Herr Uebber, Mercedes-Benz ist in den vergangenen Jahren im Premium-Markt gegenüber BMW und Audi ins Hintertreffen geraten. Seit gut einem Jahr läuft nun die bislang größte Modelloffensive in der Daimler-Geschichte. Viele Marktforscher rechnen damit, dass sie Audi im Jahresverlauf beim Absatz überholen werden. Haben Sie den Blinker schon gesetzt?

Wir sind jedenfalls auf dem Gaspedal. Mercedes-Benz ist die am stärksten wachsende Premiummarke. Wenn man überholen will, muss man irgendwann damit beginnen, stärker zu wachsen als andere und dann auch zum Überholmanöver ansetzen. Unser Ziel ist jedenfalls klar: Wir wollen bis 2020 weltweit die Nummer 1 im Premium-Segment sein. Daran arbeiten wir.

Die Nummer 2 wäre ja auch schon mal ganz schön. Die Experten vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach trauen Mercedes-Benz Cars für 2014 ein Absatzplus von elf Prozent auf 1,74 Millionen Fahrzeuge zu. Die bisherige Nummer 2 Audi käme dagegen im laufenden Jahr nur auf einen Zuwachs von 4,5 Prozent auf 1,65 Millionen Pkw. Ist Audi 2014 also fällig?

Diese Analyse hört sich ja schon mal gut an (lacht). Weltweit dürfte der Gesamtmarkt 2014 um vier bis fünf Prozent zulegen. Wir wollen erneut schneller wachsen als der Markt. Wo wir am Ende landen werden, hängt von vielen Faktoren ab, auf die wir zum Teil keinen Einfluss haben: Einige Märkte sind volatil.

Mercedes-Benz hat ja nicht nur beim Absatz Nachholbedarf, sondern auch bei der Rendite: Im Vorjahr hat es bei der Mercedes Car Group gerade für eine operative Marge von 6,5 Prozent gereicht - allerdings mit steil steigender Tendenz. Im vierten Quartal haben Sie 8,0 Prozent geschafft nach 7,8 Prozent im Quartal zuvor. Ist das die Größenordnung, die Investoren auch für 2014 erwarten können?

Wir geben grundsätzlich eine Prognose auf Jahresbasis ab und da liegt die Messlatte beim Vorjahreswert von 6,5 Prozent. Diesen Wert wollen wir 2014 deutlich verbessern. Aber es gibt eben Faktoren wie Produktanläufe und den Produktmix, saisonale Einflüsse sowie Währungen. Daher kann man von einzelnen Quartalen nicht auf das Gesamtjahr schließen.

Die Analysten der Credit Suisse trauen Mercedes fürs laufende Jahr eine operative Rendite von 8,1 Prozent zu?

Wir wollen mittelfristig bei Mercedes-Benz eine operative Rendite von zehn Prozent erreichen. Das von Ihnen genannte Beispiel entspricht einer geplanten schrittweisen Verbesserung. Ob wir am Jahresende genau dort landen, werden wir sehen.

Eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Margenziele spielen neben dem Markterfolg auch die laufenden Effizienzprogramme. Allein bei Mercedes-Benz wollen Sie bis 2015 insgesamt zwei Milliarden Euro einsparen. Im Vorjahr haben Sie die Kosten bereits um 800 Millionen Euro gesenkt und damit um 200 Millionen mehr als geplant. Wie viel trauen Sie sich im laufenden Jahr zu?

Wir haben uns für das laufende Jahr weitere 30 bis 40 Prozent der gesamten Einsparungen bei Mercedes-Benz Cars vorgenommen, das entspricht etwa erneut 600 bis 800 Millionen Euro. Grundsätzlich sind wir hier weiter etwas schneller unterwegs als gedacht.

Dann könnte es womöglich auch etwas mehr werden als gedacht?

Der Finanzchef hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn am Ende tatsächlich etwas mehr rauskommen sollte (lacht).

Bei Daimler Trucks haben Sie sich 1,6 Milliarden Euro vorgenommen. Rund 500 Millionen Euro davon haben Sie bereits im Vorjahr geschafft. Was werden Sie da 2014 draufpacken?

Wir rechnen damit, dass es im laufenden Jahr rund 700 Millionen Euro werden. Damit lägen wir ähnlich wie bei den Pkw bei 70 bis 80 Prozent der angestrebten Kosteneinsparungen.

Damit würden Sie im laufenden Jahr die Kosten bei Pkw und Lkw also erneut um mehr als eine Milliarde Euro senken?

Das ist das Ziel.

Daimler hat zuletzt kräftig in die Produktoffensive bei Pkw sowie Lkw investiert. Fürs laufende Jahr wollen Sie die Investitionen erneut erhöhen. Wie viel sollen es denn werden?

Wir haben bis 2015 ein Investitionsprogramm von insgesamt 22 Milliarden Euro vor uns, also im Schnitt rund elf Milliarden Euro in diesem und im kommenden Jahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 haben wir gut sieben Milliarden Euro investiert. Der Schwerpunkt unserer laufenden Investitionen liegt im Pkw-Bereich beim Antriebsstrang und der Entwicklung CO2-effizienter Motoren sowie neuer Fahrzeuge, etwa den Kompaktwagen. In Brasilien bauen wir zudem ein Pkw-Werk auf. Bei den Trucks geht es ebenfalls schwerpunktmäßig um effiziente Motoren sowie um Investitionen in die mittelschweren Baureihen.

Ende 2016 läuft die Kooperation bei Transportern mit VW aus. Beobachter spekulieren, dass Daimler künftig mit Renault zusammenarbeiten könnten?

Unsere Partnerschaft mit Renault und Nissan baut sich Projekt für Projekt auf. Wenn wir Ideen haben, gehen wir auf unsere Partner zu und umgekehrt. Was die Transporter anbelangt: Renault hat mit dem Master eine neue Generation auf dem Markt, wir sind mit der Entwicklung beim Sprinter sehr zufrieden. Zudem ist das Marktpotenzial des Sprinter so groß, dass wir die Auslastung unserer Werke sicherstellen und weitere Marktanteile gewinnen können. Von daher gibt es hier im Moment keinen Handlungsbedarf.

Mercedes-Benz will bis 2020 zurück an die Spitze im Premium-Segment. Ohne China ist das nicht zu schaffen. Allerdings liegen sie dort nach einer langen Durststrecke beim Absatz sehr deutlich hinter BMW und vor allem Audi zurück. Wann werden Sie diese Lücke gegenüber dem Wettbewerb zu schließen?

Zunächst: Es gibt viele Märkte, wo die Rangfolge umgekehrt ist und wir deutlich vorne liegen, denken Sie an die USA. Dort sind wir die Nummer 1. Aber es stimmt: In China ist die Ausgangslage anders.

Völlig anders.

Wir sind zunächst einmal sehr zufrieden, dass wir mit Projekten wie der Neuordnung des Vertriebs oder der Erweiterung des Händlernetzes die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum gelegt haben. Damit haben wir im vergangenen Jahr Momentum aufgebaut, was sich im Januar und Februar dieses Jahres fortgesetzt hat. Für den Pkw-Markt in China wird 2014 ein zweistelliges Wachstum prognostiziert. Wir wollen dort mindestens genauso schnell wachsen. Wir haben ein starkes Produktportfolio im Markt. Im laufenden Jahr rollt zudem die speziell angepasste C-Klasse mit langem Radstand an den Start. Damit haben wir hervorragende Voraussetzungen, um in China weiter Boden gut zu machen.

Mercedes-Benz hat im Vorjahr 20 Prozent des Absatzes in China eingefahren. Audi macht dagegen bereits gut ein Drittel des Verkaufs im Reich der Mitte. Welchen Absatz-Anteil wird China mittelfristig zum Gesamtabsatz bei Mercedes-Benz beisteuern?

Im weltweiten Vergleich wächst der chinesische Markt überproportional. Daran wollen wir partizipieren. Daher wird zwangsläufig auch der Anteil Chinas am Gesamtabsatz von Mercedes-Benz Cars in den kommenden Jahren deutlich steigen.

Und die lokalen Fertigungskapazitäten werden entsprechend weiter ausgebaut?

Ja. Im Vorjahr haben wir bereits rund 50 Prozent der in China verkauften Fahrzeuge vor Ort gefertigt. Wir produzieren dort aktuell die E-Klasse, die C-Klasse und den GLK. 2015 kommt der GLA dazu. Schon aufgrund dieser volumenträchtigen Modelle wird der Anteil lokal gefertigter Fahrzeuge in den kommenden Jahren weiter nach oben gehen.

Hinter der Entwicklung in China stehen allerdings auch ein paar Fragezeichen. Die Verschuldung des Privatsektors soll Schätzungen zufolge inzwischen bei 17 Billionen Euro liegen und damit gut drei Mal so hoch wie vor fünf Jahren. Das Kreditvolumen vieler staatlicher Banken ist drastisch aufgebläht, die Anzahl der faulen Kredite auch. Bei vielen Volkswirten wächst die Sorge, dass es ein zweites Lehman geben könnte. Wie besorgt sind Sie?

Chinas Wirtschaft wächst derzeit mit 7,5 Prozent pro Jahr. Dass hier Risiken entstehen, die beherrscht werden müssen, liegt in der Natur der Sache. Aber die chinesische Regierung begleitet die Entwicklung der Wirtschaft seit vielen, vielen Jahren souverän. Und man darf nicht vergessen: China hat so viele Kapitalreserven wie kein anderes Land weltweit. Damit hat die Regierung sehr weit gehende Möglichkeiten, um mögliche Krisen aufzufangen.

Falls es entgegen Ihrer Erwartungen aber doch zur Pleite eines großen Finanzdienstleisters kommen sollte: Welche Auswirkungen hätte es auf Ihr Geschäft?

Wir haben Eigenkapital vor Ort, unsere Refinanzierung basiert auf Bankdarlehen und ist gut abgesichert. Und was die Ausfallraten bei Finanzierungen anbelangt, liegen wir in China unter dem weltweiten Konzerndurchschnitt. Das sollte beherrschbar sein. Im Übrigen öffnet sich der Kapitalmarkt in China: Wir haben am Freitag als erstes ausländisches Unternehmen einen Bond begeben. Damit finanzieren wir unser starkes Wachstum in China - von Pkw über Vans bis Trucks - und diversifizieren zugleich unsere Finanzierungsquellen.

Was versprechen Sie sich von der Emission?

Wir haben mit dem Bankenmarkt und den Regulierungsbehörden lange, intensive Diskussionen geführt und sind gemeinsam daran interessiert, den Kapitalmarkt in China weiter zu entwickeln. Die Anleihe im Volumen von 500 Millionen Renminbi ist nur der erste Schritt: Weitere Emissionen werden folgen, wir haben großes Interesse im Rahmen der Platzierung verspürt.

Das heißt, Daimler wird nun regelmäßig Anleihen in China begeben?

Wir verfolgen die Strategie unsere Finanzierungserfordernisse wo möglich lokal zu decken. Daher sind wir auch in anderen Schwellenländern am Kapitalmarkt aktiv, etwa in Südafrika und Brasilien. China ist nun ein weiterer Markt, den wir für unsere Finanzierung erschlossen haben.

Zuletzt haben sich mehrere große DAX-Konzerne mit einer Notierung in China beschäftigt. Sie auch?

Das ist für uns aus heutiger Sicht kein Thema.

Daimler hat sich im Vorjahr von der Beteiligung an EADS/Airbus getrennt und einen schönen Sonderertrag eingefahren. Trotzdem soll die Dividende für 2013 nur um fünf Cent auf 2,25 Euro je Aktie steigen. Wieso geben Sie sich hier so knauserig?

Beim aktuellen Kurs entspräche unser Dividendenvorschlag einer Dividendenrendite von 3,4 Prozent. Von knauserig kann da keine Rede sein. Und vergessen Sie bitte nicht: Wir sind in einer Hochinvestitionsphase. Dennoch heben wir die Dividende noch an. Unsere Ausschüttungsquote liegt damit bei 35 Prozent, und - wenn wir EADS/Airbus rausrechnen - sogar bei über 40 Prozent - trotz der Investitionen. Das wird von vielen Investoren sehr geschätzt. Das Geld, das wir über die Trennung von Airbus eingenommen haben, stecken wir in die Produktoffensive. Das bringt langfristig einen hohen Mehrwert für alle Aktionäre.

Sie haben in der Vergangenheit stets rund 40 Prozent des Gewinns an die Anteilseigner ausgeschüttet. Bleibt es auch langfristig dabei?

Das ist der Plan.

Die Nettoliquidität im Konzern ist im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf 13,8 Milliarden Euro gestiegen, die freien Mittelzuflüsse dank EADS/Airbus gleich um 233 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro. Angesichts dieser Eckzahlen könnten Sie einen Teil des Kapitals auch über Aktienrückkäufe an die Anteilseigner zurückgeben?

Unsere Nettoliquidität ist so hoch, weil wir volatile Zeiten haben, denken Sie an die Situation in den Schwellenländern. Sollte sich die Lage weltweit entspannen und - wovon wir ausgehen - auch die Profitabilität weiter steigen, generieren wir mehr Liquidität. Dann wird der Finanzchef...

...an die Aktionäre denken...

....der Finanzchef denkt jetzt schon jetzt an die Aktionäre mit dieser Dividende. Dann schauen wir zunächst unser Produktportfolio an: Wo können wir bei Pkw, Transportern, Trucks und Bussen mit neuen Ideen an den Start gehen? Da glaube ich an die Innovationskraft von Daimler. Dieses Potenzial wollen wir zuerst heben. Denn Investitionen in neue Märkte und Produkte bieten den höchsten Hebel beim Ertrag, der auch den Aktionären zugutekommt. Wenn es dann noch überschüssige Liquidität gibt, würden wir die Ausschüttungsquote überdenken.

Daimler hält unter anderem auch eine Beteiligung am US-Elektroautospezialisten Tesla. Das Unternehmen braucht Geld für eine neue riesige Akku-Fabrik. Würden Sie sich beteiligen?

Wir halten aktuell rund vier Prozent an Tesla. Damit fühlen wir uns wohl. Und was das Thema Batterie-Fabrik anbelangt: Wir kooperieren mit Tesla bereits bei der elektrischen B-Klasse. Wir brauchen uns da nicht zusätzlich zu beteiligen.

In China will Ihr Partner BAIC Motor im laufenden Jahr im Rahmen einer Kapitalerhöhung an die Börse gehen. Sie halten aktuell zwölf Prozent an BAIC Motor. Reicht das oder könnten Sie sich eine weitere Aufstockung vorstellen?

Die Details für den Börsengang und damit die Höhe der Kapitalerhöhung stehen noch nicht fest - aber wir werden auch nach dem Börsengang drittgrößter Aktionär und ein starker strategischer Partner bleiben. Das ist das klare Ziel.

Volkswagen hat mit den Familien Piech/Porsche starke Ankerinvestoren, bei BMW sorgt die Quandt-Familie für Stabilität im Aktionärskreis. Daimler hat das nicht. Wie wehmütig schaut der Finanzvorstand nach Wolfsburg und München?

Ankerinvestoren sollten aus der historisch-strategischen Welt kommen. In unserem Fall wären das die Unternehmensgründer Gottlieb Daimler und Carl Benz. Aber schauen Sie: Seit knapp 40 Jahren ist die Investmentgesellschaft von Kuwait bei uns investiert. Unsere Aktionärsstruktur ist global diversifiziert: Wir haben viele Investoren mit Beteiligungen von zwei bis fünf Prozent, die uns schon lange begleiten. Mit dieser Struktur sind wir sehr zufrieden.

Bodo Uebber: Der Finanzvorstand von Daimler genießt unter Investoren großes Ansehen. In der Branche gilt Uebber (54) als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche.