Herr Mucic, die Ende Juli vorgelegten Halbjahres-Zahlen haben Anleger nicht so richtig vom Hocker gerissen. Wie entspannt verabschiedet sich der SAP-Finanzvorstand jetzt in den Sommerurlaub?

Sehr entspannt (lacht). Wir haben im ersten Halbjahr alles geliefert, was wir uns vorgenommen haben und sogar noch ein bisschen mehr. Nehmen Sie unser Cloud-Geschäft: Da haben wir im ersten Halbjahr währungsbereinigt 36 Prozent zulegt. Das war deutlich mehr, als der Kapitalmarkt erwartet hat. Und wir sind damit auch schneller gewachsen als alle wesentlichen Wettbewerber. Auch beim Umsatz und beim Betriebsergebnis haben wir ein zweistelliges Wachstum zu verzeichnen. Dazu haben wir erneut unseren Ausblick angehoben. Sie sehen also: Wir laufen unter Volldampf.

Aber viele Analysten waren von Ihrer Zwischenbilanz trotzdem nicht so richtig beeindruckt. Für Kritik hat unter anderem das Geschäft mit den Software-Lizenzen gesorgt. Es gab zum dritten Mal in Folge nach und lag zudem unter den Erwartungen. Hat der klassische Software-Verkauf seinen Zenit schon überschritten?

In unserem klassischen Produktgeschäft sind die meisten Angebote bereits auf dem Weg in die Cloud. Von daher ist diese Entwicklung keineswegs überraschend. Übrigens haben wir stets gesagt, dass wir 2018 im Lizenzgeschäft mit Rückgängen im niedrigen einstelligen Bereich rechnen. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass die Lizenzverkäufe im ersten Halbjahr 2017 sehr stark waren. Für die zweite Jahreshälfte liegt die Messlatte aus dem Vorjahr nun niedriger. Daher sehen wir gute Chancen, hier wieder besser abzuschneiden. Aber in einem Zeitrahmen von fünf bis zehn Jahren wird die Cloud die Zukunft für die SAP sein.

Für die größte Kritik hat zuletzt die Entwicklung der operativen Marge gesorgt. Bereinigt um Währungs- und andere Sonder-Effekte reichte es von April bis Juni zu einer Ebit-Marge von 27,3 Prozent. Das waren gerade mal 10 Basispunkte mehr als im Vorjahreszeitraum. Damit können Sie nicht zufrieden sein, oder?

Doch. Währungsbereinigt haben wir im zweiten Quartal die Marge um 40 Basispunkte gesteigert. Außerdem hat sich im zweiten Quartal hier auch noch die Callidus-Übernahme dämpfend ausgewirkt. Wir haben auf dem Kapitalmarkttag vor gut einem Jahr angekündigt, dass bei der operativen Marge die Talsohle 2017 erreicht sein wird und es ab 2018 in der Margen-Entwicklung wieder bergauf gehen soll - und zwar kontinuierlich. Diese Trendwende ist eingeleitet und sie wird sich weiter fortsetzen.

Nun hat SAP bei der operativen Marge viele Jahre einen Wert von über 30 Prozent ausgewiesen. Für 2018 erwarten die Analysten eine Marge von 29,6 Prozent. Ist das eine Größenordnung, mit der sie sich wohlfühlen?

Das ist abhängig vom Umsatzmix aus Lizenzen und Cloud. Wie gesagt: Die Trendwende ist eingeleitet. Und wir gehen davon aus, dass sich die operative Marge schon wegen des sehr starken Cloud-Wachstums auch in den kommenden Jahren weiter verbessern wird.

Aber einfach wird das nicht. Denn die Kosten steigen rasant. Im ersten Halbjahr sind inklusive der Akquisition von Callidus 5900 Mitarbeiter dazugekommen. Das ist ein Plus von acht Prozent. Und Personal ist bei SAP traditionell der größte Kostenblock. Müssen Sie hier nicht deutlich auf die Bremse treten?

Zunächst müssen und werden wir weiter in Innovationen investieren. Deshalb stellen wir in Forschung und Entwicklung über das ganze Jahr hinweg geeignetes Personal ein. Außerdem haben wir bereits nach dem ersten Quartal gesagt, dass wir gerade im Vertrieb schwerpunktmäßig zum Jahresanfang Personal aufbauen, denn die neuen Kollegen sollen noch im laufenden Jahr produktiv sein. Diesen Ansatz werden wir auch mittelfristig weiterverfolgen.

Neben dem Personal-Anstieg sind zuletzt auch die Investitionen weiter nach oben geschnellt. Im ersten Halbjahr haben Sie 800 Millionen Euro investiert, bis Jahresende sollen es 1,6 Milliarden Euro werden. Bis vor drei, vier Jahren hat SAP pro Jahr eher rund 600 Millionen Euro investiert. Kehren Sie mittelfristig wieder in diese Größenordnung zurück oder wird SAP jetzt dauerhaft mehr Geld in die Hand nehmen?

Wir haben in den vergangenen Jahren an der Vereinheitlichung unserer IT-Infrastruktur sowie dem Ausbau unserer Rechenkapazität für unsere Cloud-Angebote gearbeitet. Dieser Prozess wird Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Und dann?

Wir werden auch in den kommenden Jahren in unsere bestehenden Standorte investieren, etwa in neue Büros am Standort in Walldorf. Aber im Wesentlichen geht es darum, die Kapazitäten in unseren Rechenzentren im Zuge des geplanten Cloud-Wachstums entsprechend auszubauen. Außerdem setzen wir hier auch auf weitere Partnerschaften beispielsweise mit der Amazon-Tochter AWS. Von daher rechnen wir mittelfristig insgesamt mit jährlichen Investitionen in der Größenordnung von 2018.

Die größte Einzelinvestition in den kommenden Jahren plant SAP in München. Dort wollen Sie bis April 2021 für rund 95 Millionen Euro einen neuen Büro-Komplex hochziehen. Was haben Sie in der bayerischen Landeshauptstadt konkret vor?

Historisch gesehen hatte die SAP einen Stand in Hallbergmoos in der Nähe des Flughafens. Das ist zwar sehr nahe beim Flughafen, aber Millenials ...

...also Menschen, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden, ...

... arbeiten lieber in der Innenstadt. Außerdem haben wir mit der Akquisition von Hybris noch einen großen Standort in der Münchner Innenstadt. Künftig wollen wir unsere insgesamt rund 900 Mitarbeiter im Großraum München unter einem Dach zusammenzuziehen und zugleich Raum für weiteres Wachstum schaffen. Wir prüfen aktuell verschiedene Standorte. Im Moment läuft es auf einen Standort in der Nähe der Technischen Universität München in Garching hinaus.

Wie viel neues Personal wollen Sie da mittelfristig aufbauen?

Wir planen mittelfristig mit einem Personalaufbau von gut 30 Prozent. Das wären rund 300 bis 400 zusätzliche Stellen in München. Aber wir haben nicht nur in München Personalbedarf. Wir bereiten derzeit auch eine Personal-Aufstockung für unseren Standort in Berlin vor.

SAP hat vor wenigen Wochen auch C/4HANA an den Start gebracht. Damit wollen sie auf dem schnell wachsenden Markt für Programme zum Management von Kundenbeziehungen (CRM) vor allem gegenüber dem Platzhirschen Salesforce Boden gut machen. Wie läuft die Markteinführung?

Wir waren auf dem CRM-Markt lange Zeit etwas unterrepräsentiert. Nachdem die Entwicklung von S/4HANA und SAP HANA als Datenbanklösung inzwischen so weit fortgeschritten ist, haben wir nun Kapazitäten, das Thema CRM mit Hochdruck voranzutreiben. Wir sehen dort riesiges Potenzial und haben uns in dem Bereich entsprechend aufgestellt. Neben unseren eigenen Lösungen haben wir uns deshalb in den vergangenen Jahren gezielt verstärkt. Jetzt sind wir in der Lage, unseren Kunden ein Portfolio über alle CRM-Subsegmente anzubieten, vom Marketing über die klassische Vertriebssteuerung, den Service bis hin zum Management von Kundendaten - und zwar nahtlos integriert in S/4HANA und die gesamte Logistik-Kette. Das kann sonst keiner.

Wann werden Sie mit C/4HANA auf Jahresbasis die Marke von einer Milliarde Euro Umsatz erreichen?

Wir haben dreistellige Wachstumsraten bei CRM und gehen davon aus, dass das noch sehr lange so bleiben wird. Alleine im zweiten Quartal haben wir mit C/4HANA bereits 309 Millionen Euro Umsatz gemacht. Wenn wir berücksichtigen, dass das vierte Quartal bei SAP traditionell das stärkste Quartal ist, werden Sie nicht mehr lange warten müssen.

SAP hat seine Lösungen zum Internet der Dinge, also der flächendeckenden Vernetzung von intelligenten Geräten, künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen oder Blockchain unter dem Dach von Leonardo gebündelt. Viele Analysten halten auf die Sparte große Stücke. Wird bei Leonardo der nächste große Wachstumstreiber nach HANA ausgebrütet?

Wir sehen mehrere große Wachstumstreiber für die SAP: Unsere Intelligent Suite um S/4HANA und C/4HANA, das Thema digitale Plattform unter anderem mit unserer neuen Produktinnovation SAP Data Hub, bei der unsere Kunden dezentral gehaltene Daten zentral steuern und auswerten können, unsere Cloud-Lösungen und SAP Leonardo.

Aber welchem Thema im Leonardo-Portfolio trauen Sie am meisten zu?

Das Internet der Dinge ist schon relativ weit in seiner Entwicklung. Derzeit kommt das Thema maschinelles Lernen dazu mit den ersten Anwendungen bei Kunden wie etwa Rechnungseingangsprüfung oder Chat Bots. Blockchain ist dagegen eher noch in einem experimentellen Stadium. Und was mögliche Wachstumspotentiale anbelangt, so glauben wir, dass all diese Technologien Wachstumstreiber für die beiden Bereiche Intelligent Suite und Digital Platform sein werden. Wir positionieren sie aber nicht als separate Elemente, sondern integrieren sie in die klassischen Geschäftsprozess-Applikationen. Das sehen wir als Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb.

SAP arbeitet auch mit jungen Start-ups an innovativen Geschäftsideen. Dazu verfügen Sie mit Sapphire Ventures über eine eigene Risikokapital-Gesellschaft mit einem Vermögen von insgesamt zwei Milliarden Dollar. Im vergangenen Jahr sind vier der Beteiligungen an die Börse gegangen, die Anteile von drei weiteren Firmen wurden verkauft. Damit haben Sie rund 380 Millionen Euro eingespielt. Was ist für 2018 zu erwarten?

Nach den zum Jahreswechsel geänderten Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS 9 können Unternehmen über Anteilsveräußerungen den Zeitpunkt für Wertveränderungen im Beteiligungsportfolio nicht mehr selbst festlegen, sondern müssen entsprechende Veränderungen quartalsweise unabhängig von etwaigen Anteilsveräußerungen verbuchen. Das Beteiligungsportfolio von Sapphire Ventures hat sich im ersten Halbjahr mit einer Wertsteigerung von über 100 Millionen Euro erneut positiv auf unser Finanzergebnis ausgewirkt. Ob wir das Vorjahresergebnis so wiederholen können, lässt sich jetzt aber noch nicht absehen.

Aber im Zusammenhang mit Sapphire Ventures ist mir noch eine Sache wichtig zu erwähnen: Es geht uns dabei nicht nur um finanzielle Aspekte, sondern auch darum, dass wir über unsere Beteiligungen sehr frühzeitig neue Trends und Entwicklungen aufspüren und erkennen können, wo die Investitionen der nächsten Generation hingehen. Außerdem betrachten wir geeignete Start-ups auch als Teil unseres Ökosystems und nehmen die entsprechenden Produkte in unsere Lösungen auf oder wir schließen Vertriebspartnerschaften.

Die politische Großwetterlage trübt sich derzeit weltweit ein. US-Präsident Donald Trump hat alleine gegen China Strafzölle auf Importe im Volumen von zuletzt 45 Milliarden Dollar verhängt. Dazu kommen weitere Strafzölle gegen die EU. Wie gefährlich ist die Entwicklung für den Welthandel, wie gefährlich für SAP?

Grundsätzlich wünschen wir uns, dass der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen gewährleistet wird. Für die SAP sehen wir aber trotz der jüngsten Eintrübung keine negative Entwicklung. Im Gegenteil: Viele Kunden wollen sich für steigende Unsicherheiten wappnen und entscheiden sich gezielt für Software-Lösungen, mit denen sie Effizienz und Transparenz steigern können. Das war im Übrigen auch in der Vergangenheit in Phasen wachsender Unsicherheit so, ob das die Schuldenkrise in Griechenland war oder zuletzt der bevorstehende Brexit.

Offenbar hat ein SAP-Reseller Software in den Iran verkauft. Das wäre ein Verstoß gegen die von Trump verhängten Sanktionen gegen das Land. Drohen hier Strafzahlungen?

Das können wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht abschätzen. Wir stehen in dieser Frage in engem Kontakt mit den US-Behörden. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass die SAP kein eigenes Geschäft im Iran betreibt und dort auch nicht vertreten ist. Von daher haben wir auch hier keinerlei finanzielle Vorsorge getroffen.

In Südafrika gibt es Vorwürfe wegen möglicher Korruption gegen inzwischen entlassene SAP-Mitarbeiter. Wie weit sind Sie hier mit der Aufklärung, und haben Sie hier entsprechende bilanzielle Vorsorge getroffen?

Wir können derzeit nicht abschätzen, ob und falls ja, welche finanziellen Belastungen auf uns zukommen. Und was den Stand der Untersuchungen anbelangt: Wir wollen hier sehr gründlich vorgehen und nicht nur das Geschäft mit öffentlichen Auftraggebern in Südafrika untersuchen, sondern auf dem gesamten Kontinent. Das ist nötig, weil das gesamte Geschäft in Afrika von unserer Landesgesellschaft aus Johannesburg gesteuert wurde. Das wird aber noch Zeit in Anspruch nehmen.

SAP ist nach dem jüngsten Kursaufschwung inzwischen das mit Abstand wertvollste Unternehmen im Dax. Aber Sie wollen noch einen draufsetzen. Bis 2026 soll sich laut Vorstandschef Bill McDermott die Marktkapitalisierung erneut verdoppeln, auf dann 300 Milliarden Dollar. Ist das Ziel nicht ein bisschen arg gewagt?

Das ist überhaupt nicht gewagt. Die SAP hat ihren Marktwert bereits seit Anfang 2012 praktisch verdoppelt. Und ich sehe überhaupt keinen Grund, weshalb uns das nicht erneut gelingen sollte. Wir machen schon jetzt den größten Umsatzanteil mit Produkten, die wir vor fünf Jahren noch überhaupt nicht im Portfolio hatten. Aber unser Lösungsportfolio ist nicht nur das jüngste in unserer Unternehmensgeschichte, sondern auch breiter aufgestellt als je zuvor. Von daher sind wir sehr zuversichtlich, dass wir auch in den nächsten Jahren deutlich schneller wachsen können als der Markt. Das war in unserer Industrie in den vergangenen Jahrzehnten stets ein gutes Grundrezept zur Steigerung des Unternehmenswerts.

Dazu kommt, dass der Kapitalmarkt von uns eine höhere Effizienz erwartet hat. Die entsprechende Margenverbesserung haben wir dieses Jahr eingeleitet. Wenn der Markt sieht, dass sich das so fortsetzt, spricht nichts dagegen, dass wir dieses Ziel erreichen werden.