Seinen Start als Jungunternehmer wagte Horst Wortmann 1967 mit einer waghalsigen Alles-oder-nichts-Entscheidung. Der 26-jährige Schuhkaufmann aus der ostwestfälischen Provinzstadt Detmold ließ von einem Designer sieben Sandaletten in den Schockfarben Flieder, Giftgrün und Gelb entwerfen und orderte davon bei einem italienischen Hersteller, ohne einen einzigen Auftrag in der Tasche zu haben, gleich 100 000 Paar, die in 20 großen Containern angeliefert wurden. 1967 - das war die wilde Zeit der Beatgeneration, Mode musste bunt sein und auch ein bisschen verrückt. Wortmann setzte bei seinen ersten Kreationen für junge Damenfüße deshalb auf moderne und gewagte Farben. Er riskierte alles, investierte 300 000 D-Mark und einen ebenso hohen Kredit von der lokalen Sparkasse.

"Kein Mensch wusste, ob die sich verkaufen", gab Wortmann später zu. "Noch 20 Jahre später bin ich nachts schweißgebadet aufgewacht und habe geträumt, dass die Schuhe nicht laufen. Das war ein enormes Risiko, was mir zum Glück erst im Nachhinein aufging."

So begann damals alles. Heute gehört der Unternehmer, der in seiner Jugend mit dem Gedanken spielte, Radrennprofi zu werden, zu den Reichsten in Deutschland. Das US-Magazin "Forbes" schätzt sein Vermögen auf 1,9 Milliarden Dollar. Etwa 53 Millionen Paar Schuhe verkauft seine Firma jedes Jahr. Er lässt sie in über 100 Fabriken weltweit fertigen. Wortmann hat einen Zweitwohnsitz auf Mallorca, spielt Golf und fährt einen 317 km/h schnellen Mercedes-SLS-Sportwagen mit Flügeltüren. Das operative Geschäft der Firma hat inzwischen sein Neffe und designierter Nachfolger Jens Beining übernommen.

Frühe Abwanderung in Billiglohnländer

Das Familienunternehmen generierte zuletzt Umsätze von über einer Milliarde Euro mit Marken wie Tamaris, Caprice, Jana, Marco Tozzi oder s. Oliver Shoes, produziert aber auch inkognito für alle großen Schuhhändler Europas. Von Anfang an verzichtete Wortmann auf das Prädikat "Made in Germany", es war ihm egal, was die Traditionalisten von ihm hielten. Anfänglich ließ er in Italien produzieren, später setzte er voll auf Importe aus Asien. Er sah sich erst in Japan um, hörte dort jedoch, dass viele amerikanische Hersteller ins deutlich günstigere Taiwan abwandern würden. "Ich wusste gar nicht, wo Taiwan liegt", erklärte Wortmann. Aber er flog gleich hin und baute dort eine Produktion auf. Das war 1969 -also lange bevor seine Konkurrenten Südostasien entdeckten.

"Von dem Vorsprung, den wir uns damals in der Asienproduktion erarbeitet haben, profitieren wir noch heute", gibt der Unternehmer zu. Er war damit Trendsetter und Pionier. Der Rest der Branche ließ erst in den 80er- und 90er-Jahren in Asien produzieren. Heute wird jeder zweite Schuh weltweit in China hergestellt. Wortmann hatte schnell Erfolg. Bereits fünf Jahre nach der Gründung seines Unternehmens setzte er umgerechnet 20 Millionen Euro um, zu Beginn der 80er-Jahre waren es 100 Millionen und Anfang der 90er-Jahre bereits über 300 Millionen Euro.

Die eigene Marke

Aber so ging es nicht weiter. Es geschah das, was die Branche "Vertikalisierung" nennt: Immer mehr große Bekleidungsunternehmen wie etwa H & M gingen dazu über, nicht nur Produkte zu verkaufen, sondern die Herstellung selbst zu übernehmen, vom Design bis zum Angebot im Laden. So blieb alles in einer Hand, auch die Margen. Kunden wurden plötzlich zu Konkurrenten. Denn es gab keinen Grund mehr, ein Unternehmen wie Wortmann zwischenzuschalten. Gleichzeitig mussten viele kleine Fachhändler, die bei den niedrigen Verkaufspreisen nicht mehr mithalten konnten, Insolvenz anmelden. "Wir haben viele Kunden verloren", sagte der Unternehmer.

Aber Wortmann reagierte. Er schuf eine eigene Marke, Tamaris: "Ich wollte schon immer eine richtige Marke. Ich konnte es mir nur nicht leisten." Den Namen gab es zwar schon von Anfang an, aber die Marke musste erst geschaffen werden. Sie sollte bei den Frauen Begehrlichkeiten wecken.

Ab sofort belieferte er die Discounter nicht mehr mit Tamaris-Damenschuhen und achtete verstärkt darauf, dass die Produzenten in Asien einwandfreie Qualität lieferten. "Trotzdem dauerte es mehrere Jahre, bis bei Tamaris nicht nur der Preis, sondern auch die Leistung stimmte. Bis man den Schuhen ihre chinesischen Wurzeln nicht mehr anmerkt, sie tatsächlich nach Mode aussehen, bereit sind für Frauenzeitschriften und Boutiquen", schrieb das Magazin "Impulse". Das Tamaris-Konzept sah so aus: Man folgte zwar den Trends der großen Designer, aber die eigenen Produkte waren erschwinglich. Für ein Paar Schuhe bezahlten die Kundinnen zwischen 39 und 69 Euro, Stiefel kosteten bis zu 120 Euro. Gleichzeitig wurde jährlich ein zweistelliger Millionenbetrag in Werbung investiert. Die Werbemotive waren anfänglich immer identisch, ob im TV, in Zeitschriften oder auf Plakaten: ein Schuh vor einem weißen Hintergrund - und der Schriftzug Tamaris. "Das Produkt ist das Wichtigste", kommentierte Wortmann seine Werbestrategie. 2011 zeichnete die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) Tamaris im Ranking der "Best Brands" in der Wachstumskategorie mit dem dritten Platz aus - gleich hinter den Giganten Apple und LG.

Die Shops, die Tamaris-Produkte verkauften, wurden edel eingerichtet. Die Kundschaft sollte in einem vornehmen Ambiente einkaufen. Alles sollte teuer aussehen, aber nicht teuer sein. Einmal im Monat wechselte die Kollektion, doppelt so häufig wie im Branchenschnitt.

Und woher stammt der Name "Tamaris"? Der junge Wortmann hatte ein Faible für die Darstellerin der Offizierin Tamara Jagellovsk in der Science-Fiction-Kultserie "Raumpatrouille Orion", die ab 1966 im deutschen Fernsehen lief. Die deutsche Schauspielerin Eva Pflug spielte in der Serie eine selbstbewusste und resolute Russin und wurde in dieser Rolle zu einem Idol der Frauenemanzipation. Wortmann nannte seine Damenschuhe zunächst Tamara, erhielt jedoch eine einstweilige Verfügung einer französischen Firma, die die Namensrechte für Tamara besaß. Kurzerhand änderte er den Namen in Tamaris ab. Der Schriftzug hat sich seither kaum verändert, und rund 75 Prozent der Deutschen kennen heute diese Marke.

Zwischen Detmold und Mallorca

Seine Vertragswerke, die hauptsächlich in Asien stehen, arbeiten nach strengen Standards exklusiv für Wortmann. "Wir entwickeln alle Kollektionen selbst, jedes Design, jeden Leisten, jeden Absatz", erklärte er in einem Interview. In Pirmasens arbeiten Schuhmacher in einem Technologiezentrum an neuen Kreationen. Und in Detmold hat Wortmann ein 35 Millionen Euro teures vollautomatisches Logistikzentrum mit Platz für vier Millionen Paar Schuhe bauen lassen. Hier werden die Container mit Schuhen angeliefert, die irgendwo in China, Vietnam oder Indien produziert wurden. Anschließend werden sie sortiert und etikettiert - und auf der anderen Seite der riesigen Halle gleich wieder auf die wartenden Lkws verladen, die die Schuhe zu den Kunden transportieren. Zwei Minuten dauert dieser Prozess. Schneller schaffe es in Europa keiner, behauptet Wortmann.

Der Unternehmer blieb Detmold treu. Er besitzt hier ein Haus an einem Sonnenhang. Als ihm der Garten zu klein wurde, kaufte er einfach das Nachbarhaus und ließ die Bagger kommen. Auf der Baleareninsel Mallorca hat er einen Zweitwohnsitz. Hier macht er Urlaub und spielt Golf. Und einmal im Jahr feiert er mit einer Clique von 50 Freunden aus Ostwestfalen auf der Terrasse der Wohnung über der Hauptstadt Palma.

Abtreten war für Horst Wortmann nie ein Thema. "Sehe ich so aus, als müsste ich in Rente gehen?", pflegt er zu fragen. Aber kurz vor seinem 75. Geburtstag übergab er die operative Führung an seinen Neffen Jens Beining, den Sohn seiner Schwester Erika. Der Seniorchef selbst bleibt aber persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer. Denn, so das Credo der Firma: "Mode hält jung".