Sanford Weill kam 1933 in New York als Sohn polnischer Juden zur Welt. Er wuchs in einfachen Verhältnissen im Stadtteil Brooklyn auf. Sanford, den alle nur Sandy nannten, war ein scheuer Junge, seine Schulnoten waren miserabel, seine Disziplin ließ zu wünschen übrig. Die Eltern schrieben ihn deshalb an der renommierten Peekskill Militärakademie ein. Dort erwarteten ihn sechs Tage Drill pro Woche, hohe sportliche und akademische Anforderungen. Weill nahm die Herausforderungen an. Er wurde ein hervorragender Tennisspieler, gehörte jedes Jahr zu den Klassenbesten und wurde später sogar zum Leutnant befördert.

1951 waren seine vier Jahre in der Militärakademie um. Er schrieb sich an der New Yorker Eliteuniversität Cornell ein, studierte Ingenieurwissenschaften und genoss nach den Jahren der strengen militärischen Disziplin die neue Freiheit. Er fuhr ein gelbes Plymouth-Cabrio, verpasste keine Party und nahm an Bridgeturnieren teil. Er wechselte die Fakultät, Ingenieurwissenschaften waren nicht sein Ding, und studierte dann Wirtschaftswissenschaften. Sein erster Job nach dem Studium: Bote bei der Investmentbank Bear Stearns. Sein Gehalt: 150 Dollar pro Monat. Aber er stieg rasch die Karriereleiter hoch, wurde 1956 zum Händler befördert und in die Zentrale an der Wall Street versetzt. Das erste Jahr war schwierig. Weill hatte oft schlaflose Nächte, weil er mit seinen Aktiendeals Geld verloren hatte. So begann also die Karriere jenes Mannes, der später der mächtigste Banker der Welt werden sollte. In den 60er- und 70er-Jahren baute er ein eigenes Investmenthaus auf, das er 1981 für rund eine Milliarde Dollar an das Kreditkartenunternehmen American Express verkaufte.

Er übernahm den Posten eines Direktors bei American Express, überwarf sich aber mit dem Chef und landete 1985 erst mal auf der Straße. Zwar war er reich. Aber seine Karriere schien am Ende. Ein Jahr später kaufte er 82 Prozent der damals vor dem Aus stehenden Verbraucherkreditbank Commercial Credit in Baltimore. Er sanierte die Bank, die auf Hunderten von Millionen an faulen Krediten saß, brachte sie erfolgreich an die Börse und setzte anschließend knallhart auf Expansion. Einer seiner engsten Mitarbeiter war damals Jamie Dimon, ein Harvard-Absolvent, der später Chairman und CEO von JP Morgan Chase wurde. Weill hatte bald den Ruf des genialen Dealmakers, er kaufte Firmen auf und fusionierte sie zu immer größeren Einheiten. 1992 kaufte und sanierte er den Versicherungsriesen Travelers Group und machte ihn zu einem der größten Finanzdienstleister des Landes.

Der größte Coup gelang ihm 1998: Am 7. April kündigten John Reed, Chef der traditionsreichen US-Großbank Citicorp, und Sandy Weill, Chef der Travelers Group, den Zusammenschluss der beiden Häuser an. Der neue Finanzgigant sollte Citi­group heißen. Die gemeinsame Bilanz: fast 700 Milliarden Dollar. Es war nicht nur die bis dahin größte Firmenfusion aller Zeiten, es war auch das Ende der bis dahin in den USA geltenden Trennung von Investmentbanken, Versicherern und traditionellen Kreditinstituten, dem Glass-Steagall Act aus dem Jahr 1933.

Der mächtigste Banker der Welt


Die Börse reagierte euphorisch. Am ersten Tag stieg der Kurs von Travelers um 18 Prozent und die kombinierte Marktkapitalisierung von Citibank und Travelers um 30 Milliarden Dollar. Unter dem Slo­gan "The Citi never sleeps" entstand eine Art globaler Supermarkt für Finanzprodukte, der den Kunden alles bieten sollte, womit sich Geld verdienen ließ.

Eigentlich sollten die beiden Chefs das Unternehmen gemeinsam leiten. Doch hinter den Kulissen tobte bald ein Machtkampf. Weill und Reed vertraten zwei völlig unterschiedliche Unternehmenskulturen. Weill hatte wohl auch nicht die Absicht, die Macht jemals zu teilen. Es gelang ihm schließlich, seinen Konkurrenten aus dem Amt zu drängen.

Sandy Weill wurde im Alter von 65 Jahren der mächtigste Banker der Welt. Sein Jahresgehalt betrug 240 Millionen Dollar. Die Citigroup sollte zur perfekten Geldmaschine werden und Weill hatte mit seiner spektakulären Fusion einen neuen Trend im globalen Finanzsystem gesetzt.

Die Geschäfte liefen erst einmal hervorragend, trotz der sich abzeichnenden Börsenflaute. Noch im Juli 2002 meldete Weill einen neuen Gewinnrekord. Von allen globalen Unternehmen konnte damals lediglich der Ölkonzern Exxon ein besseres Ergebnis verkünden, und die Finanzpresse ernannte Weill 2002 zum "CEO des Jahres".

Der Citigroup ging es auch deshalb so gut, weil sie sich im Gegensatz zu ihren Konkurrenten nie auf das Investmentbanking allein konzentriert hatte. Gut die Hälfte des Gewinns machte das Geldhaus mit Kreditkarten und der Vergabe von Konsumentendarlehen. Aber schon bald bekam der gewaltige Finanzsupermarkt Probleme, gerade wegen seiner Größe und der branchenübergreifenden Allzuständigkeit. Die Citigroup geriet immer mehr in den Strudel der Enthüllungen um Bilanztricks, manipulierte Aktienkurse und geprellte Anleger.

Die Zweifel am Sinn von Großfusionen nahmen zu, die erhofften Synergien konnten nie realisiert werden. Es erwies sich als unmöglich, die auf der ganzen Welt verteilten Unternehmensteile zu integrieren oder die Investitionen unter Kon­trolle zu halten. Das führte schließlich zu Milliardenverlusten, und die Citi­group, inzwischen "too big to fail", musste von der amerikanischen Regierung mit 45 Milliarden Dollar an Staatshilfen und 300 Milliarden Dollar an Garantien gerettet werden.

2006 war Weill als Chairman der Citi­group zurückgetreten, blieb aber Aktionär. Nach der Finanzkrise nahm ihn das "Time Magazine" in die Liste der 25 Menschen auf, die zu der Krise am meisten beigetragen hatten. Der gefallene Titan arbeitete weiterhin als Investor, steckte einen Teil seines Vermögens in karitative Projekte und kaufte im kalifornischen Sonoma für 30 Millionen Dollar ein großes Anwesen samt Villa und Weinberg.

Behalten hat er unterdessen sein Büro im 46. Stock des General-Motors-Gebäudes in Manhattan. Die Wände dort sind geschmückt mit Trophäen und Bildern seiner erfolgreichen Zeit an der Wall Street. Eines der Bilder zeigt das bescheidene Haus in Brooklyn, in dem er aufgewachsen war. Es soll ihn immer daran erinnern, woher er kam und welch ein spektakuläres Erfolgskapitel er, der "Sonnenkönig", in der Geschichte der Wall Street geschrieben hatte.