denen anzunehmen ist, dass sie unterhalb ihres fairen, fundamentalen Werts notieren. Bereits 1988 hat der US-Ökonom und Nobelpreisträger Professor Robert Shiller einen so einfachen wie überzeugenden Ansatz für eine weniger zyklische Betrachtungsweise entwickelt: die CAPE®-Ratio. Der Begriff steht für ein konjunkturbereinigtes KGV. CAPE® berücksichtigt nicht nur den Gewinn des jeweiligen Unternehmens eines Jahres, sondern den inflationsbereinigten Durchschnitt der Gewinne der vorangegangenen zehn Jahre. Das Ergebnis ist ein geglättetes KGV, das für langfristig orientierte Investoren besser geeignet ist.

Zuverlässig, das hat Shiller gezeigt, lassen sich mittels CAPE® tatsächlich unterbewertete Aktien identifizieren. So deutet beispielsweise eine höhere CAPE®-Ratio am US-Aktienmarkt im Schnitt auf eine schwächere Performance in den Folgejahren hin und umgekehrt. Diese negative Korrelation lässt sich dabei bereits seit den 1880er-Jahren nachweisen. Shiller weitete diesen Ansatz auf die Bewertung von Aktienmarkt-Sektoren aus. Er war sich allerdings bewusst, dass sich unterschiedliche Sektoren nicht ohne Weiteres miteinander vergleichen lassen. Während beispielsweise bei Versorgern die CAPE®-Ratio im Schnitt niedrig bleiben wird, weil niemand ein starkes Gewinnwachstum in dem Sektor erwarten wird, weisen Technologieunternehmen strukturell höhere Ratios auf.

Diesem Faktor trägt der Sektorrotationsansatz von Shiller Rechnung, indem er die jeweilige CAPE®-Ratio ins Verhältnis zu ihrem langfristigen Durchschnitt setzt. Liegt dieser relative Indikator unter seinem langfristigen Durchschnitt, spricht das für eine Unterbewertung.

Auf Basis dieser Untersuchungen hat Shiller gemeinsam mit Barclays eine Sektorrotationsstrategie entwickelt, die darauf abzielt, jeden Monat aufs Neue in die dann nach der CAPE®-Ratio am günstigsten bewerteten Sektoren zu investieren. Auf diese Weise identifizieren die entwickelten Smart-Beta-Indizes seit 2012 jeden Monat neu die fünf potenziell attraktivsten Sektoren des jeweiligen Aktienuniversums. Mittels eines Filters wird jener Sektor aussortiert, der das schwächste Momentum für die vergangenen zwölf Monate aufweist. Gerade im aktuell schwankungsintensiven und schwierigen Marktumfeld hat sich der Ansatz einmal mehr bewährt. So legte etwa der entsprechende europäische Strategieindex im ersten Halbjahr 2016 um 2,7 Prozent zu, während der breite MSCI Europe um 4,8 Prozent nachgab.

Und angesichts allenfalls gemischter Aussichten und enormer Unsicherheiten spricht weiter eine Menge für eine smarte Value-Strategie mit nachgewiesenen Erfolgen. Exchange Traded Funds (ETFs) auf den europäischen oder US-amerikanischen Aktienmarkt machen die Strategie von Nobelpreisträger Shiller für Anleger investierbar.

Bruno Poulin



Der Finanzfachmann ist Mitgründer und Vorstandschef von Ossiam, einem auf Smart-Beta-Strategien spezialisierten Vermögensverwalter. Zuvor war er acht Jahre lang stellvertretender Investmentchef und Leiter des Bereichs Quantitative Research bei Systeia Capital Management, wo er alternative Fonds verwaltete. Von 1989 bis 2001 arbeitete er als Managing Director bei der französischen Großbank Société Générale in Tokio und Paris in den Bereichen Handel und Strukturierung.