Die angekündigte Übernahme von Warner Bros. durch Netflix ist der Deal des Jahres in der Medienbranche. Doch bei manchen Börsianern werden Erinnerungen an die AOL-Fusion im Jahr 2000 wach – die im Debakel endete. Eine Analyse der Chancen und Risiken.

Es ein Deal, der die Chefetagen Hollywoods aufrütteln dürfte: Netflix, der neureiche Nachbar im Medienbusiness, schluckt Warner Bros. Discovery (WBD) samt seiner ehrwürdigen Filmstudios. Auf dem Papier sieht es aus wie eine Traumhochzeit: Netflix, die technologisch getriebene Streaming-Geldmaschine, trifft auf Warner Bros., die Heimat von Harry Potter, Batman und HBO-Serienhits wie „Game of Thrones“.

Doch Anleger sollten Deal vielleicht besser nicht zu früh feiern. Denn Größe allein schützt nicht vor dem Absturz. Um das Potenzial – und die Gefahr – des aktuellen Deals zu verstehen, sollten sie nicht nur in die Bilanzen sehen, sondern auch einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. Genau gesagt: in den März 2000, als der damalige Vorläufiger von Warner Bros, das Medienhaus Time Warner, mit dem Internet-Newcomer America Online (AOL) fusionierte.


Content ist King, aber Cash ist Queen

Warum übernimmt Netflix überhaupt Warner? Die Antwort liegt im Thema „Content“. Denn Netflix hat ein Problem: Um Abonnenten zu halten, muss der Konzern jedes Jahr Milliarden in neue Filme und Serien pumpen. Bislang funktionieren zwar viele der Eigenproduktionen sehr gut. Dennoch sind sie teuer und riskant. Warner Bros. hingegen sitzt auf dem vielleicht wertvollsten Schatz der Filmgeschichte.

Content-Schatz: Mit der Übernahme bekommt Netflix sofort Zugriff auf eine der umfangreichsten Filmbibliotheken der Welt: Sie enthält Marken wie DC Comics, Herr der Ringe und die prestigeträchtigen Serien des Kabelsenders HBO. Sie alle sollen künftig mithelfen, die Abwanderungsquote (Churn Rate) bei Netflix zu senken.

Preismacht: Über Warner Bros. nimmt Netflix gleich zwei ernsthafte Konkurrenten vom Markt, beziehungsweise gliedert sie ein: den Bezahlkanal HBO und den Streamingdienst Warner Discovery. Damit wird der neue Netflix-Konzern im Streamingmarkt so dominant, dass man Preiserhöhungen wesentlich leichter durchsetzen könnte – trotz Konkurrenten wie (Amazon) Prime, Apple TV, Disney oder Paramount.

Allerdings wird das einer der Punkte sein, den sich die Wettbewerbsbehörden ganz genau ansehen werden.


Die Vergiftete Mitgift von Warner

Natürlich gibt es Gründe, warum sich Warner Bros. überhaupt selbst zum Verkauf gestellt hat. Denn im kunterbunten Movie-Wonderland gib es einige Probleme, die Netflix sich nun ebenfalls ans Bein bindet:

Schulden: WBD ist hoch verschuldet, Analysten beziffern die Altlasten auf über 40 Milliarden Dollar. Eines Teils davon soll sich Warner vor der offiziellen Übernahme noch mit seinen TV-Kanälen entledigen (darunter CNN, TBS und TNT). Das dürfte unter der Trump-Administration auch aus politischen Gründen sinnvoll sein.

Netflix dagegen hatte sich gerade erst zu einer profitablen Cashflow-Maschine entwickelt, indem man das Teilen von gemeinsamen Accounts über ein IP-Tracking unterband und die Preise sukzessive erhöhte. Die Übernahme von Warner würde die makellose Netflix-Bilanz sofort wieder mit Schulden belasten.


Déjà-vu 2000: Die Parallelen zu AOL und Time Warner

Als im Frühjahr 2000 AOL (America Online) und Time Warner ihre Fusion ankündigten, feierten Aktionäre und Analysten den Zusammenschluss als den perfekten Deal: „New Media“ (Internet) traf „Old Media“ (Inhalte) – was sollte da schon schiefgehen?

Eine Menge. Und die Parallelen zu heute sind frappierend: Netflix ist wieder der technologische Disruptor, Warner ist erneut der Content-Lieferant (Old Media).


Daran scheiterte die AOL-Time Warner-Fusion

Der damalige Zusammenschluss ging als einer der schlechtesten Deals der Wirtschaftsgeschichte in die Bücher der Wall Street ein. Denn er scheiterte im Wesentlichen an drei Punkten, die auch für Netflix relevant sein könnten.

1. Bewertungs-Blase: AOL bezahlte damals ausschließlich mit seiner eigenen, zu dieser Zeit extrem hoch bewerteten Aktie. Als die Dotcom-Blase platzte, löste sich der Wert des Deals quasi in Luft auf. Auch Netflix ist an der Börse sportlich bewertet, wenn auch – anders als damals AOL – profitabel. Doch schon ein stärkerer Rücksetzer im Kurs könnte die geplante Finanzierung des Deals womöglich gefährden.

Netflix zahlt laut offizieller Mitteilung 27,75 Dollar je Aktie für Warner Bros. Discovery (WBD), aufgeteilt in 23,25 Dollar bar und 4,50 Dollar in Netflix-Aktien. Aber Warner hat offenbar auch die Geschichtsbücher geschaut – und diesmal vorgesorgt: Die Aktienkomponente ist durch einen Preiskorridor zwischen 97,91 und 119,67 Dollar abgesichert. Bewegt sich der Kurs aus dieser Spanne heraus, wird das Umtauschverhältnis angepasst. Platz der Deal sogar ganz, etwa wegen Bedenken der Kartellwächter, zahlt Netflix an Warner eine Ausstiegsgebühr von 5,8 Milliarden Dollar.

2. Unterschiedliche Kulturen: Damals prallten Welten aufeinander. Die leicht arroganten, Tech-Manager von AOL trafen auf konservative, alteingesessene Medien-Mogule bei Time Warner. Die Folge war kein Miteinander, sondern Blockaden. Auch Netflix bringt diesmal eine datengetriebene Silicon Valley-Kultur mit, die möglicherweise wieder nicht zum Hollywood-Glamour bei Warner passt, wo Geschäfte oft auf langjährigen Beziehungen basieren.

3. Fehlende Synergien: Schon im Jahr 2000 dachte man, es sei überhaupt kein Problem für AOL, die Time-Warner-Inhalte exklusiv zu vermarkten. Doch dann überholten Flatrates und die Breitband-Technologie das Einwahl-Internet per Modem, auf dem das Geschäftsmodell von AOL basierte, schneller als gedacht. Die Chance war vorbei, noch bevor die Partnerschaft begann

So zerbrach AOL Time Warner

Die Folge: Die Unternehmenswerte beider Partner fielen ins Bodenlose. Der neu geschaffene Konzern musste Jahr für Jahr Milliardenbeträge abschreiben, hinzu kamen interne Machtkämpfe um die richtige Strategie. Im Jahr 2009 wurde AOL schließlich wieder abgespalten – zu einem Bruchteil des früheren Börsenwerts.


Netflix (WKN: 552484)

Was könnte den Netflix-Deal noch verzögern?

Noch ist die Übernahme nicht vollends in trockenen Tüchern. Es können durchaus noch Dinge schiefgehen:

Einwände der Kartellwächter

Das womöglich größte Hindernis für den Deal. Sowohl in den USA als auch in der EU werden die Wettbewerbshüter sehr genau prüfen, inwiefern ein Zusammenschluss der größten Streaming-Plattform mit einem der größten Filmstudios eine Marktmacht schafft, die den Wettbewerb mit Disney, Amazon Prime oder Apple TV behindert. Es drohen eine womöglich jahrelange Prüfung und Auflagen. Donald Trump hat bereits angekündigt, man werde sich den Deal ansehen müssen -  das verheißt nicht unbedingt Gutes.

Die Bewertung von WBD

Warner Bros. Discovery notierte an der Börse zuletzt oft unter seinem inneren Wert. Das macht sich Netflix nun zunutze. Die Aktionäre von Warner müssen der Übernahme jedoch zustimmen. Gut möglich, dass sie das nur tun, nur zustimmen, wenn Netflix nochmals einen Aufschlag zahlt. Das wiederum würde den Netflix-Kurs und dessen Aktionäre belasten.

Gegenangebote

Auch wenn sich das Warner-Management offiziell für Netflix als Partner entschieden hat, gibt die Konkurrenz im Bietergefecht noch nicht klein bei.

So wandte sich der Medienkonzern Paramount am Montag mit einem Angebot direkt an die Aktionäre. Paramount bietet für Warner Bros. Discovery 108,4 Milliarden Dollar (knapp 94 Mrd. Euro) inklusive Schulden, und damit deutlich mehr als Netflix, das 72 Milliarden bietet – ohne die aktuell noch dazugehörenden Fernsehsender wie CNN – und den Transaktionswert insgesamt auf knapp 83 Milliarden Dollar taxierte.

Besonders heikel: Paramount war vor wenigen Monaten von der Familie des Software-Milliardärs und Oracle-Gründers Larry Ellison übernommen worden, der Unterstützer von Donald Trump gilt. Paramount soll auch deshalb davon ausgegangen sein, sich gegen Netflix durchsetzen zu können, weil die Risiken eines Kartellverfahrens dann womöglich kleiner wären.


Netflix oder Warner – welche Aktie ist jetzt ein gutes Investment?

Statistisch gesehen fällt die Aktie des kaufenden Unternehmens (in diesem Fall Netflix) fast immer direkt nach der Ankündigung. Die Unsicherheit über die Schaffung von Synergien, die Aufnahme neuer Schulden und häufig eine Verwässerung der bestehenden Aktionäre, wenn der Deal in Aktien bezahlt wird, drücken auf den Kurs.

Umgekehrt profitiert der zu Übernehmende oft von der Fantasie, dass das Angebot nachgebessert wird. So auch diesmal: Am Montag gewann die Warner-Aktie nach Handelsbeginn mehr als sechs Prozent auf 27,75 Dollar, nachdem das Paramount-Gegengebot bekannt geworden war. Netflix-Papiere verloren dagegen rund vier Prozent. Die Aktien von Paramount Skydance legten dagegen 3,5 Prozent zu.


Warner Bros. Discovery (WKN: A3DJQZ)

Wenn der Plan aufgeht

Würde sich Netflix durchsetzen und die Integration von Warner gelingen, könnte sich der Streamingdienst womöglich uneinholbar absetzen und vom Technologie-Titel zu einem "Value-Play" mit einem riesigen Burggraben entwickeln – ein Vorteil, den im heiß umkämpften Streaming-Markt bisher noch kein Konkurrent hatte. Paramount hä#te diesen Vorteil dagegen (noch) nicht. Dass der Konkurrent nun noch versucht, Netflix zu überbieten, hat vor allem strategische Gründe, um dessen Machtposition zu verhindern.  Doch dafür müsste Paramount noch mehr Geld bezahlen als Netflix.

Bis die Übernahme auch rechtlich durch ist, vergeht noch viel Zeit. Zunächst einmal müssen die Genehmigungen der Wettbewerbsbehörden abgewartet werden. So lange wird sich am Netflix-Kurs wenig bewegen – und wenn, dann eher nach unten. Anleger, die nicht bei Warner mitzocken wollen, warten daher besser an der Seitenlinie zu warten, bis klar ist, ob Netflix das Kunststück gelingt, Tech und Hollywood erfolgreich zu verschmelzen – oder ob sich die Geschichte von AOL und Time Warner wiederholt.


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Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Warner Bros. Discovery.