An Tagen bevor ein Öl-Future abläuft, gibt es häufig stärkere Preisschwankungen. Was zu Beginn der Woche mit dem Mai-Kontrakt für die amerikanische Ölsorte West Texas Intermediate (WTI) passierte, ist jedoch beispiellos in der 35-jährigen Geschichte des Future-Handels. Wer Montagnacht einen Future auf WTI kaufte, bekam das Öl und 37,63 Dollar pro Barrel noch dazu.

Der Crash ist eine harsche Erinnerung daran, dass der WTI-Futures-Handel keine reine Finanztransaktion ist wie das Kaufen oder Verkaufen einer Aktie. Bei Brent-Öl gibt es die Option einer Cash-Abfindung, aber WTI-Futures sind Lieferverträge mit einem Lieferzeitpunkt und Lieferort. Der Ort ist die Kleinstadt Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma, wo Pipelines aus verschiedenen Landesteilen mit den Ölleitungen zu den Raffinerien am Golf von Mexiko zusammentreffen.

Die Internationale Energieagentur IEA rechnet damit, dass die Ölnachfrage im April um fast ein Drittel einbricht. Entsprechend haben Raffinerien weltweit ihre Produktion gedrosselt und nehmen weniger Rohöl ab. In den USA strandet der Rohstoff deshalb in Cushing, denn von einem Tag auf den anderen abstellen lassen sich Ölbohrungen nicht. Doch die Lagertanks in dem Ort waren bereits am 10. April zu mehr als 70 Prozent ausgelastet. "Auch die restlichen Kapazitäten scheinen schon im Vorfeld restlos ausgebucht.

Dieses Problem besteht nicht nur in Cushing, sondern weltweit", sagt Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Die Folge: Je näher der Ablauf des Mai-Kontrakts und damit der Liefertermin für WTI rückte, desto panischer versuchten Händler, die Futures loszuwerden. Als gegen Montagmittag die CME Group, Betreiber der weltgrößten Energie-Futures-Börse, erklärte, dass sie negative Preise zulassen würde, rauschte der WTI-Preis in die Tiefe. Es gab quasi keine Kauforders, berichten Händler.

Der Preisrutsch streut


Auch der Juni-Kontrakt für WTI ist zwischenzeitlich stark gefallen, er notierte am Donnerstag bei rund 15 Dollar pro Barrel. Brent-Öl ist vom Lagerproblem weniger betroffen, da dieses Öl vor allem auf dem Seeweg transportiert wird und es hier mehr Flexibilität zum Beispiel in Form von Tankschiffen zum Parken der Überkapazitäten gibt. "Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Brent gänzlich verschont bleibt", sagt Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer der DWS. Die massiven Produktionskürzungen, zu denen sich die OPEC und einige andere Ölexporteure kürzlich bekannt haben, reichen aktuell nicht aus, um den Nachfragerückgang auszugleichen.

Das rekordniedrige Preisniveau lockt Käufer an. China und Australien wollen beispielsweise Reserven anlegen. Auch Anleger spekulieren auf eine Erholung des Ölpreises, wenn im zweiten Halbjahr die Covid-19-Pandemie nachlässt. Doch wer auf Öl-Zertifikate oder ETCs setzt, wird vermutlich aufgrund der Rollverluste der Produkte, die beim Wechsel in den aktuell jeweils viel teureren nächsten Kontrakt anfallen, keinen guten Schnitt machen.

Die Folgen des Preisverfalls dürften sich weit über den Ölsektor hinaus bemerkbar machen. So sieht die DWS negative Auswirkungen für Anleihen ölexportierender Länder und US-Hochzinsbonds. Auch der Rubel dürfte unter Druck bleiben. Im Fracking-Sektor drohen Pleiten und Risiken für US- und kanadische Banken, die den Ölfirmen Kredite gegeben haben. Freuen können sich gerade eigentlich nur Firmen wie Vopak (ISIN: NL 000 943 249 1). Die Aktie des niederländischen Tanklagerbetreibers hat in den vergangenen drei Wochen rund 15 Prozent zugelegt.