Das ist eine Seltenheit in der Medizin: Eine Krankheit mit vielen Millionen Patienten, vor allem in den reichen Industrieländern, gegen die es bisher überhaupt keine Medikamente gibt. Genau das ist NASH. Die Abkürzung steht für nicht­alkoholische Fettleberhepatitis, eine ­Lebererkrankung, die Schätzungen zufolge nicht weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung betreffen soll. Wenn für solche Patientenzahlen in absehbarer Zeit zum ersten Mal Therapeutika auf den Markt kommen, löst das bei ­Investoren Goldgräberstimmung aus - mit allen dafür typischen Konsequenzen: Übertreibung, Überraschungen, Flops und Kursstürze. Dieser Sektor hat davon reichlich zu bieten.

Zulassung Mitte 2020 möglich


Eine Portion Risikobereitschaft sollten Anleger daher mitbringen, wenn sie auf Fortschritte in der NASH-Behandlung setzen wollen. Dafür bieten die Hersteller der Produktkandidaten, die in diesem und den kommenden Jahren auf den Markt drängen, aber auch überdurchschnittliche Renditechancen. Als beispielsweise die US-Firma Intercept 2014 zum ersten Mal überzeugende Daten zum Wirkstoff Ocaliva bei NASH-Patienten veröffentlichte, konnte sich der Aktienkurs innerhalb weniger Tage mehr als versechsfachen.

Mitte dieses Jahres könnte Ocaliva für Fettleberhepatitis-Patienten in den USA zugelassen werden. Das Medikament soll vor allem Gewebeschäden (Fibrosen) in der Leber zurückdrängen und kommt daher eher für Patienten in späteren Krankheitsstadien infrage. Viele Experten halten Ocaliva für ein gutes, aber nicht für das beste Produkt. "Intercept hat gute Ergebnisse vorgelegt, aber als Nebenwirkung tritt mitunter ein starker Juckreiz auf", sagt Jean-Jacques Le Fur, Analyst bei der Investmentbank Bryan Garnier. "Wir denken, dass rund 25 bis 30 Prozent der Patienten deshalb nach einiger Zeit abspringen könnten, denn NASH selbst verursacht keine Symptome und daher auch keinen großen Leidensdruck, der Patienten solche Nebenwirkungen in Kauf nehmen ließe." Dazu kommt, dass Ocaliva tendenziell die Blutfettwerte verschlechtert. Das könnte das ohnehin bei typischen Patienten erhöhte Herzinfarktrisiko steigern.

Die Lebererkrankung verläuft über viele Jahre hinweg schleichend und endet im schlimmsten Fall mit Leber­zir­rhose, also Organversagen, oder Leberkrebs. 20 bis 30 Prozent aller Europäer entwickeln ohne übermäßigen Alkoholkonsum eine Fettleber, die zwei größten Risikofaktoren dafür sind Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Wenn zu den Fett­ablagerungen in der Leber noch Entzündungsprozesse und Fibrosen kommen, spricht man von Fettleberhepatitis. Mediziner erwarten, dass NASH bald Hepatitis C, Krebs und Alkoholmissbrauch als häufigste Gründe für eine Lebertransplantation überholen wird.

Das ist auch der Grund, warum nicht nur Ärzte, sondern auch die Kostenträger ein großes Interesse daran haben, die epidemieartige Zunahme der NASH-Patienten zu stoppen. Denn Transplantationen sind teuer, und die Alternative zu Medikamenten zumindest im Frühstadium - mindestens zehn Prozent Gewichtsabnahme - können viele Betroffene nicht umsetzen.

Intercept winkt deshalb trotz der Makel von Ocaliva ein zeitlich begrenztes, lukratives Monopol im NASH-Segment. Die Investmentbank Needham erwartet Spitzenumsätze von 2,5 bis drei Milliarden Dollar im Jahr 2025, ihr Kursziel für Intercept liegt bei 135 Euro, aktuell steht die Aktie bei 83 Euro.

Attraktive Übernahmeziele


Intercept auf den Fersen ist die fran­zösische Firma Genfit. Ihr Medikamentenkandidat Elafibranor soll im Gegensatz zu Ocaliva weniger die Fibrosen beseitigen als den Stoffwechsel beeinflussen und so die Leberentzündung stoppen. Es zielt daher mehr auf Patienten in einem frühen oder mittleren NASH-Stadium. Bisher hat Genfits Pille in Studien ein sehr gutes Nebenwirkungsprofil geliefert. Daten der entscheidenden Phase-3-Studie sollen im März/April veröffentlicht werden. Sind sie positiv, will Genfit bis Ende des Jahres die Zulassung beantragen. Vorstandschef Pascal Prigent erwartet dann auch Gespräche mit großen Pharmafirmen: Ob Vermarktungskooperation oder Verkauf von Genfit: Er sei "offen für alles". Die Bank Barclays hat für Genfit ein Kursziel von 49 Euro, das entspricht einer Verdreifachung zum aktuellen Niveau.

Genfit wäre die Nummer 2 am Markt, weitere Konkurrenz erwartet Bryan- Garnier-Analyst Le Fur erst 2024/25. ­Unter den zahlreichen Verfolgern stechen die zwei US-Firmen Madrigal und Viking Therapeutics hervor. Beide entwickeln Pillen, die wie Genfits Elafibranor den Leberstoffwechsel beeinflussen, und beide gelten als potenzielle Übernahmeziele.

Kombinationen als nächster Schritt


Ein ganz anderes Kaliber ist der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk, der sein Diabetes- und Adipositasmedikament Victoza/Saxenda für NASH-Patienten untersucht. "Alle Meinungsführer unter den Ärzten, mit denen wir in Kontakt stehen, sind sehr gespannt auf diese Medikamentenklasse", sagt Jean-Jacques Le Fur. Denn die sogenannten GLP-1-­Inhibitoren lassen Patienten abnehmen, was sich positiv auf NASH auswirkt. Zudem haben sich die Medikamente bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und Übergewicht bereits bewährt. Genfit plant eine Kombinationsstudie mit Elafibranor und einem GLP-1-Inhibitor. Novo Nordisk selbst hat Kombinationsstudien mit dem US-Biotechunternehmen Gilead aufgesetzt, wobei Gileads NASH-Produktkandidaten als alleinige Therapie bisher keinen Erfolg hatten.

Knackpunkt bei allen Produkten wird der Preis sein. Angesichts der riesigen Patientenzahlen fürchten Krankenversicherungen hohe Kosten. Einer ihrer Hebel ist das Einfordern einer Leberbiopsie als Voraussetzung für die Erstattung der Medikamente. Das würde das Marktpotenzial begrenzen, da Biopsien aufwendig und nicht ungefährlich sind. Inter­cept und Genfit sind als potenzielle Pioniere bei der Preisfestsetzung im Vorteil. Doch überspannen dürfen sie den Bogen nicht. Denn das dürfte dazu führen, dass weniger Patienten erreicht und die hochgesteckten Erwartungen der Investoren bitter enttäuscht werden.

Investor-Info

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Cash mit NASH


Favoriten der Redaktion für den NASH-Markt sind Genfit und Novo Nordisk. Novo ist ein Tipp für konservativere Anleger, der Konzern bietet Größe und Diversifikation und wird mit dem Ausbau seines GLP-1-Geschäfts weiter wachsen. Die Aktien der vier kleinen Firmen sind alle sehr schwankungsanfällig. Genfit ­gefällt aufgrund des bisher sauberen Sicherheitsprofils des Medikaments, der Aussicht auf ein Duopol und der Übernahmefantasie.

Name ISIN Marktkap. in Mrd. €
Genfit FR0004163111 0,63
Intercept Pharm. US45845P1084 2,78
Madrigal Pharm. US5588681057 1,15
Novo Nordisk DK0060534915 135,60
Viking Therap. US92686J1060 0,42

Stand: 30.01.2020; Quelle: Bloomberg