Mit dem Etappensieg machten sie formell den Weg frei für eine Abstimmung am Mittwoch über einen Gesetzentwurf, der eine dreimonatige Verschiebung des Brexit-Termins bis zum 31. Januar 2020 vorsieht, sollte vorher kein Brexit-Vertrag zustande kommen. Johnson lehnt das entschieden ab. Er will das Land unbedingt Ende Oktober aus der EU führen, notfalls auch ohne Abkommen. Er bekräftigte noch am Abend, sollten die Parlamentarier für den Gesetzesentwurf stimmen, werde er einen Antrag auf Neuwahlen stellen.

Bereits im Laufe des Tages hatte sich während der hitzigen Parlamentsdebatte abgezeichnet, dass Johnson in die Defensive gerät. Trotz seiner Drohung an abtrünnigen Konservative, sie aus der Partei auszuschließen, sollten sie sich auf die Seite der Opposition schlagen, wechselte etwa der einflussreiche Tory-Abgeordnete Phillip Lee mit dem Beginn von Johnsons Rede vor dem Unterhaus demonstrativ ins Lager der EU-freundlichen Liberaldemokraten. Der Premier verlor damit seine Mehrheit im Parlament. Am Abend stimmten die Gegner von Johnsons harten Brexit-Kurs dann mit 328 zu 301 Stimmen für den Antrag, der die Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Verschiebung des Brexit ermöglicht.

VERTRAUENSFRAGE


Johnson kritisierte das Vorgehen seiner Gegner scharf. Das Gesetz käme dem Hissen einer weißen Flagge gegenüber der EU gleich, sagte er. "Das ist ein Gesetz, das, wenn es verabschiedet wird, mich zwingen würde, nach Brüssel zu gehen und um eine Verlängerung zu betteln. Es würde mich zwingen, die angebotenen Bedingungen zu akzeptieren. Es würde jede Chance zur Verhandlung eines neuen Abkommens zerstören."

In Johnsons Lager betrachtet man die Abstimmung über das Gesetz daher auch als Vertrauensfrage. Johnson kündigte an, für den Fall, dass das Gesetz durchkommt, wolle er noch am Mittwoch darüber abstimmen lassen, ob eine Neuwahl angesetzt wird. Eigentlich wolle er das nicht. Es sei aber "die einzige Lösung", sollten die Abgeordneten sich für eine weiter Brexit-Verschiebung aussprechen. Nach Angaben eines Regierungsvertreters würde die Wahl voraussichtlich am 14. Oktober abgehalten. Unklar ist allerdings, ob ein Antrag auf die Ausrufung einer Neuwahl ausreichend Unterstützung im Unterhaus hat. Zwei Drittel der 650 Abgeordneten müssten dafür sein.

Sollte es zur vorgezogenen Wahl noch im Oktober kommen, dürfte die Zeit zum Aushandeln eines Brexit-Vertrags mit der EU kaum noch reichen. Ökonomen befürchten bei einem ungeregelten Brexit schwere wirtschaftliche Verwerfungen beiderseits des Ärmelkanals. Gewarnt wird auch vor einem Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts, da unklar ist, wie der Grenzverkehr zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland geregelt werden soll.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters will die EU-Kommission ihre Vorbereitungen für den Fall eines harten Brexits verstärken. Am Mittwoch will sie Finanzhilfen vorschlagen für Unternehmen, Arbeiter und Bauern in der Europäischen Union, falls Großbritannien die Staatengemeinschaft ohne Austrittsabkommen verlässt.

rtr