Das könnte wohl jedem passieren: Eine Autofahrerin ist über Land unterwegs, als ein Fuchs die Straße quert. Um das Tier nicht zu überfahren, weicht sie aus. Der Wagen stoppt erst in einer Böschung, es entstehen Kosten von knapp 7000 Euro. Der Kaskoversicherer argumentiert, die Kundin habe grob fahrlässig gehandelt. Sie hätte den Fuchs überfahren müssen, um einen erheblichen Schaden zu vermeiden. Die Sache landete vor Gericht.

Bis vor einigen Jahren hätten die Richter lediglich entscheiden können, ob die Versicherung den Schaden komplett oder gar nicht bezahlen muss. "Alles-oder-nichts-Prinzip", hieß das. Wenn grobe Fahrlässigkeit vorlag, ging der Geschädigte leer aus, andernfalls bekam er 100 Prozent. 2008 änderten sich die Gesetze, seitdem kann es Geld geben, selbst wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt - wie viel, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

Im Falle des Fuchses entschied das Landgericht (LG) Trier: Der Versicherer muss 40 Prozent bezahlen. Zwar liege grobe Fahrlässigkeit vor, da das Unfallrisiko beim Ausweichen so groß sei, dass die Gefahren einer Kollision mit einem solch kleinen Tier zu akzeptieren seien, andererseits falle aber mildernd ins Gewicht, dass die Fahrerin den subjektiven Eindruck haben konnte, ein Ausweichen sei geboten. Zudem gab es keine Schilder, die vor Wildwechsel warnten (Az. 4 O 241/09).

Diese sogenannte Quotelung ist vor allem bei Policen für Kfz, Hausrat und Wohngebäude relevant. Bei der Haftpflicht muss, von einigen Ausnahmen abgesehen, der Versicherer auch bei grober Fahrlässigkeit zahlen. Die Zeitschriften "Finanztest" und "Versicherungsjournal Dossier" haben eine Reihe von Entscheidungen aufgelistet, wann welche Minderung angemessen ist:

Mit einer Quote von 30 Prozent musste sich eine Versicherte zufriedengeben, deren ausgeschaltete Waschmaschine eine Überschwemmung verursacht hatte. Der Zulaufschlauch war abgerissen, während die Besitzerin beim Friseur saß. Grund für die Minderung: Die Frau hatte den Wasserhahn offen gelassen und auch keine Sicherheitsvorrichtung (einen sogenannten Aquastopp) eingebaut (LG Osnabrück, Az. 9 O 762/10). Immerhin 67 Prozent erhielt ein relativ ungeübter Lkw-Fahrer, der die Durchfahrtshöhe einer Brücke überschätzt hatte und hängen blieb. Gegen ihn sprach vor allem, dass er Hinweisschilder nicht beachtet hatte (LG Göttingen, 5 O 118/09).

Als einer Pflegekraft im Seniorenheim das Auto gestohlen wurde, strichen die Richter 50 Prozent - die Frau hatte den Schlüssel in einem offenen Aufenthaltsraum gelassen (Oberlandesgericht Koblenz, Az. 10 U 1292/11). Ein Fahrer, der seine Jacke mit Schlüssel für einen 109 000-Euro-Mercedes in einer Gaststätte nahe der Tür aufgehängt hatte, musste eine Kürzung von satten 90 Prozent hinnehmen (LG Köln, Az. 24 O 283/09).

Ebenfalls grob fahrlässig ist es zumeist, wenn ein Haus im Winter leer steht und der Besitzer die Wasserrohre nicht umfassend vor Einfrieren schützt. Das LG Bonn hielt in einem derartigen Fall eine Kürzung um die Hälfte für angemessen (Az. 10 O 372/09). Das LG Erfurt entschied hingegen auf ein Minus von 90 Prozent (Az. 8 O 1204/09). Das Oberlandesgericht Hamm strich die Entschädigung gar komplett (Az. 20 U 144/11).

Solch auseinanderklaffende Prozentzahlen wie bei Frostschäden sind typisch für die Quotelungs- Rechtsprechung, sagt Rechtsanwalt Christian Becker von der Düsseldorfer Sozietät Wilhelm. "Noch sind wir in der Entwicklungsphase, was die Einschätzung der Gerichte betrifft. Es sind keine klaren Linien feststellbar." Der Bundesgerichtshof habe sogar explizit Entscheidungen gefordert, die ganz auf den Einzelfall abstellen. (Az. IV ZR 225/10).

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"Nicht gleich einknicken"

Wenn es eine Tendenz gebe, dann jene: "Viele Versicherer kürzen schon von vornherein. Auch manche Richter ziehen quasi automatisch etwas ab." Doch müsse erst mal nachgewiesen sein, dass es sich um grobe Fahrlässigkeit handelt, "in dem Sinne: Der Geschädigte hat außer Acht gelassen, was jedem normalen Menschen in vergleichbaren Situationen einleuchten würde." Deshalb solle man gegenüber dem Versicherer nicht gleich einknicken, rät der Anwalt. "Gerade für einen gewissen Grad an Fahrlässigkeit hat man ja eine Versicherung. Und es hilft oft, wenn man mit entlastenden Umständen argumentiert."

Dennoch gibt es einige Möglichkeiten, Abzüge von vornherein auf relativ einfache Art zu vermeiden. "Am wichtigsten ist: Nach einem Schaden müssen die Fragen der Versicherung vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet werden", sagt Becker. Ansonsten kann der Versicherer die komplette Leistung wegen Betrugs verweigern. Auch sei eine schriftliche Meldung binnen einer Woche essenziell, sonst könne es schon deshalb Abzüge geben. Bei Hausrat oder Wohngebäuden sollte die Schadensstelle unverändert bleiben, bis sich der Versicherer die Sache angesehen hat. "Notmaßnahmen sind trotzdem möglich."

Lesen Sie auf Seite 3, welche Möglichkeiten es noch gibt, um eine Quotelung zu entgehen.

Vorteile bei neuen Verträgen

Weitere Möglichkeit, einer Quotelung zu entgehen: Bei vielen neuen Policen verzichten die Versicherer von vornherein darauf, sich auf grobe Fahrlässigkeit zu berufen. Wie Stichproben bei Anbietern ergaben, ist das nach eigener Auskunft etwa bei der Allianz in allen Kfz-Kaskoverträgen der Fall. Dasselbe gilt für CosmosDirekt, die sich auch bei Versicherungen für Wohngebäude bei Schäden bis zu 10 000 Euro so großzügig zeigt. Und ein Sprecher der Versicherungskammer Bayern erklärte, sein Haus wolle ab Jahresmitte in allen Sparten auf die sogenannte Einrede bei grober Fahrlässigkeit verzichten. Hierzu ein weiterer Tipp des Anwalts: "Man sollte bei alten Verträgen nachfragen, ob eine Gleichstellung mit neuen Policen ohne höhere Prämien möglich ist."

Doch manchmal würde selbst solch ein Upgrade nicht helfen. Ein Hausbesitzer wollte mittels Feuerwerkskörpern eine Katze vertreiben. Er warf die Knaller in den Keller und sah erst zehn Minuten später nach, was passiert war. Inzwischen hatten jedoch Kleider und ein Holzschrank Feuer gefangen. Das Gebäude brannte vollständig ab. Das Oberlandesgericht Naumburg entschied, dass die Wohngebäudeversicherung keinen Cent zahlen muss (Az. 4 W 12/11). Die Fahrlässigkeit sei so extrem, dass sie einem vorsätzlichen Handeln gleichkomme.

Und bei Vorsatz muss in einem solchen Fall keine Versicherung der Welt bezahlen.