Zwar lag das "Nein"-Lager in den letzten Umfragen mit vier Prozentpunkten weiter leicht vorn. Allerdings sind demnach noch bis zu 14 Prozent der Wähler unentschieden, ob sie den seit mehr als 300 Jahren bestehenden Bund mit England lösen wollen. Während die Vertreter beider Lager noch einmal eindringlich für ihre Argumente warben, gaben sich Investoren gelassen. Ungeachtet aller Umfragen verwiesen viele auf die britischen Wettquoten, die eindeutig auf einen Erhalt Großbritanniens hindeuten.

Ab 07.00 Uhr am Donnerstagmorgen (Ortszeit, 08.00 Uhr MESZ) sind 4,3 Millionen Schotten aufgerufen, mit "Ja" oder "Nein" auf die Frage "Sollte Schottland ein unabhängiges Land sein?" zu antworten. Drei Umfragen der Institute ICM, Opinium und Survation ergaben am Mittwoch übereinstimmend 52 Prozent für die Gegner und 48 Prozent für die Befürworter. "Das wird knapp", sagte der Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde im Interview der Zeitung "Scotsman". Obwohl die überwiegende Zahl der Erhebungen in den vergangenen Monaten eine Mehrheit für die Gegner ergab, ist der Vorsprung in den vergangenen Wochen immer weiter zusammengeschmolzen.

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"DER ERSTE TAG IN EINEM BESSEREN LAND"

Entsprechend verstärkten die Befürworter einer Unabhängigkeit in den letzten Stunden vor der Abstimmung nochmals ihre Kampagne. Die Schotten sollten am Freitagmorgen "den ersten Tag in einem besseren Land" genießen können, erklärte der Erste Minister Schottlands, Alex Salmond. In einem offenen Brief an die Wähler zitierte er Landsmänner wie den Dichter Robert Burns oder den Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith. Die Schotten dürften sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Überraschend bezog die schottische Ausgabe der Zeitung "Sun" keine Stellung. Statt der mit Spannung erwarteten Erklärung für oder gegen eine Unabhängigkeit schrieb das Blatt in einem Kommentar lediglich, die Schotten träfen schon die richtige Entscheidung. Dagegen warnten 14 ehemalige Militär-Kommandeure in einem Brief vor einer Aufspaltung Großbritanniens. Ob die Unabhängigkeit politisch oder wirtschaftlich sinnvoll ist, sei dahingestellt, erklärten sie. "Militärisch gesehen ist die Lage klar: Das wird uns alle schwächen."

Die Aussicht auf ein Auseinanderbrechen der sechstgrößten Volkswirtschaft und einer Atommacht mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat, hat weit über die Insel hinaus Besorgnis ausgelöst. Verglichen mit den immer eindringlicheren Warnungen von Experten vor den Folgen eines "Ja"-Votums ist an den Börsen nur begrenzte Aufregung zu erkennen. So haben sich die britischen Standardwerte in diesem Jahr in etwa so entwickelt wie die in Deutschland. Nervosität ist am ehesten an den Devisenmärkten auszumachen. Das Pfund hat zum Euro in diesem Jahr mehr als vier Prozent verloren.

Einige Analysten erklärten, die Zentralbanken hätten mit ihrer Flut des billigen Geldes alle andere Faktoren hinwegschwemmt. Manche Investoren geben ohnehin nichts auf die Umfragen und vertrauen lieber den Wettbüros. Dort lag die Quote für einen Erhalt Großbritanniens zuletzt zwischen 70 und 80 Prozent. Premierminister David Cameron zeigte sich am Mittwoch dagegen nervös. In einem "Times"-Interview erklärte er auf Nachfrage, die Furcht vor einem "Ja"-Votum lasse ihn in der Nacht schweißgebadet aufschrecken. Diesen Ausgang würde man dann aber akzeptieren müssen, betonte er: "Wie immer das Ergebnis lautet, wir sind eine Demokratie."

Reuters