Das Potenzial, die Finanzmärkte dauerhaft zu prägen, bringen sogenannte Megatrends mit. Einer davon ist die "Japanisierung". Professionelle Marktstrategen treibt dieses Thema momentan ganz besonders um.

Jüngst meldeten sich dazu einige große Institute und Researchhäuser. In den Berichten dreht sich alles um die Frage, ob dem Westen ein volkswirtschaftliches Schicksal wie das von Japan bevorsteht. Das Land kämpft seit Jahrzehnten mit niedrigen Zinsen, geringer Inflation und schwachem Wirtschaftswachstum. Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob ­Europa das gleiche Schicksal droht, kann wohl niemand geben. Klar ist nur, dass es einige Parallelen gibt.

Japan erwirtschaftete mit 40 849 US-Dollar im vergangenen Jahr eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte pro Kopf weltweit. In Verbindung mit ­einer niedrigen Arbeitslosenrate von 2,3 Prozent klingt das zunächst gar nicht so schlecht. Einer der Negativpunkte aber ist das "Stagnationsgeflecht". Zur Illustration zieht man erneut das Bruttoinlandsprodukt heran. Das lag 2012 mit 48 663 Dollar pro Kopf deutlich höher als derzeit. Die aktuelle Zahl ist also enttäuschend. Allgemein ist eine Japanisierung der Wirtschaft von einer hohen ­Schuldenquote gekennzeichnet, welche die Zentralbank zwingt, die Zinsen sehr niedrig zu halten. Vom Arbeitsmarkt geht außerdem wegen verlorener Verhandlungsmacht der Lohnempfänger kein Inflationsdruck aus. Das hilft der Zentralbank, die Zinssätze unten zu halten. "Diese Merkmale treten nun in allen OECD-Ländern auf", schlussfolgern die Volkswirte der französischen Invest­mentbank Natixis.

Warnsignal Wirtschaftswachstum


Gefährdet scheint vor allem Europa zu sein. Dafür sprechen gesellschaftliche Parallelen zu Japan, wie beispielsweise eine alternde Gesellschaft - auch wenn der demografische Wandel nicht in dem Tempo und Ausmaß verläuft, mit dem der Inselstaat zu kämpfen hat. Zudem ist das Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise 2007/08 nicht mehr richtig in Fahrt gekommen. Regelmäßig verfehlt auch die Inflationsrate (aktuell liegt sie bei 1,6  Prozent) die Zielvorgaben - und das, obwohl die EZB sehr expansiv agiert. Diese Kon­stellation nährt den Verdacht, dass es zu einer Stagnationssackgasse kommt, bei der Gegensteuern mit ülichen geldpolitischen Instrumenten nicht mehr funktioniert.

Erstaunliche Ähnlichkeiten gibt es auch bei den Bankensystemen in Europa und Japan. So entwickeln sich die Nettozinsmargen der Kreditinstitute in beiden Fällen seit dem Jahr 2000 nach unten. Ein Problem, weil starke Banken wichtig sind, damit sie ihre Rolle als Kreditgeber für Unternehmen und Privathaushalte ausfüllen können. Die Deutsche Bank mahnt, dass Europas Bankensektor dringend zu stärken sei, um eine Japanisierung zu vermeiden. In der Eurozone sind Unternehmen und Privathaushalte stark auf die Institute als Kreditgeber angewiesen.

Und obwohl die USA vermutlich etwas weniger gefährdet sind, widmet sich auch die US-Notenbank Fed dem Thema. Laut BCA Research zeigt das Sitzungsprotokoll der Fed den Willen der Verantwortlichen, ein japanisches Szenario für die USA um jeden Preis zu vermeiden. Das würde eine noch expansivere Zinspolitik bedeuten. Die Konsequenz daraus könnte anhaltender geldpolitischer Rückenwind für die Vermögenspreise sein, so BCA.

Was aber bedeutet ein solches Szenario für Anleger? Als Orientierungshilfe dient erneut der Blick nach Japan. Eine zentrale historische Erkenntnis bringt Ned Davis Research ins Spiel. Demnach erzielten japanische Staatsanleihen seit 1985 pro Jahr eine Gesamtrendite, die bei geringerer Volatilität mit 3,9 Prozent über dem jährlichen Plus von Aktien (3,1 Prozent) lag. Anleihen haben Aktien also seit 1985 bei geringerer Volatilität abgehängt.

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Was wir von Japan lernen können


Auch muss man abwarten, ob es im Falle einer Japanisierung wirklich zu der oftmals unterstellten Vermögenspreisinflation kommt. Dies bezeichnet einen andauernden Preisanstieg bei Vermögenswerten wie Aktien, Anleihen, Gold und Immobilien. Im Widerspruch dazu steht der Hinweis der Bank of America, wonach Japans Aktienmarkt unter den wichtigsten Weltbörsen seit 2000 mit am schlechtesten abgeschnitten hat.

Die von der Bank of America ermittelten Daten weisen seit Februar 1999 auch eine bessere Entwicklung der zehnjährigen japanischen Staatsanleihen verglichen mit japanischen Unternehmensanleihen aus. Im Aktienbereich sind auf Branchenebene Gesundheitstitel besonders stark gestiegen, während Finanztitel seit Ende 1994 am schlechtesten abgeschnitten haben. Den weiteren Ergebnissen zufolge konzentrierten sich Anleger in Japan auch auf Sektoren und Unternehmen, die bei geringer Ergebnisvolatilität ein stetiges Ertragswachstum erzielten.

In Europa schnitten - gemessen an ­einer nachhaltigen Aufwärtsentwicklung beim Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) - laut Bank of America in den vergangenen 20 Jahren neben Gesundheitsaktien vor allem Logistik-, Versorger-, Industrie- und Immobilienaktien überdurchschnittlich gut ab.

Fünf Favoriten


Aus der entsprechenden Topliste der Bank of America stechen insbesondere folgende Firmen hervor, die auch aus unserer Sicht vielversprechend sind und die wir mit "Kaufen" einstufen: Terna, ein Versorger aus Italien, Air Liquide, führender Gaseproduzent aus Frankreich, Danone, weltweit agierender Getränke- und Lebensmittelkonzern aus Frankreich, SAP, deutscher Softwarehersteller, sowie Vonovia, ein Wohnungsunternehmen aus Deutschland. Wie immer bei solchen Denkszenarien gibt es natürlich keineswegs eine Garantie, dass die Entwicklung in Europa nach demselben Strickmuster verlaufen wird wie in Japan. Auch wenn ohne Zweifel durchaus Gemeinsamkeiten bestehen, sind ökonomische Zusammenhänge und die finanzpolitischen Reaktionen durchaus zu unterscheiden.