Die Familie des Nachfahren des Fiat-Gründers ist erfolgreicher als je zuvor. Und die Kriegskasse der Kennedys Italiens ist auch dank Ferrari für Übernahmen prall gefüllt. Von Gerhard Bläske, Euro am Sonntag

Wenige Tage vor dem ersten Wahlgang für die Präsidentschaftswahlen traf sich Italiens Premierminister Mario Draghi in seinem Amtssitz, dem römischen Palazzo Chigi, mit John Elkann, Chef des Clans der Familie Agnelli-Elkann. Es war ein diskretes Treffen, ohne offizielle Erklärungen. Wenige Wochen zuvor hatte der "Economist" ein geradezu überschwängliches Lob auf Draghis Regierungspolitik gesungen und das Bel Paese zum "Land des Jahres" gekürt. Kein Zufall. Das Wochenmagazin gehört zum Imperium der Fiat-Erben, deren börsennotierte Beteiligungsholding Exor mit 43,4 Prozent an dem Blatt beteiligt ist. Weh dem, der Böses dabei denkt. Aber dass Elkann Draghi gern in verantwortlicher Rolle in Italien sieht, ist kein Geheimnis. Er kann sich freuen. Nach der Wiederwahl Sergio Mattarellas zum Staatspräsidenten bleibt Draghi Premierminister.

Unter dem legendären Giovanni Agnelli (l’Avvocato), Lebemann und Playboy sowie langjähriger Fiat- Chef, der mit Partys und teuren Jachten sowie modischen Akzenten von sich reden machte, oder dessen Vater Giovanni Agnelli senior (il Senatore) waren die Agnellis in der Öffentlichkeit noch viel präsenter. Mit ihren Affären und Skandalen, ihrem wirtschaftlichen und politischen Einfluss, tragischen Schicksalsschlägen und Krankheiten, Flugzeugabstürzen und Autounfällen sowie dem Selbstmord von Edoardo Agnelli, Sohn des Avvocato, gelten die einstigen Großgrundbesitzer aus der Nähe von Turin, die 1899 den Autokonzern Fiat mitbegründeten, als die Kennedys Italiens.

Oft wurden sie als die heimlichen Herrscher Italiens bezeichnet, weil sie massiv Einfluss auf die Politik des Landes nahmen und umgekehrt von dort Unterstützung bekamen. Die Familie überstand Monarchie, Faschismus und die diversen Phasen der manchmal schwierigen italienischen Demokratie. In den 70er-Jahren des 20. Jahrhundert musste der damalige libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi Fiat mit seinem Einstieg retten.

Die heutige Generation der Familie Agnelli-Elkann ist nach außen diskreter, doch wirtschaftlich nicht weniger einflussreich. Unter der Führung von John Elkann, Enkel des Avvocato, ist das Vermögen sogar geradezu explodiert. Die aus neun Familienzweigen in drei Obergruppen und mehr als 100 Einzelvertretern bestehende Familie ist erfolgreicher denn je.

Milliarden für Akquisitionen

Gerade wurde der Nutzfahrzeugkonzern Iveco vom Land- und Baumaschinenkonzern CNH Industrial (Case, New Holland) abgespalten und ist seit dem 3. Januar separat an der Börse notiert. Das Unternehmen kann es zwar nicht mit den Branchengrößen Daimler, Volvo oder Traton (MAN, VW, Scania) aufnehmen. Die Kapitalisierung des zu 26,9 Prozent von der Holding Exor kontrollierten Konzerns lag zuletzt bei etwa 2,6 Milliarden Euro. Doch Analysten sehen Potenzial.

Der Börsenwert der früheren Mutter CNH Industrial, die einst zum Fiat-Konzern gehörte und ebenfalls zu 26,9 Prozent von Exor kontrolliert wird, liegt bei knapp 21 Milliarden Euro. Außerdem gehören zum Imperium der Agnellis auch noch Ferrari (22,9 Prozent) mit einer Kapitalisierung von derzeit 39,4 Milliarden Euro, der Medienkonzern Gedi (43,7 Prozent) mit den Zeitungen "La Stampa", "La Repubblica", "L’Espresso" sowie anderen Titeln und Radiostationen, Italiens Fußball-Serienmeister Juventus Turin (63,8 Prozent), die Edelschuhmarke Christian Louboutin (24 Prozent) und die Mehrheit des chinesischen Luxusgüterkonzerns Shang Xia. Dazu kommt eine Beteiligung von 14,4 Prozent am Autokonzern Stellantis (Börsenwert: 53,3 Milliarden Euro), der Anfang 2021 aus dem Zusammenschluss von Fiat Chrysler und PSA (Peugeot, Citroen, Opel) entstand, sowie diverse Beteiligungen etwa am Autozulieferer Faurecia. Außerdem ist das Imperium in vielen Start-ups engagiert.

Nicht zuletzt ist da Exor selbst. Die größte private Investmentgesellschaft Italiens, die sechs der größten Unternehmen des Landes kontrolliert, kommt selbst auf einen Börsenwert von 17,8 Milliarden Euro. Exor wies im ersten Halbjahr 2021 bei einem Umsatz von 19,1 Milliarden Euro einen Nettogewinn von 1,74 Milliarden Euro aus. Der Bruttovermögenswert der Anlagen lag bei 37,1 Milliarden Euro.

Die Familie Agnelli-Elkann, deren einzelne Mitglieder darüber hinaus "privat" weitere Unternehmensbeteiligungen haben, hält über die in den Niederlanden ansässige Giovanni Agnelli BV 53 Prozent der Exor-Kapital- und 80 Prozent der Stimmrechte. An der Giovanni Agnelli BV wiederum sind die drei Geschwister John, Lapo und Ginevra Elkann über ihre Privatholding Dicembre mit 38 Prozent beteiligt.

Exor hat gerade aus dem Verkauf des Rückversicherers Partner Re, der nur wenige Jahre zuvor für 6,7 Milliarden Dollar erworben worden war, rund neun Milliarden Euro erlöst. John Elkann, Chairman von Exor, Stellantis und Ferrari, teilte beim Investor Day seiner Holding Ende November mit, Exor habe nun zehn Milliarden Euro in der Kasse. Neun Milliarden davon sollten in Investitionen fließen.

Im Zentrum des Interesses stünden die Sektoren Luxusgüter, Technologie und Gesundheit. Hartnäckig halten sich Gerüchte, Exor plane die Übernahme des Modekonzerns Armani. Elkann bestätigte zwar beste Beziehungen zum Konzern des 87-jährigen Giorgio Armani, doch dessen Unternehmen stehe gar nicht zum Verkauf. Ein Dementi sieht anders aus.

Der Herrscher des Clans

Die Präsenz der Familie in Italiens Wirtschaft ist vielleicht nicht mehr so sichtbar wie noch in den 80er-Jahren, als allein um Turin bei Fiat noch 70.000 Industriearbeiter beschäftigt waren. Heute sind es noch rund 3.600, überwiegend in Kurzarbeit. Alle italienischen Werke des neuen Autokonzerns Stellantis haben gerade mal 24.700 Mitarbeiter.

Und Fiat ist Teil eines französisch dominierten Konzerns. Der Familienmittelpunkt ist für einen Großteil des Clans längst nicht mehr Turin, wo der elegant-lässige Avvocato, der oft als Italiens König bezeichnet wurde, in einer Villa oberhalb des Flusses Po residiert hatte. Viele Mitglieder der Familie leben in London, Paris, in den USA oder in der Schweiz. Steuerlicher Sitz der meisten Gesellschaften des Clans sind die Niederlande. Die Sprösslinge studieren in der Regel in Großbritannien oder in den USA, bevor sie Verantwortung im Konzern übernehmen.

Eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre spielte der langjährige Fiat-Chrysler-Chef. Der Finanzfachmann, der mit seinen Eltern aus Mittelitalien nach Kanada ausgewandert war und 2004 zu Fiat kam, nahm den damals blutjungen und schüchtern wirkenden John Elkann an die Hand. Elkann, Sohn von Giovanni Agnellis Tochter Margherita und dem französischen Schriftsteller Alain Elkann, war vom Avvocato zu seinem Nachfolger bestimmt worden, nachdem sich sein Sohn Edoardo im Jahr 2000 von einer Autobahnbrücke gestürzt hatte.

Der junge Mann, geboren in New York und aufgewachsen in Brasilien, Großbritannien und Frankreich, studierte am Turiner Polytechnikum Management Engineering.

Marchionne rettete den Fiat-Konzern, der wieder mal in einer tiefen Krise steckte, mit einer couragierten Aktion, fusionierte ihn mit Chrysler, gliederte CNH Industrial und Ferrari aus und schuf so die Grundlage für den gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Marchionne starb im Sommer 2018. Heute ist Elkann unumstrittener Herrscher des Clans.

Der Vater von drei Kindern hat sich längst freigeschwommen. Und er hat das Vermögen der Familie vervielfacht, seit er 2010 offiziell ihr Oberhaupt wurde. Der 45-Jährige legte mit der Fusion mit PSA Peugeot Citroen Opel sein Meisterstück ab. Elkann steht dem Verwaltungsrat vor und sicherte der Familie nicht nur Anteile, sondern auch üppige Sonderdividenden.

Nach Berechnungen der Zeitung "Domani" gehört John Elkann durch seine diversen Posten als Exor-, Ferrari- und Stellantis-Chairman, Exor-CEO sowie vorübergehender Ferrari-CEO mit seinen monatlichen Einkünften auch als Manager zu den absoluten Spitzenverdienern in der Welt. In den vergangenen zehn Jahren soll er auf diese Weise jährlich mindestens 20 Millionen Euro verdient haben, zusätzlich zu Dividendenzahlungen, davon fast die Hälfte bei Exor. Eine genaue Berechnung ist nicht möglich, weil ein Teil der Stock Options und Stock Grants noch nicht ausgezahlt wurde oder bekannt ist.

John Elkanns Cousin Alessandro Nasi, Jahrgang 1974, der in New York aufgewachsen ist und seine Karriere bei Merril Lynch und JP Morgan gestartet hat, ist Vertreter des zweiten großen Zweigs. Er ist Vizepräsident von Exor, sitzt im Board von CNH und ist Präsident der Robotik-Tochter Comau, die womöglich an die Börse gebracht wird. Verheiratet ist er mit dem tschechischen Ex-Model Alena Seredova, Ex-Frau von Italiens Torwartlegende Gianluigi "Gigi" Buffon.

Andrea Agnelli, Jahrgang 1979, vertritt den dritten großen Familienzweig. Auch er ist ein Cousin von John Elkann, studierte in Oxford und an der Mailänder Universität Bocconi und sitzt im Stellantis-Verwaltungsrat. Agnelli machte zuletzt vor allem negative Schlagzeilen: Als Juventus-Chef stand er wesentlich hinter dem (vorerst) gescheiterten Projekt einer europäischen Super- League, das ohne das Wissen seines Cousins kaum möglich gewesen sein dürfte.

Und: Andrea Agnelli steht im Mittelpunkt von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Turin wegen angeblicher Bilanzfälschung, der Verbreitung von Falschinformationen und der Ausstellung fingierter Rechnungen. Der börsennotierte Verein soll die Zahlen im Zusammenhang mit dem Verkauf und Kauf von Spielern zwischen 2019 und 2021 um 282 Millionen Euro geschönt haben. Das Engagement bei Juventus, wo die Agnellis seit 1923 dabei sind, gehört zu den wenigen wirtschaftlichen Flops des Clans, ist für die Familie jedoch eine Herzensangelegenheit. Der Börsenkurs ist steil abgestürzt, die Verluste sind hoch. Auch sportlich läuft es längst nicht wie gewohnt. Juve rangiert derzeit nur auf Platz 5 in der Serie A.

Skandale und Streit

Zu den eher dunklen Kapiteln der Familie gehören diverse Skandale von John Elkanns Bruder Lapo. Der hoch begabte und kreative, aber auch unstete und unberechenbare Lapo hat mehrmals mit Drogenexzessen mit transsexuellen Prostituierten von sich reden gemacht, die ihn teilweise an den Rand des Todes brachten. Später kam die Stilikone bei einem Autounfall in Israel beinahe ums Leben.

Weitere Familienmitglieder wie Benedetto Della Chiesa, ein Cousin von John und Andrea, stehen für höhere Aufgaben bereit und mit Santiago Marone Cinzano, Jahrgang 1994, rückte kürzlich ein Vertreter der sechsten Generation in den Familienrat ein, der sich einmal im Jahr trifft und potenzielle Differenzen gleich am Anfang regeln soll sowie die jüngere Generation frühzeitig auf künftige Führungsaufgaben vorbereitet.

Ganz friedlich ist die Lage in der Familie allerdings nicht. John und Lapo Elkanns Mutter Margherita, Tochter des Avvocato, fühlt sich und die fünf Kinder aus ihrer zweiten Ehe mit Serge de Pahlen um ihr Erbe betrogen und klagt gerichtlich in Genf gegen ihre Söhne. Die Malerin hatte 2003 auf alle ihre Erbansprüche verzichtet und auch ihre Anteile an Dicembre abgegeben - für insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Das entspreche in keiner Weise dem Wert des Vermögens der Familie, die überdies Teile davon in einer Vielzahl von Einzelunternehmen in Offshore-Paradiesen wie den British Virgin Islands versteckt habe.

Die Übertragung der Anteile an die Kinder aus erster Ehe wurde damals damit gerechtfertigt, die Familienholding retten zu müssen. Der Wert der Holding ist heute tatsächlich um eine Vielfaches höher und die Konstruktion ist undurchsichtig.

Wie in so vielen anderen Familien spielen auch Emotionen eine große Rolle. Margherita fühlt sich seit jeher ausgeschlossen. Ihrer 2019 verstorbenen Mutter Marella, Witwe des Avvocato, warf sie einst vor, ihr den Sohn (John Elkann) genommen zu haben. Und in der Familie sei sie eine persona non grata, die zu Festen nicht mehr eingeladen werde.

Insofern sind auch die Agnelli-Elkanns nicht anders als andere Familien auch.

Die Legende

Giovanni Agnelli

Als Enkel von Giovanni Agnelli senior, dem Gründer der italienischen Automobilindustrie, übernahm er 1966 die Leitung der FiatGruppe. Unter seiner Führung wurde Fiat zu einem der größten Automobilhersteller Europas und zum wichtigsten Industrieunternehmen Italiens. Zudem machte er als Lebemann und Playboy von sich Reden. Er starb 2003.

Die Nummer 1

John Elkann

Der Enkel von Giovanni Agnelli ist seit 2010 das Oberhaupt der Familie. Der 45-Jährige ist Aufsichtsratsvorsitzender von Stellantis, Ferrari und der Investmentgesellschaft Exor, die die Beteiligungen der Familienholding verwaltet. Der Vater von drei Kindern ist mit Lavinia Borromeo verheiratet, die aus einer sehr bedeutenden Adelsfamilie kommt, aus der mehrere Päpste stammen.